Durchschlafstörungen bei ADHS: Ursachen & Strategien

Veröffentlicht am: 01. Oktober 2025
Zuletzt ärztlich geprüft am: 07. Oktober 2025

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Porträt von Dr. med. Jens Westphal, Praktischer Arzt FMH und medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch. Er begleitet Patientinnen und Patienten in der Schweiz bei der Abklärung und Behandlung von ADHS. Das Bild zeigt ihn vor einem klaro-Hintergrund als Teil des ärztlichen Teams für ADHS Schweiz.

Dr. med. Jens Westphal

ADHS-Spezialist und Praktischer Arzt (FMH)
Dr. med. Jens Westphal ist Praktischer Arzt (FMH) mit langjähriger Erfahrung in der hausärztlichen Versorgung und Psychiatrie. Er ist medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch und prüft alle Inhalte rund um ADHS, Diagnostik und Therapie auf wissenschaftliche Genauigkeit und praktische Umsetzbarkeit in der Schweizer Grundversorgung.

Inhaltsverzeichnis

Menschen mit ADHS haben nicht nur beim Einschlafen Schwierigkeiten, auch das Durchschlafen ist häufig gestört. Viele Betroffene berichten, dass sie mehrmals pro Nacht aufwachen, oft ohne ersichtlichen Grund. Am nächsten Morgen fühlen sie sich dann wie gerädert, obwohl sie formal genug Stunden im Bett verbracht haben. Doch was steckt dahinter? Die Ursachen sind vielschichtig, sowohl körperlich als auch psychisch (Díaz-Román et al., 2018).

Hier sind die häufigsten Auslöser im Überblick:

  • Störung der Schlafarchitektur:
    • Bei ADHS ist der natürliche Übergang zwischen den verschiedenen Schlafphasen gestört.
    • Besonders die REM-Phasen (Traumschlaf) verlaufen unruhiger.
    • Die Folge: häufiges Aufwachen, gerade in der zweiten Nachthälfte.
  • Reizoffenheit, auch im Schlaf:
    • Menschen mit ADHS verarbeiten Geräusche, Licht oder körperliche Empfindungen auch im Schlaf intensiver.
    • Selbst kleine Reize, etwa ein vorbeifahrendes Auto, das Summen eines Geräts oder ein Temperaturwechsel, können das Gehirn „alarmieren“.
  • Stress, Grübeln und Übererregbarkeit:
    • Das Nervensystem ist bei ADHS häufig dauerhaft in Alarmbereitschaft.
    • Gedanken kreisen, auch im Schlaf, was zu plötzlichem Erwachen führen kann.
    • Auch körperliche Anspannung während der Nacht kann das Weiterschlafen erschweren.
  • Nebenwirkungen von Medikamenten:
    • ADHS-Medikamente wie Methylphenidat oder Lisdexamfetamin können, abhängig von Dosis und Einnahmezeit, zu Einschlaf- und Durchschlafproblemen führen.
    • Der sogenannte Rebound-Effekt (Nachlassen der Medikamentenwirkung) am Abend kann Unruhe und Schlafunterbrechungen verstärken.
  • Verhaltensmuster und Schlafgewohnheiten:
    • Unregelmäßige Schlafzeiten, Bildschirmkonsum vor dem Schlafen oder fehlende Abendrituale können die Schlafqualität weiter verschlechtern.

Wichtig: Diese Faktoren wirken oft nicht isoliert, sondern verstärken sich gegenseitig. So entsteht ein Teufelskreis, der aus gelegentlichem Aufwachen ein chronisches Problem macht (Díaz-Román et al., 2018).

Tipp für Betroffene: Wenn du regelmäßig nachts aufwachst, lohnt sich ein Schlafprotokoll. So lassen sich Auslöser leichter erkennen, und gezielt verändern (Díaz-Román et al., 2018).

Typische Muster der ADHS-Durchschlafstörung

Menschen mit ADHS erleben häufig besondere Schlafmuster, die sich deutlich von denen neurotypischer Personen unterscheiden (Van Veen et al., 2010). Die folgenden Symptome sind besonders häufig:Ein Mann in weissem Hemd liegt erschöpft auf seinem Schreibtisch, während er einen Pappbecher in die Höhe hält. Neben ihm stehen ein Laptop, ein Handy und Büromaterialien. Müdigkeit und Konzentrationsprobleme sind typische Herausforderungen für Menschen mit ADHS Schweiz.

  • Mehrfache Aufwachphasen pro Nacht, viele Betroffene berichten davon, regelmäßig zu denselben Uhrzeiten wach zu werden (z. B. um 2 Uhr, 4 Uhr oder 5:30 Uhr)
  • Probleme, nach dem Aufwachen wieder einzuschlafen, die Gedanken beginnen zu kreisen, das Nervensystem bleibt aktiv
  • Frühes Erwachen, oft schon vor dem Weckerklingeln, obwohl der Körper noch erschöpft ist
  • Albträume oder intensive Träume, die das Aufwachen zusätzlich emotional belasten

Ein häufig beschriebenes Muster ist das sogenannte Fragmentierungsmuster:

Die Nacht ist nicht durchgängig erholsam, sondern in viele kurze Schlafphasen zerschnitten. Diese Fragmentierung führt dazu, dass der Körper nie in die tieferen, regenerativen Schlafphasen gelangt, selbst wenn die Gesamtschlafdauer ausreicht, fehlt am Morgen die notwendige Erholung (Van Veen et al., 2010).

Typische Anzeichen für ein fragmentiertes Schlafmuster bei ADHS:

  • Der Schlaf fühlt sich „leicht“ oder „oberflächlich“ an
  • Betroffene erinnern sich oft an viele verschiedene Traumfragmente
  • Trotz 7–8 Stunden Schlaf fühlt man sich mental erschöpft und „wie verkatert“
  • Das Aufwachen fühlt sich anstrengend und unvollständig an
  • Schon am Vormittag treten Konzentrationsprobleme und Müdigkeit auf

Diese Durchschlafprobleme führen häufig zu einem Teufelskreis:

  1. Die Angst vor der nächsten schlechten Nacht wächst.
  2. Dadurch steigt der Druck, einschlafen und durchschlafen zu müssen.
  3. Dieser Druck verhindert wiederum das natürliche Einschlafen, und verschärft die Problematik.

Die genaue Beobachtung dieser Muster kann der erste Schritt zu einer erfolgreichen Bewältigung sein, idealerweise begleitet durch ein Schlaftagebuch oder therapeutische Begleitung (Van Veen et al., 2010).

Was hilft gegen ADHS-bedingte Durchschlafstörungen?

Auch wenn es keine Universallösung gibt, haben sich bestimmte Strategien in der Praxis bewährt, viele davon lassen sich unkompliziert im Alltag umsetzen. Wichtig ist dabei: Bleib geduldig, denn Veränderungen brauchen Zeit. Ein strukturierter Umgang mit dem Thema Schlaf kann langfristig helfen, das nächtliche Aufwachen zu reduzieren und den Schlaf insgesamt zu verbessern (Van der Heijden et al., 2007).

  1. Abendroutine optimieren

Eine beruhigende Abendroutine signalisiert dem Körper, dass die Schlafenszeit naht. Besonders bei ADHS kann ein klarer Ablauf helfen, zur Ruhe zu kommen:

  • Keine schweren Mahlzeiten nach 19 Uhr, fettige oder zuckerreiche Speisen belasten die Verdauung und stören das Einschlafen.
  • Sanfte Bewegung am frühen Abend, z. B. ein Spaziergang, leichtes Stretching oder Yoga.
  • Entspannende Rituale einbauen, z. B.:
    • Ein warmes Fußbad
    • 10 Minuten Tagebuch schreiben
    • Eine geführte Meditation oder Atemübung
    • Lesen bei gedämpftem Licht
  1. Licht und Temperatur regulieren

Die Schlafumgebung hat grossen Einfluss auf das Durchschlafen (Van der Heijden et al., 2007). Achte auf:

  • Konsequente Abdunkelung: Schlafmaske oder lichtdichte Vorhänge verwenden
  • Verzicht auf Bildschirmzeit mindestens 60 Minuten vor dem Schlafen, das blaue Licht hemmt die Melatonin-Ausschüttung
  • Optimale Raumtemperatur: Ideal sind 17–20 Grad
  • Frische Luft im Schlafzimmer: Kurzes Lüften vor dem Schlafengehen kann helfen
  1. Umgang mit dem nächtlichen Aufwachen

Viele ADHS-Betroffene erleben ein oder mehrere nächtliche Wachphasen (Van der Heijden et al., 2007). Wichtig ist, ruhig zu bleiben und Strategien parat zu haben:

  • Nicht sofort aufs Handy schauen oder E-Mails checken, das erhöht die kognitive Aktivität
  • Kurze Entspannungsübungen wie:
    • 4-7-8-Atemtechnik
    • Progressive Muskelentspannung im Liegen
    • Visualisierungsübungen (z. B. eine beruhigende Szene vorstellen)
  • Gedanken aufschreiben, liegt dir etwas im Kopf, notiere es kurz, um es „auszulagern“
  • Kein Druck: Je mehr du versuchst, „unbedingt“ wieder einzuschlafen, desto schwerer wird es. Akzeptanz hilft mehr als Kontrolle.
  1. Schlaf-Tagebuch führen

Ein Schlaf-Tagebuch kann helfen, Muster zu erkennen und Fortschritte sichtbar zu machen (Cortese et al., 2009). Notiere täglich:

  • Zeitpunkt des Einschlafens
  • Häufigkeit und Dauer des nächtlichen Aufwachens
  • Zeitpunkt des morgendlichen Aufwachens
  • Subjektives Befinden am Morgen (z. B. Schulnote 1–6)
  • Eventuell: Gedanken oder Gefühle beim Einschlafen

Diese Aufzeichnungen helfen dir selbst, und sind eine wertvolle Grundlage für Gespräche mit deiner Ärztin oder deinem Therapeuten. (Cortese et al., 2009)

Tipp: Nutze eine einfache Tabelle oder eine App mit Schlafprotokoll-Funktion. Konstanz ist wichtiger als Perfektion (Cortese et al., 2009).

Wann professionelle Hilfe sinnvoll istEine Frau sitzt am Schreibtisch und hat erschöpft den Kopf auf die verschränkten Arme gelegt, mehrere Kaffeebecher stehen um sie herum. Durch das Fenster fällt sanftes Licht ins Zimmer. Solche Erschöpfungssymptome treten bei ADHS Schweiz häufig im Berufsalltag auf.

Wenn deine Durchschlafstörungen länger als drei bis vier Wochen anhalten und du dich tagsüber regelmäßig erschöpft, unkonzentriert oder gereizt fühlst, solltest du nicht zögern, ärztliche oder therapeutische Unterstützung in Anspruch zu nehmen (Wang et al., 2017). Eine professionelle Begleitung kann dabei helfen, die Ursachen gezielt zu klären und wirksame Lösungsstrategien zu entwickeln (Ahlberg et al., 2023).

Mögliche Schritte der professionellen Behandlung:

  • Verhaltenstherapie:
    • Analyse und Veränderung ungünstiger Schlafgewohnheiten
    • Aufbau hilfreicher Routinen und kognitiver Strategien gegen Grübelschleifen
    • Unterstützung bei der Stressbewältigung und Reizregulation
  • Schlafmedizinische Diagnostik:
    • Ausschluss organischer Ursachen wie Schlafapnoe, Restless-Legs-Syndrom (RLS) oder andere schlafbezogene Störungen
    • Durchführung einer Polysomnographie im Schlaflabor bei Bedarf
  • Melatonin-Therapie:
    • In enger Absprache mit der behandelnden Ärztin oder dem behandelnden Arzt
    • Besonders hilfreich bei ADHS, wenn eine verschobene Schlaf-Wach-Rhythmik oder Einschlafverzögerung vorliegt
    • Nur medizinisch verordnet, keine Selbstmedikation mit frei verkäuflichen Präparaten

Wichtig: Bei einer bestehenden ADHS-Diagnose sollte das Thema Schlaf aktiv in die Therapie integriert werden. Schlafprobleme sind kein Nebensymptom, sondern können die Kernsymptome der ADHS erheblich verschärfen. Eine ganzheitliche Behandlung berücksichtigt daher immer auch den Schlaf, nicht nur als Folgeproblem, sondern als zentralen Bestandteil der psychischen Gesundheit (Wajszilber et al., 2018).

Rezensentenblock

Porträt von Dr. Almedina Berisha, Ärztin im Team von klaro-adhs.ch. Sie unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Diagnostik und Therapie von ADHS in der Schweiz. Das Bild zeigt sie im weissen Arztkittel mit Stethoskop vor einem klaro-Hintergrund.

Almedina Berisha

Ärztin Innere Medizin
Almedina Berisha ist Ärztin für Innere Medizin in der Schweiz mit besonderem Interesse an psychosomatischen Zusammenhängen und neurobiologischen Faktoren von ADHS. Sie prüft medizinische Inhalte auf klaro-adhs.ch auf wissenschaftliche Genauigkeit, klinische Relevanz und patientenverständliche Darstellung. Ihr Fokus liegt auf einer praxisnahen Vermittlung komplexer Themen der Erwachsenenmedizin und psychischen Gesundheit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

  • Bei ADHS-bedingten Schlafstörungen helfen feste Routinen, ein strukturierter Tagesablauf und eine reizarme Schlafumgebung. Abends sind Entspannungstechniken wie Atemübungen, Meditation oder progressive Muskelentspannung sinnvoll. Auch Lichtmanagement spielt eine grosse Rolle: Morgens helles Tageslicht, abends gedämpftes Licht. Wenn Schlafprobleme länger anhalten, ist eine ärztliche oder therapeutische Abklärung empfehlenswert – insbesondere zur Anpassung von Medikation und Schlafrhythmus.

Quellenverzeichnis

  1. Díaz-Román, A., Mitchell, R., & Cortese, S. (2018). Sleep in adults with ADHD: Systematic review and meta-analysis of subjective and objective studies. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 89, 61–71. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2018.02.014
  2. Van Veen, M. M., Kooij, J. J. S., Boonstra, A. M., Gordijn, M. C. M., & Van Someren, E. J. W. (2010). Delayed circadian rhythm in adults with attention-deficit/hyperactivity disorder and chronic sleep-onset insomnia. Biological Psychiatry, 67(11), 1091–1096. https://doi.org/10.1016/j.biopsych.2009.12.032
  3. Van der Heijden, K. B., Smits, M. G., Van Someren, E. J. W., Ridderinkhof, K. R., & Gunning, W. B. (2007). Effect of melatonin on sleep, behavior, and cognition in ADHD and chronic sleep-onset insomnia. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 46(2), 233–241. https://doi.org/10.1097/01.chi.0000246055.76167.0d
  4. Cortese, S., Faraone, S. V., Konofal, E., & Lecendreux, M. (2009). Sleep in children with attention-deficit/hyperactivity disorder: Meta-analysis of subjective and objective studies. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 48(9), 894–908. https://doi.org/10.1097/CHI.0b013e3181ac09c9
  5. Ahlberg, R., Garcia-Argibay, M., Taylor, M., Lichtenstein, P., D’Onofrio, B. M., Butwicka, A., Hill, C., Cortese, S., Larsson, H., & Du Rietz, E. (2023). Prevalence of sleep disorder diagnoses and sleep medication prescriptions in individuals with ADHD across the lifespan: A Swedish nationwide register-based study. BMJ Mental Health, 26(1), e300809. https://mentalhealth.bmj.com/content/26/1/e300809
  6. Wajszilber, D., Santiseban, J. A., & Gruber, R. (2018). Sleep disorders in patients with ADHD: Impact and management challenges. Nature and Science of Sleep, 10, 453–480. https://doi.org/10.2147/NSS.S163074
  7. Wang, Y., Huang, L., Zhang, L., Qu, Y., & Mu, D. (2017). Iron status in attention-deficit/hyperactivity disorder: A systematic review and meta-analysis. PLOS ONE, 12(1), e0169145. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0169145

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