Viele Menschen mit ADHS, Kinder, Jugendliche und Erwachsene, leiden unter ausgeprägten Schlafproblemen. Besonders häufig sind Einschlafstörungen, nächtliches Aufwachen und ein generell nach hinten verschobener Schlafrhythmus. Studien zeigen: Zwischen 50 % und 75 % der Betroffenen berichten über anhaltende Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen (Van der Heijden et al., 2007).
Ein zentraler Grund dafür liegt in der Störung des circadianen Systems, also der inneren biologischen Uhr, die unseren Tag-Nacht-Rhythmus steuert. Dieses System wird wesentlich durch das Hormon Melatonin beeinflusst. Normalerweise steigt der Melatoninspiegel am Abend an, sobald es dunkel wird, das macht müde und leitet den Übergang in den Schlaf ein (Van der Heijden et al., 2007).
Bei ADHS-Betroffenen ist dieser Anstieg jedoch häufig zeitlich verzögert oder weniger ausgeprägt. Man spricht hier auch von einer sogenannten Schlafphasenverzögerung („Delayed Sleep Phase“). Das bedeutet: Die innere Uhr läuft nach hinten versetzt, man wird erst spät müde, schläft später ein und kommt morgens kaum aus dem Bett. Dieser Effekt ist nicht nur ein subjektives Empfinden, sondern lässt sich auch biologisch nachweisen, etwa über den späteren Beginn der Melatoninausschüttung (DLMO: Dim Light Melatonin Onset) (Van der Heijden et al., 2007).
Die Folge: ADHS-Betroffene schlafen oft zu wenig oder zu unregelmässig, was die Symptome der ADHS zusätzlich verstärken kann. Konzentrationsprobleme, emotionale Reizbarkeit und eine geringere Impulskontrolle sind typische Folgen von Schlafmangel und können die ohnehin schon vorhandenen Schwierigkeiten im Alltag verschärfen. Es entsteht ein Teufelskreis: ADHS beeinträchtigt den Schlaf, schlechter Schlaf wiederum verschlechtert die ADHS-Symptomatik (Van der Heijden et al., 2007).
Zudem gibt es Hinweise darauf, dass bei ADHS auch der Dopaminstoffwechsel gestört ist, ein weiterer Faktor, der mit der Regulation des Schlaf-Wach-Rhythmus in Verbindung steht. Auch Stresshormone wie Cortisol, deren natürlicher Rhythmus bei ADHS oft verändert ist, spielen eine Rolle bei Einschlafproblemen (Van der Heijden et al., 2007).
Kurz gesagt: Schlafstörungen sind bei ADHS nicht nur ein Nebensymptom, sondern oft ein zentraler Teil des Störungsbildes und sollten gezielt behandelt werden, um die Lebensqualität spürbar zu verbessern.
Was ist Melatonin und wie wirkt es?
Melatonin ist ein körpereigenes Hormon, das eine zentrale Rolle bei der Steuerung des Schlaf-Wach-Rhythmus spielt. Es wird in der Zirbeldrüse (Epiphyse) produziert – einem kleinen, zapfenförmigen Organ im Zwischenhirn – und zwar vor allem in den Abendstunden, wenn es dunkel wird. Die Produktion wird durch den Lichtreiz gesteuert, der über die Netzhaut ins Gehirn weitergeleitet wird. Sobald das Tageslicht nachlässt, signalisiert der sogenannte Nucleus suprachiasmaticus (die „innere Uhr“) im Hypothalamus dem Körper, dass es Zeit ist, zur Ruhe zu kommen. Das Ergebnis: Die Melatoninausschüttung steigt, die Körpertemperatur sinkt leicht ab, und der Körper beginnt, sich auf den Schlaf vorzubereiten (Van der Heijden et al., 2007).
Melatonin ist damit kein klassisches Schlafmittel, das direkt schläfrig macht, sondern eher ein Taktgeber: Es hilft, die biologische Uhr zu synchronisieren und den natürlichen Rhythmus von Tag und Nacht zu stabilisieren. Besonders relevant ist das bei Menschen, deren circadianer Rhythmus aus dem Takt geraten ist – etwa bei Jetlag, Schichtarbeit oder eben: ADHS (Van der Heijden et al., 2007).
Melatonin und ADHS
Bei Menschen mit ADHS wurde in zahlreichen Studien festgestellt, dass der abendliche Melatoninanstieg später erfolgt als bei neurotypischen Personen. Das bedeutet, dass die innere Uhr verzögert „auf Nacht schaltet“, was das Einschlafen deutlich erschwert. Diese sogenannte Phase-Delay-Problematik erklärt, warum viele ADHS-Betroffene trotz Müdigkeit nicht „abschalten“ können und sich stundenlang im Bett wälzen (Van der Heijden et al., 2007).
Darüber hinaus zeigen Forschungsergebnisse, dass Melatonin bei ADHS nicht nur später ausgeschüttet wird, sondern dass auch die Gesamtproduktion über die Nacht hinweg gestört sein kann. Dies kann dazu führen, dass Betroffene nicht nur später einschlafen, sondern auch häufiger aufwachen oder weniger erholsam schlafen. In solchen Fällen kann die gezielte Gabe von Melatonin dazu beitragen, den natürlichen Rhythmus wiederherzustellen und die Schlafarchitektur zu verbessern (Van der Heijden et al., 2007).
Wirkung und Nutzen
Die Einnahme von Melatonin, meist in Dosen zwischen 0,5 und 5 mg, kann die Einschlafzeit signifikant verkürzen, die Schlafqualität verbessern und bei regelmässiger Anwendung helfen, einen stabileren, vorhersehbareren Schlafrhythmus aufzubauen. Besonders hilfreich ist das bei einem verzögerten Chronotyp („Nachteule“), wie er bei ADHS häufig vorkommt.
Ein weiterer Vorteil: Im Gegensatz zu klassischen Schlafmitteln wie Benzodiazepinen oder Z-Substanzen (z. B. Zolpidem) verursacht Melatonin keine Abhängigkeit und wirkt sehr sanft auf den Organismus. Es ist daher besonders gut für die Langzeitanwendung geeignet, vorausgesetzt, es wird ärztlich begleitet und nicht als „Schnelllösung“ bei schlechtem Schlaf missverstanden (Van der Heijden et al., 2007).
Ist Melatonin in der Schweiz zugelassen?
In der Schweiz ist Melatonin ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel, unabhängig von der Dosierung. Das bedeutet: Es darf nicht frei verkauft oder online bestellt werden, sondern muss ärztlich verordnet werden. Diese Regelung unterscheidet sich deutlich von Ländern wie den USA, wo Melatonin als Nahrungsergänzungsmittel gilt, oder Deutschland, wo bestimmte niedrige Dosierungen (bis 1 mg) inzwischen rezeptfrei erhältlich sind (Van der Heijden et al., 2007).
Warum ist Melatonin in der Schweiz rezeptpflichtig?
Der Grund für die strengere Handhabung liegt in der arzneimittelrechtlichen Einstufung durch Swissmedic, die Melatonin als wirksamen und potenziell nebenwirkungsrelevanten Wirkstoff einordnet. Die Abgabe erfolgt daher ausschliesslich über Apotheken auf ärztliche Verschreibung. Das soll sicherstellen, dass die Einnahme medizinisch gerechtfertigt ist, gut überwacht wird und nicht zur Selbstmedikation bei unklaren Ursachen von Schlafstörungen führt (Van der Heijden et al., 2007).
Melatonin bei ADHS: spezielle Regeln bei Kindern
Gerade bei Kindern mit ADHS gelten zusätzliche Vorgaben. Die Verschreibung von Melatonin ist nur dann möglich, wenn nicht-medikamentöse Massnahmen wie Schlafhygiene, feste Einschlafrituale oder die Anpassung der ADHS-Medikation keinen ausreichenden Effekt gezeigt haben. Die Schweizer Therapierichtlinien empfehlen, vor dem Einsatz von Melatonin eine umfassende Abklärung der Schlafstörung durchzuführen. Dazu gehört beispielsweise:
- Die Erfassung des Schlafverhaltens (z. B. über ein Schlaftagebuch)
- Eine Analyse der aktuellen Medikation (v. a. Stimulanzien)
- Die Umsetzung verhaltenstherapeutischer Massnahmen
Erst wenn diese Massnahmen ausgeschöpft sind und die Schlafprobleme weiterhin bestehen, kann Melatonin als begleitende Therapie in Erwägung gezogen werden. Häufig verschrieben werden in der Schweiz retardierte Präparate wie Slenyto® (für Kinder mit Autismus-Spektrum-Störung) oder Circadin®, das allerdings offiziell erst ab 55 Jahren zugelassen ist – bei jüngeren Patient:innen erfolgt die Verordnung in der Regel off-label (Van der Heijden et al., 2007).
Für Erwachsene mit ADHS: Was gilt?
Auch Erwachsene mit ADHS in der Schweiz können Melatonin verschrieben bekommen, insbesondere bei Schlafphasensyndromen oder komorbiden Einschlafstörungen, wie sie bei ADHS häufig auftreten. In diesen Fällen kommen meist unretardierte Präparate zum Einsatz, die den natürlichen Melatoninanstieg imitieren und gezielt das Einschlafen erleichtern. Die gängige Dosierung liegt bei 0,5 bis 3 mg, eingenommen etwa 30 bis 60 Minuten vor dem Zubettgehen (Van Veen et al., 2010).
Da Melatonin nicht als Lifestyle-Präparat gilt, ist auch bei Erwachsenen eine ärztliche Einschätzung und Kontrolle erforderlich – besonders bei gleichzeitiger Einnahme anderer Medikamente (z. B. Antidepressiva, Stimulanzien) (Van Veen et al., 2010).
Online-Bestellung aus dem Ausland?
Viele Betroffene fragen sich, ob sie Melatonin einfach im Ausland (z. B. Deutschland oder USA) bestellen können. Die Antwort ist klar: Nein. Die Einfuhr verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Ausland ist in der Schweiz nur in sehr begrenztem Rahmen erlaubt, und nur für den persönlichen Bedarf, mit entsprechender ärztlicher Verordnung und unter Einhaltung der Swissmedic-Vorgaben. Eine unkontrollierte Einfuhr, etwa über Online-Shops, kann als unerlaubter Medikamentenimport gewertet werden (Van Veen et al., 2010).
Melatonin bei ADHS: Was sagen Studien?
Die Wirkung von Melatonin bei ADHS-Betroffenen mit Schlafstörungen ist in den letzten Jahren umfassend untersucht worden, sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen. Die Studienlage ist insgesamt positiv und zeigt, dass Melatonin eine wirksame und gut verträgliche Option bei Einschlaf- und Durchschlafproblemen im Rahmen von ADHS darstellt (Van Veen et al., 2010).
Wirkung bei Kindern mit ADHS
Mehrere randomisierte kontrollierte Studien und systematische Reviews zeigen, dass Melatonin bei Kindern mit ADHS die Einschlaflatenz deutlich verkürzen kann, also die Zeit, bis das Kind nach dem Zubettgehen tatsächlich einschläft. In den meisten Studien wurde eine Dosierung von 1 bis 5 mg, meist unretardiert, etwa 30 bis 60 Minuten vor dem Schlafengehen angewendet (Van Veen et al., 2010).
- Eine häufig zitierte Studie (Van der Heijden et al.) fand eine Verkürzung der Einschlafzeit um durchschnittlich 27 Minuten sowie eine Verlängerung der Gesamtschlafdauer um 20 Minuten.
- Eine Follow-up-Studie über 3 Jahre zeigte, dass rund 65 % der Kinder weiterhin regelmäßig Melatonin einnahmen, viele mit anhaltend guter Wirkung.
- Die subjektive Wirkung wurde in Elternerhebungen ebenfalls bestätigt: Über 70 % der Eltern gaben an, eine spürbare Verbesserung des Schlafverhaltens zu beobachten – insbesondere weniger Abendstress, selteneres nächtliches Aufwachen und ausgeglicheneres Verhalten am nächsten Tag.
Auch Metaanalysen (z. B. von Cortese et al. und Coogan/McGowan) bestätigen die klinische Relevanz: Die durchschnittliche Verkürzung der Einschlafzeit liegt bei 20 bis 40 Minuten, was im Alltag einen spürbaren Unterschied macht – vor allem, wenn Kinder morgens früh zur Schule müssen (Van Veen et al., 2010).
Wirkung bei Erwachsenen mit ADHS
Bei Erwachsenen mit ADHS ist die Studienlage etwas dünner, aber ebenfalls ermutigend. Auch hier zeigt sich eine wirksame Verkürzung der Einschlafzeit – insbesondere bei Menschen mit verzögertem Chronotyp, also innerer Uhr, die „zu spät tickt“.
Die empfohlene Dosis liegt bei Erwachsenen meist zwischen 0,5 und 3 mg, wobei unretardiertes Melatonin (schnelle Wirkung) besonders bei Einschlafproblemen bevorzugt wird. Bei Durchschlafstörungen oder älteren Menschen wird teils retardiertes Melatonin (z. B. Circadin®) verwendet (Van Andel et al., 2021).
Ein systematischer Review mit über 40 Studien (Palagini et al.) kam zum Schluss, dass Melatonin vor allem bei komorbiden Schlafproblemen im Rahmen psychischer Störungen, darunter ADHS, eine klinisch relevante Verbesserung erzielen kann – sowohl bei der Einschlafzeit als auch beim subjektiven Schlafempfinden (Van Andel et al., 2021).
Nebenwirkungen & Verträglichkeit
Melatonin gilt als sehr gut verträglich, was es besonders bei Kindern zu einer beliebten Option macht. In den Studien traten kaum schwerwiegende Nebenwirkungen auf (Van Andel et al., 2021). Die am häufigsten beschriebenen Begleiterscheinungen waren:
- Leichte Kopfschmerzen
- Schwindel oder morgendliche Benommenheit
- Lebhafte Träume oder selten Albträume
Diese Nebenwirkungen traten vor allem bei höheren Dosierungen oder bei Einnahmezeiten nach Mitternacht auf. Eine korrekte Einnahmezeit (ca. 1 Stunde vor dem gewünschten Einschlafen) und eine möglichst niedrige, wirksame Dosis sind daher entscheidend für die Verträglichkeit (Van Andel et al., 2021).
Langzeitdaten zeigen zudem, dass keine Toleranzentwicklung zu erwarten ist, also kein Gewöhnungseffekt wie bei klassischen Schlafmitteln. Dennoch wird empfohlen, die Einnahme alle paar Wochen für ein bis zwei Tage zu unterbrechen, um einen natürlichen Rhythmus zu unterstützen (Van Andel et al., 2021).
Fazit aus wissenschaftlicher Sicht
Die Studienlage belegt, dass Melatonin insbesondere bei ADHS-bedingten Einschlafstörungen eine wirksame, sichere und gut steuerbare Intervention darstellt, sowohl im Kindes- als auch im Erwachsenenalter. Es ersetzt keine ADHS-Therapie, kann aber als ergänzende Massnahme helfen, den Schlaf zu stabilisieren, was wiederum die Symptomatik am Tag lindern kann (Van Andel et al., 2021).
Schweizer Erfahrungen: Was berichten Betroffene?
Die persönlichen Erfahrungen von Betroffenen in der Schweiz mit Melatonin bei ADHS und Schlafstörungen sind überwiegend positiv, insbesondere wenn die Einnahme gezielt und begleitet erfolgt. Viele berichten, dass sie mit Melatonin abends endlich abschalten können und das Gedankenkarussell zur Ruhe kommt. Die häufigsten Rückmeldungen betreffen eine verkürzte Einschlafzeit, weniger nächtliches Aufwachen und ein allgemein erholsamerer Schla (Van Andel et al., 2021)f.
Besonders auffällig: Die Wirkung zeigt sich bei vielen Betroffenen schon nach wenigen Tagen, oft sogar nach der ersten Einnahme, sofern Dosierung und Einnahmezeitpunkt stimmen (Van Andel et al., 2021).
Erfahrungen von Eltern mit Kindern
Beispiel einer betroffenen Mutter (aus Zürich):
„Unser Sohn (8) konnte abends nie einschlafen, obwohl er todmüde war. Seit er Melatonin bekommt, schläft er nach 30 Minuten ein, vorher hat es 2 bis 3 Stunden gedauert. Und morgens ist er deutlich ausgeglichener.“
Ein Vater aus der Romandie beschreibt:
„Wir haben alles versucht – Schlafrituale, Hörspiele, warme Milch. Nichts hat geholfen. Erst mit Melatonin war es möglich, eine Routine zu etablieren. Unser Kind kommt nun fast jeden Abend zur selben Zeit zur Ruhe.“
Viele Eltern berichten auch, dass sich mit dem besseren Schlaf nicht nur das Verhalten ihres Kindes verbessert hat, sondern auch die familiäre Belastung spürbar abgenommen hat. Weniger Streit ums Zubettgehen, ruhigere Abende und ein entspannterer Morgen gehören zu den häufig genannten Effekten (Van Andel et al., 2021).
Jugendliche & junge Erwachsene
Jugendliche mit ADHS erleben oft eine starke Verzögerung ihres Schlafrhythmus, sie schlafen erst um 1 oder 2 Uhr nachts ein, müssen aber früh zur Schule. Hier kann Melatonin helfen, die Einschlafzeit deutlich nach vorne zu verschieben (Van Andel et al., 2021).
Eine 17-jährige Schülerin aus Bern berichtet:
„Ich hatte seit Jahren Probleme, vor Mitternacht einzuschlafen. Ich war nie ausgeschlafen, immer gereizt. Seit ich Melatonin nehme, bin ich um 22:30 müde und komme morgens besser aus dem Bett. Es fühlt sich an, als würde mein Körper endlich wieder wissen, was Nacht und Tag ist.“
Stimmen von Erwachsenen mit ADHS
Auch viele Erwachsene mit ADHS erleben Melatonin als wirksame Unterstützung – besonders jene, die schon lange mit chronischen Einschlafproblemen kämpfen. Häufig beschreiben sie einen Zustand von „innerer Unruhe“ am Abend, Gedanken, die nicht stoppen, und eine starke mentale Aktivierung bis spät in die Nach (Van Andel et al., 2021)t.
Ein 32-jähriger Softwareentwickler aus Basel erzählt:
„Ich war immer eine Nachteule, aber mit 3 mg Melatonin schaffe ich es, gegen 23 Uhr ins Bett zu gehen. Ohne bin ich bis 2 Uhr wach. Ich hatte nie gedacht, dass ein so einfacher Wirkstoff so viel verändern kann.“
Eine Betroffene aus St. Gallen schreibt:
„Ich war skeptisch. Aber nachdem ich es mit ärztlicher Begleitung ausprobiert habe, war ich überrascht, wie viel ruhiger mein Abend abläuft. Ich kann zum ersten Mal seit Jahren abschalten, ohne aufs Handy oder Wein zurückzugreifen.“
Was fällt auf?
Ein gemeinsamer Nenner in den Erfahrungsberichten: Melatonin ist kein „Schlafmittel“ im klassischen Sinn, sondern eher ein Taktgeber, der dem Körper hilft, wieder in seinen natürlichen Rhythmus zurückzufinden (Van Andel et al., 2021). Besonders erfolgreich ist die Behandlung, wenn sie nicht isoliert erfolgt, sondern in Kombination mit:
- konsequenter Schlafhygiene
- einem geregelten Tagesablauf
- und ärztlicher oder therapeutischer Begleitung
Die meisten Betroffenen betonen auch, dass sie durch den Einsatz von Melatonin nicht sediert oder „weggebeamt“ werden, sondern dass sie natürlich müde werden und sich der Schlaf einfacher und gesünder anfühlt (Díaz-Román et al., 2018).
Wie wird Melatonin richtig angewendet?
In der Schweiz werden meist folgende Dosierungen verwendet:
- Einschlafprobleme: 0,5 bis 3 mg unretardiertes Melatonin, etwa 30–60 Minuten vor dem Schlafengehen.
- Durchschlafprobleme: 2 bis 5 mg retardiertes Melatonin, zum Beispiel Circadin® (zugelassen ab 55 Jahren).
Wichtig: Die Einnahme sollte immer unter ärztlicher Kontrolle erfolgen. Eine langfristige Einnahme ist in der Schweiz möglich, aber mit regelmässiger Verlaufskontrolle verbunden (Díaz-Román et al., 2018).
Melatonin & ADHS-Medikamente, geht das?
Ja, Melatonin kann grundsätzlich sehr gut mit ADHS-Medikamenten kombiniert werden und wird in der Praxis sogar häufig gezielt zur Behandlung von medikamentenbedingten Schlafstörungen eingesetzt. Besonders bei Kindern und Jugendlichen, die Stimulanzien wie Methylphenidat (z. B. Ritalin®, Medikinet®, Concerta®) oder Lisdexamfetamin (Elvanse®) einnehmen, treten häufig Einschlafprobleme auf, auch dann, wenn die eigentliche Wirkung der Medikamente längst abgeklungen ist.
Melatonin bietet hier eine nicht sedierende, physiologische Möglichkeit, den Schlaf-Wach-Rhythmus zu stabilisieren. Es macht also nicht „platt“, sondern unterstützt den natürlichen Einschlafprozess, ohne dabei in die Wirkung der ADHS-Medikamente einzugreifen (Kidwell et al., 2015).
Was sagen Studien?
Verschiedene klinische Studien und Übersichtsarbeiten zeigen, dass die Kombination aus Melatonin und Stimulanzien bei ADHS eine sinnvolle Ergänzung sein kann:
- Eine Studie mit Kindern, die Methylphenidat erhielten, zeigte, dass über 60 % der Kinder deutlich besser einschliefen, wenn zusätzlich Melatonin verabreicht wurde.
- In einer weiteren Untersuchung berichteten Eltern von spürbaren Verbesserungen der Schlafqualität, einer ruhigeren Abendstimmung und weniger nächtlichem Aufwachen.
- Auch bei Erwachsenen mit ADHS, die Lisdexamfetamin einnehmen, hat sich die abendliche Einnahme von 0,5 bis 2 mg Melatonin bewährt – besonders bei gleichzeitiger Neigung zu Spät-ins-Bett-Gehen und innerer Unruhe am Abend.
Besonders hilfreich ist Melatonin, wenn die Schlafprobleme zeitlich mit dem Beginn einer ADHS-Medikation korrelieren, also vorher nicht oder nur in abgeschwächter Form vorhanden waren (Kidwell et al., 2015).
Gibt es Risiken oder Wechselwirkungen?
Melatonin gilt allgemein als gut verträglich und sicher, insbesondere im Vergleich zu klassischen Schlafmitteln wie Benzodiazepinen oder Z-Substanzen. Dennoch gibt es einige wichtige Punkte, die Patient:innen mit ADHS, insbesondere bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten, beachten sollten (Kidwell et al., 2015).
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Kein Alkohol in Kombination mit Melatonin
Alkohol sollte grundsätzlich nicht gemeinsam mit Melatonin eingenommen werden. Auch kleine Mengen können die körpereigene Melatoninproduktion hemmen und gleichzeitig die Wirkung des zugeführten Melatonins beeinträchtigen. Studien zeigen, dass selbst ein Glas Wein am Abend den Melatoninspiegel deutlich absenken und somit die Einschlafzeit verlängern kann.
Darüber hinaus kann die Kombination von Alkohol mit schlaffördernden Substanzen, auch natürlichen, zu vermehrter Tagesschläfrigkeit, Kopfschmerzen oder einer verzerrten Schlafarchitektur führen (Kidwell et al., 2015).
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Vorsicht bei gleichzeitiger Einnahme von Psychopharmaka
Melatonin kann mit bestimmten Antidepressiva und Psychopharmaka wechselwirken, insbesondere wenn diese über dieselben Leberenzyme verstoffwechselt werden (v. a. CYP1A2 und CYP2C19). Dies betrifft unter anderem:
- Fluvoxamin: Kann den Abbau von Melatonin stark hemmen, was zu überhöhten Wirkspiegeln führen kann. In Kombination sind daher sehr niedrige Melatonindosen oder ärztliche Kontrolle notwendig.
- Fluoxetin, Citalopram, Escitalopram: Können über CYP2C19 den Metabolismus von Melatonin beeinflussen, die Wirkung kann sich dadurch verstärken oder verlängern.
- Trizyklische Antidepressiva wie Imipramin oder Desipramin: Hier kann Melatonin ebenfalls die sedierende Wirkung verstärken, was zu morgendlicher Müdigkeit führen kann.
- Benzodiazepine und Z-Medikamente (z. B. Zopiclon, Zolpidem): Eine Kombination mit Melatonin kann die sedierende Wirkung verstärken, was bei geplanten Aktivitäten am Abend problematisch sein kann.
Insgesamt gilt: Bei gleichzeitiger Einnahme von Melatonin und anderen Psychopharmaka ist eine ärztliche Begleitung unbedingt empfehlenswert, insbesondere bei ADHS-Betroffenen, die häufig mehrere Medikamente erhalten (Kidwell et al., 2015).
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Langzeitanwendung: Wann sind Pausen sinnvoll?
Obwohl Melatonin nicht abhängig macht und keine klassische Toleranzentwicklung zeigt, empfehlen viele Fachpersonen eine regelmässige kurze Einnahmepause – zum Beispiel alle 2 Wochen eine Pause von 1–2 Tagen. Der Grund: Der Körper soll nicht verlernen, selbst Melatonin auszuschütten (Kidwell et al., 2015).
Gerade bei Jugendlichen mit ADHS, deren circadianer Rhythmus stark verzögert ist, kann die regelmässige Einnahme helfen, einen stabilen Schlaf-Wach-Rhythmus aufzubauen. Umso wichtiger ist es, diesen Prozess langfristig flexibel und individuell anzupassen (Kidwell et al., 2015).
Praxistipp: Viele Betroffene berichten, dass sie nach 3–4 Wochen Einnahme gut ein Gespür dafür entwickeln, wann sie Melatonin benötigen – und wann nicht. So kann man die Einnahme bewusst steuern, statt sich auf eine Dauerlösung zu verlassen (Kidwell et al., 2015).
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Weitere mögliche Nebenwirkungen
Auch wenn selten, können folgende Nebenwirkungen bei Melatonin auftreten:
- Lebhafte Träume oder Albträume
- Kopfschmerzen
- Schwindel
- Magenbeschwerden
- Morgendliche Müdigkeit oder Benommenheit
Diese Symptome treten meist bei zu hoher Dosierung oder ungünstigem Einnahmezeitpunkt auf (z. B. nach Mitternacht). Eine Anpassung der Dosis (z. B. von 3 auf 1 mg) oder ein früherer Einnahmezeitpunkt kann hier bereits Abhilfe schaffen (Wajszilber et al., 2018).
Fazit: Hilft Melatonin bei ADHS?
Ja, aber gezielt.
Melatonin ist kein Allheilmittel für ADHS, aber eine gut verträgliche Hilfe bei Schlafproblemen. Vor allem bei Einschlafverzögerung kann es den Schlafrhythmus stabilisieren, was sich langfristig positiv auf Aufmerksamkeit, Stimmung und Alltag auswirkt.
In der Schweiz ist Melatonin verschreibungspflichtig, und wird bei ADHS meist dann eingesetzt, wenn andere Massnahmen nicht greifen. Wer betroffen ist, sollte das Thema mit dem behandelnden Arzt oder der Therapeutin besprechen.
