To-Do-Listen bei ADHS sind oft frustrierend. Welche Alternativen besser funktionieren und warum sie motivieren.
Warum klassische To-Do-Listen bei ADHS oft scheitern
To-Do-Listen gelten als das ultimative Selbstmanagement-Tool. Für Menschen mit ADHS können sie aber schnell zum Gegenteil werden: Statt Struktur schaffen sie Überforderung. Statt Motivation erzeugen sie Schuldgefühle. Und statt Klarheit bringen sie oft ein Gefühl von Kontrollverlust (Gapin & Etnier, 2010).
Woran liegt das?
Menschen mit ADHS verarbeiten Informationen anders. Ihr Arbeitsgedächtnis funktioniert weniger zuverlässig, die exekutiven Funktionen, also die Fähigkeit, zu planen, sich zu organisieren und Prioritäten zu setzen – sind beeinträchtigt. Gleichzeitig reagiert das ADHS-Gehirn besonders empfindlich auf Reize, Ablenkungen und emotionale Impulse. Eine To-Do-Liste mit 20 offenen Aufgaben wirkt dann nicht motivierend, sondern blockierend (Gapin & Etnier, 2010).
Dazu kommt: Das Gefühl für Zeit, die sogenannte Zeitblindheit, ist bei ADHS anders ausgeprägt. Was jetzt wichtig ist, fühlt sich extrem dringend an, während zukünftige Aufgaben oft ausgeblendet werden. Das führt zu impulsivem Arbeiten, ständiger Unterbrechung und dem Gefühl, nie „fertig“ zu sein.
Warum das ADHS-Gehirn To-Do-Listen anders braucht
Neurotypische Menschen (also Menschen ohne ADHS) nutzen To-Do-Listen oft linear: Aufgaben notieren, priorisieren, abarbeiten. Für ADHS-Betroffene funktioniert dieses Schema nicht zuverlässig. Die Reizoffenheit, emotionale Schwankungen und der Drang zur sofortigen Belohnung machen das Durchhalten schwer (Gapin & Etnier, 2010).
Ein weiterer Punkt: Viele Menschen mit ADHS haben eine lange Geschichte von vermeintlichem „Versagen“. Nicht eingehaltene Pläne, verpasste Fristen, ständiges Aufschieben – das nagt am Selbstwert. Wenn dann auch noch die To-Do-Liste täglich „versagt“, entsteht ein Teufelskreis aus Selbstkritik, Frustration und innerem Rückzug (Gapin & Etnier, 2010).
Doch es geht auch anders. Mit einigen einfachen, aber wirksamen Methoden lässt sich die klassische To-Do-Liste ADHS-gerecht gestalten, und sie kann zu einem echten Werkzeug werden, das entlastet statt stresst (Gapin & Etnier, 2010).
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Die ADHS-taugliche Tagesliste: drei einfache Felder

Statt 20 Aufgaben auf einen Zettel zu schreiben, beginnt die ADHS-taugliche Tagesliste mit nur drei Bereichen:
Feld 1: Was heute wirklich zählt
Hier gehört nur eine einzige Aufgabe hinein: Die eine Sache, die heute am wichtigsten ist. Für viele ist es hilfreich, diesen Punkt schon am Vorabend zu bestimmen. Das schafft Klarheit und reduziert das morgendliche Entscheidungschaos.
Wichtig: Es muss keine „riesige“ Aufgabe sein. Selbst ein Anruf oder das Bezahlen einer Rechnung kann, je nach Situation, das sein, was heute wirklich zählt.
Feld 2: Was ich als Nächstes machen könnte
Hier steht, was du tun könntest, wenn noch Energie da ist. Diese Aufgaben sind „nice to have“, aber nicht zwingend. Wenn du dich nicht aufraffen kannst, mit Punkt 1 zu starten, fang hier an. Ein kleines Erfolgserlebnis kann dir den Einstieg erleichtern.
Feld 3: Gedankenparker
Hier landen spontane Einfälle, Aufgaben, Ideen, alles, was dein Gehirn im Laufe des Tages hervorbringt. Statt dich ablenken zu lassen, schreibst du es hier rein. Am Ende des Tages kannst du dann entscheiden, ob du etwas davon aufheben oder vergessen möchtest.
Diese einfache 3-Feld-Struktur hilft, den Fokus zu halten, Überforderung zu vermeiden und sich endlich wieder über erledigte Dinge zu freuen (Barkley & Fischer, 2021).
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Der „Parkplatz“ für alles andere
Was ist mit den 100 anderen Dingen, die dir durch den Kopf gehen?
Sie gehören nicht auf die Tagesliste, sondern auf den sogenannten Parkplatz. Hier sammelst du Aufgaben, Ideen, Projekte, die irgendwann erledigt werden sollen, aber nicht heute.
Der Parkplatz kann eine einfache Liste im Notizbuch sein oder eine digitale Datei. Wichtig ist: Du schaust bewusst nur dann hinein, wenn du deinen Tag planst. Das entlastet dein Gehirn enorm (Barkley & Fischer, 2021).
Besonders hilfreich: Wenn du neue Aufgaben aus dem Kopf bekommst, ohne sie gleich lösen zu müssen. Viele To-Dos lösen sich mit der Zeit von selbst – sie verlieren an Relevanz oder erledigen sich durch andere Entscheidungen (Barkley & Fischer, 2021).
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Die Not-To-Do-Liste: radikal befreiend
Ein drittes Werkzeug, das bei ADHS hilft: Die Not-To-Do-Liste.
Sie besteht aus Aufgaben, Projekten oder Ideen, die du loslässt, bewusst, schriftlich und mit gutem Gefühl. Das können Dinge sein, die du schon monatelang vor dir herschiebst, ohne sie wirklich anzugehen. Oder kreative Projekte, die du irgendwann machen wolltest, aber ehrlich gesagt niemals starten wirst (Volkow et al., 2009).
Der Satz „Ich darf das loslassen“ ist bei ADHS oft heilender als jeder neue Plan (Volkow et al., 2009).
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Warum „mehr Struktur“ nicht die Lösung ist
Viele Ratgeber schlagen strukturierte Listen vor: Prioritätenmatrix, Bullet Journal, Kanban-Board. All das kann funktionieren, wenn du neurotypisch bist. Bei ADHS führt zu viel Struktur jedoch oft zu noch mehr Stress (Volkow et al., 2009).
Denn: Entscheidungen kosten Energie. Je mehr Listen du führen, sortieren und pflegen musst, desto eher verlierst du den Überblick. Für ADHS gilt oft: „Keep it simple“ ist die effektivste Regel.
Nutze einfache Systeme. Vertraue auf das, was du wirklich brauchst, nicht auf das, was schön aussieht.
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ADHS-gerechte To-Do-Tools: Analog oder digital?

Viele Menschen mit ADHS sind visuell geprägt. Das bedeutet: Was sichtbar ist, existiert. Was nicht sichtbar ist, wird vergessen.
Digitale Tools wie Trello, Notion, ClickUp oder Todoist bieten tolle Features, aber sie verschwinden oft im digitalen Nirwana. Eine handschriftliche Liste auf Papier oder Post-its auf dem Monitor sind oft effektiver (Castells et al., 2023).
Gute Alternativen:
- Time Timer oder Küchentimer, um Zeitblöcke zu strukturieren
- Visuelle Kalender mit Farben und Symbolen
- Whiteboards oder Magnettafeln, um Aufgaben sichtbar zu machen
- Apps mit Erinnerungsfunktion, wenn du sowieso viel am Handy bist
Am Ende zählt nicht das Tool, sondern dass du es nutzt, regelmässig, einfach und ohne Stress (Castells et al., 2023).
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Warum Aufgaben oft nicht angefangen werden
Ein weiteres zentrales Problem bei ADHS: Der Einstieg (Volkow et al., 2009).
Viele Menschen mit ADHS wissen genau, was zu tun ist, aber sie kommen nicht ins Tun. Die Gründe:
- Aufgaben sind zu vage formuliert („Steuer machen“ statt „Steuerordner aus dem Regal holen“)
- Es fehlt ein klares Belohnungssystem
- Die Aufgabe wirkt zu lang oder unangenehm
- Es fehlt der Reiz, sofortige Wirkung zu erleben
Die Lösung: Micro-Tasks.
Formuliere jede Aufgabe so klein, dass du sie in 2–5 Minuten starten kannst.
Beispiel: Statt „Bewerbung schreiben“ → „Datei mit Lebenslauf öffnen“
Kleine Schritte führen zu schnellen Erfolgen und die setzen Dopamin frei. Das ist der Motivationsstoff, den dein ADHS-Gehirn dringend braucht (Volkow et al., 2009).
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Routine hilft, aber nur, wenn sie flexibel bleibt
Rituale helfen, weil sie Energie sparen. Du musst nicht jeden Tag neu überlegen, wann du was tust. Trotzdem ist bei ADHS wichtig: Routine darf nicht starr sein (Studying Motivation in ADHD, 2021).
Plane mit Spielräumen, Puffertagen, freien Slots. Nutze Gewohnheiten als Orientierung, nicht als Zwang. Und erlaube dir, dass auch mal ein Tag „verloren“ geht, das ist normal (Studying Motivation in ADHD, 2021).
Ein Trick: „Rituale mit Optionen“, z. B. jeden Tag nach dem Kaffee 30 Minuten Fokuszeit, aber du wählst spontan, was du in dieser Zeit machst.
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Belohnung: Der unterschätzte Erfolgsfaktor
ADHS-Gehirne ticken anders. Motivation entsteht oft nicht durch langfristige Ziele, sondern durch sofortige Belohnung. Wenn du das weißt, kannst du es nutzen (Studying Motivation in ADHD, 2021).
Nach jeder erledigten Aufgabe:
- Haken setzen
- Kurz aufstehen
- 5 Minuten Lieblingsmusik
- Kurze Kaffeepause
Erfolge sichtbar zu machen und zu feiern, auch die kleinen, ist kein Kinderkram, sondern effektives Neuro-Management (Studying Motivation in ADHD, 2021).
Fazit: Was wirklich funktioniert
To-Do-Listen müssen für Menschen mit ADHS anders funktionieren. Es geht nicht darum, perfekt organisiert zu sein, sondern darum, den Alltag zu entlasten und Fortschritt spürbar zu machen.
Wenn du mit ADHS lebst, dann:
- Reduziere deine Tagesliste auf 1–3 Punkte
- Nutze einen Parkplatz für alles Weitere
- Lass Dinge los, die dich nur belasten
- Arbeite in kleinen Schritten
- Belohne dich bewusst
- Verzeih dir Rückschläge
Denn: Es geht nicht darum, „so zu funktionieren wie andere“, sondern darum, dein eigenes System zu finden.