Menschen mit ADHS kämpfen häufig mit unregelmässigen Schlafzeiten, Einschlaf- und Durchschlafproblemen oder dem Gefühl, trotz langer Nächte nicht wirklich erholt zu sein. Diese Schwierigkeiten sind oftmals das Ergebnis einer veränderten Regulation des zirkadianen Rhythmus, einer erhöhten Reizoffenheit oder Schwierigkeiten beim Abschalten vor dem Schlafengehen. Der Einfluss schlechter Schlafqualität auf Konzentration, Stimmung und Tagesstruktur wird dabei häufig unterschätzt, sowohl von aussenstehenden Personen als auch von den Betroffenen selbst (Khosla et al., 2018).
Erst wenn Symptome wie Müdigkeit, Gereiztheit oder Konzentrationsstörungen den Alltag merklich beeinträchtigen, wird der Zusammenhang mit dem Schlafverhalten deutlich. Genau hier setzt Schlaftracking an: Mithilfe von Smartwatches, Fitness-Trackern oder speziellen Schlaf-Apps lässt sich das eigene Schlafverhalten systematisch erfassen. Diese Tools messen Bewegungsmuster, Herzfrequenzverläufe und in manchen Fällen sogar Atemfrequenz oder Sauerstoffsättigung, um Informationen über Einschlafzeit, Aufwachphasen oder Schlafzyklen zu gewinnen (Khosla et al., 2018).
Gerade bei ADHS kann diese strukturierte Selbstbeobachtung ein wertvolles Instrument sein. Viele Betroffene unterschätzen, wie spät sie tatsächlich ins Bett gehen oder wie häufig sie nachts aufwachen. Durch Schlaftracking können Zusammenhänge sichtbar werden, etwa zwischen Bildschirmzeit am Abend und schlechterem Schlaf oder zwischen festen Routinen und erholsamem Schlaf. Wer seine individuellen Muster kennt, kann gezielter gegensteuern, sei es durch Verhaltensänderung, Anpassung der Schlafumgebung oder therapeutische Massnahmen (Khosla et al., 2018).
Wie funktioniert Schlaftracking überhaupt?
Die meisten modernen Tracker nutzen eine Kombination aus Sensoren, um körperliche Signale zu erfassen, darunter Bewegung (über Beschleunigungssensoren), Herzfrequenz (meist optisch über LEDs) sowie teilweise auch Hauttemperatur oder Sauerstoffsättigung. Diese Daten werden von Algorithmen ausgewertet, die anhand typischer Muster Rückschlüsse auf den Schlafverlauf ziehen (Baron et al., 2017).
Dabei wird der Schlaf in verschiedene Phasen eingeteilt:
- Leichtschlaf: Übergangsphase zwischen Wachsein und Tiefschlaf, in der der Körper langsam zur Ruhe kommt.
- Tiefschlaf: wichtigste Phase für körperliche Regeneration und Immunfunktion.
- REM-Schlaf: Phase intensiver Gehirnaktivität, in der Träume auftreten und emotionale Prozesse verarbeitet werden.
- Wachphasen: kurze Unterbrechungen, die meist unbewusst bleiben, aber messbar sind.
Die Genauigkeit dieser Schlafphasen-Erkennung ist allerdings begrenzt. Tracker liefern Näherungswerte, keine exakten Diagnosen. Sie ersetzen keine medizinische Untersuchung wie die Polysomnographie, bei der Schlaflabore EEG, EKG, Augenbewegungen, Atmung und Muskelaktivität messen. Dennoch bieten sie für den Alltag praktische Einsichten, insbesondere zur Regelmässigkeit, Gesamtdauer und Qualität des Schlafs. Für Menschen mit ADHS bedeutet das: verborgene Muster erkennen, potenzielle Störfaktoren identifizieren und das eigene Verhalten gezielt reflektieren (de Zambotti et al., 2018).
Vorteile von Schlaftracking bei ADHS
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Mehr Bewusstsein für eigene Schlafgewohnheiten
Viele Menschen mit ADHS verlieren abends leicht das Zeitgefühl. Stunden vergehen mit Social Media, Streaming oder Gedankenkreisen, und das tatsächliche Einschlafverhalten wird falsch eingeschätzt. Tracker helfen, diese Diskrepanz zwischen Gefühl und Realität aufzuzeigen. Sie dokumentieren präzise, wann man ins Bett geht, wie lange man tatsächlich schläft und ob nächtliche Unterbrechungen auftreten. So entsteht ein objektiveres Bild, der erste Schritt zu einer besseren Schlafroutine (Menghini et al., 2021).
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Schlafdaten als Grundlage für Veränderungen
Tracker-Daten können in die psychotherapeutische oder ärztliche Behandlung einfliessen. Sie helfen dabei, problematische Muster sichtbar zu machen und Therapieansätze besser zu steuern, zum Beispiel beim Aufbau gesunder Einschlafrituale, beim Umgang mit abendlicher Reizüberflutung oder bei der Anpassung der Medikation. Besonders wertvoll ist die Möglichkeit, Veränderungen direkt zu beobachten und zu bewerten, etwa nach Einführung eines „Handy-frei“-Abends oder einer festen Zubettgehzeit (Menghini et al., 2021).
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Motivation durch tägliches Feedback
Viele Tracker bieten tägliche Schlafscores oder wöchentliche Fortschrittsdiagramme. Für Menschen mit ADHS, die auf visuelle Rückmeldung ansprechen, kann das sehr motivierend sein. Die Aussicht auf einen besseren Score ermutigt zur Einhaltung neuer Gewohnheiten, sei es weniger Koffein, mehr Bewegung oder eine konsequente Abendroutine. Sichtbare Erfolge erhöhen die Selbstwirksamkeit und fördern das Dranbleiben (Sadeh, 2011).
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Früherkennung von Mustern
Regelmässiges Tracking macht langfristige Veränderungen im Schlafverhalten sichtbar. Nächtliches Grübeln, Phasen mit Ein- oder Durchschlafproblemen oder stark schwankende Schlafzeiten lassen sich frühzeitig erkennen. Gerade bei ADHS können solche Entwicklungen sonst lange unbemerkt bleiben. Frühzeitiges Gegensteuern, zum Beispiel durch Entspannungsmethoden oder Gespräche mit Fachpersonen, wird so erleichtert (Sadeh, 2011).
Aber: Schlaftracking hat auch Grenzen
So hilfreich Tracker auch sein können, sie haben ihre Schwächen (Van Veen et al., 2010). Besonders bei ADHS können sie unbeabsichtigt Stress verstärken:
- Überfokussierung: Wer sich zu sehr auf Zahlen und Scores fixiert, erhöht den inneren Druck. Statt besser zu schlafen, entsteht Angst vor dem schlechten Wert am nächsten Morgen, was paradoxerweise den Schlaf verschlechtern kann (Van Veen et al., 2010).
- Ungenaue Werte: Die Geräte liefern Näherungen, keine exakten Diagnosen. Wer nachts oft wach liegt oder sich unruhig bewegt, bekommt unter Umständen falsche Rückmeldungen. Bei ADHS, wo die eigene Wahrnehmung ohnehin variieren kann, führt das leicht zu Verunsicherung (Van Veen et al., 2010).
- Mehr Grübeln statt Entspannung: Der morgendliche Blick auf den Schlafscore kann zu einem belastenden Ritual werden. Statt entspannt in den Tag zu starten, stehen Selbstzweifel und Sorgen im Vordergrund, ein ungünstiger Start, besonders für Menschen mit ADHS (Van Veen et al., 2010).
Tracker sollten deshalb immer als unterstützendes Werkzeug verstanden werden, nicht als Bewertung der eigenen Leistung oder Gesundheit (Van Veen et al., 2010).
Wann ist Schlaftracking sinnvoll und wann nicht?
Sinnvoll ist Schlaftracking bei ADHS, wenn …
- du deinen Schlaf schlecht einschätzen kannst und ein objektiveres Bild suchst.
- du Motivation brauchst, um Gewohnheiten zu ändern und neue Routinen zu etablieren.
- du gemeinsam mit Fachpersonen an Schlafproblemen arbeitest und dafür Daten nutzen willst.
- du bereit bist, die Daten als Orientierung zu sehen, nicht als Bewertung.
Weniger hilfreich ist es, wenn …
- du perfektionistisch veranlagt bist oder dich durch schlechte Werte stark unter Druck setzt.
- du bereits viel über deinen Schlaf grübelst und eigentlich mehr Entspannung brauchst.
- du den Verdacht auf eine ernsthafte Schlafstörung hast, hier ist medizinische Diagnostik gefragt.
Fazit: Schlaftracking ist ein Tool, kein Allheilmittel
Smartwatches und Tracker können Menschen mit ADHS dabei helfen, ihren Schlaf besser zu verstehen. Sie bieten Orientierung, Motivation und ermöglichen gezielte Veränderungen. Wichtig ist jedoch, entspannt mit den Daten umzugehen und sie nicht als Bewertung der eigenen Leistungsfähigkeit zu sehen. Wer das Tracking als Werkzeug nutzt, und nicht als Kontrolle, kann seinen Schlaf nachhaltig verbessern (Chang et al., 2015).