Viele Menschen mit ADHS träumen von mehr Freiheit im Job und landen früher oder später in der Selbstständigkeit. Die Aussicht, den eigenen Arbeitsalltag selbst zu gestalten, kreative Projekte umzusetzen und sich nicht ständig an externe Vorgaben anpassen zu müssen, erscheint verlockend. Doch die Realität ist oft komplexer. In diesem Artikel zeigen wir dir, warum ADHS und Selbstständigkeit so häufig zusammenkommen, welche Herausforderungen auftreten und wie du deine Stärken gezielt nutzen kannst, um erfolgreich zu sein (Verheul et al., 2018).
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Warum ADHS und Selbstständigkeit oft zusammengehören
Studien und Erfahrungsberichte zeigen: Menschen mit ADHS machen sich überdurchschnittlich häufig selbstständig. Und das hat gute Gründe (Verheul et al., 2018).
Typische ADHS-Stärken für Unternehmer:innen:
- Kreativität und unkonventionelles Denken
- Leidenschaft für eigene Projekte
- Flexibilität und hohe Anpassungsfähigkeit
- Hyperfokus bei starker Begeisterung
- Mut, Neues auszuprobieren und Risiken einzugehen
- Schnelle Auffassungsgabe und intuitives Denken
Diese Eigenschaften sind in vielen klassischen Jobs nur begrenzt gefragt, in der Selbstständigkeit hingegen können sie zum entscheidenden Vorteil werden. Ob im kreativen Bereich, im Coaching, Handwerk oder als Solo-Selbstständige im digitalen Bereich: Menschen mit ADHS gründen oft nicht trotz, sondern wegen ihrer Besonderheiten (Verheul et al., 2018).
Zudem schätzen viele ADHS-Betroffene die Möglichkeit, eigene Regeln zu definieren, eigene Projekte zu priorisieren und ihren Arbeitsstil an ihre individuellen Bedürfnisse anzupassen, etwa mit flexiblen Arbeitszeiten oder kreativen Phasen in der Nacht (Verheul et al., 2015).
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Die Schattenseite: Stolperfallen der Selbstständigkeit mit ADHS
So sehr die Selbstständigkeit lockt, so gross sind die potenziellen Herausforderungen:
Typische Stolperfallen:
- Strukturmangel: Ohne klare Strukturen fällt es vielen schwer, den Überblick zu behalten.
- Prokrastination & Ablenkung: Langweilige Aufgaben wie Buchhaltung oder Verträge werden gerne hinausgeschoben.
- Impulsivität: Neue Ideen erscheinen oft verlockender als laufende Projekte, mit der Gefahr des ständigen Neuanfangs.
- Schwierigkeiten mit Routineaufgaben: Was wenig Reiz bietet, fällt besonders schwer.
- Finanzmanagement: Unregelmässiges Einkommen, fehlender Überblick über Einnahmen und Ausgaben.
- Überforderung durch Multitasking: Viele Projekte gleichzeitig, aber nichts wird fertig.
Das Resultat: Vielversprechende Projekte werden nicht fertig, Deadlines verstreichen, Stress und Überforderung nehmen zu, manchmal mit dem Risiko des beruflichen Scheiterns.
Ein weiteres Risiko: soziale Isolation. Selbstständigkeit bedeutet oft, allein zu arbeiten. Für Menschen mit ADHS, die von Austausch profitieren, kann das belastend sein (Verheul et al., 2015).
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Selbstmanagement mit ADHS: was wirklich hilft
Der Weg in die Selbstständigkeit mit ADHS erfordert ein gutes Selbstmanagement, und realistische Erwartungen.
Konkrete Strategien, die sich bewährt haben:
- Tagesstruktur schaffen: Feste Arbeitszeiten, klare Morgenroutinen, wöchentliche Planungen.
- Externe Hilfen nutzen: Buchhaltung outsourcen, Termine mit Business-Coach oder ADHS-Therapeut:in vereinbaren.
- Projektmanagement-Tools verwenden: Tools wie Trello, Notion oder Todoist helfen, Prioritäten zu setzen.
- Verbindlichkeit schaffen: Mit Co-Working-Buddys oder einem Accountability-Partner gemeinsam planen und reflektieren.
- Impulse notieren, nicht sofort umsetzen: So werden Ideen nicht vergessen – aber auch nicht ständig zur Ablenkung.
- Pausen aktiv einbauen: Besser 90 Minuten produktiv als 4 Stunden planlos.
- Routinen automatisieren: Feste Tage für Buchhaltung, Marketing oder Akquise einführen.
Auch Apps und Coaching-Angebote für ADHS-Selbstständige in der Schweiz, z. B. via ADHS Coach Bern, können wertvolle Unterstützung bieten.
Tipp: Wer Schwierigkeiten beim Start hat, kann sich auch begleitet selbstständig machen, z. B. über Programme zur beruflichen Wiedereingliederung, sozialunternehmerische Netzwerke oder berufliche Integrationsmassnahmen mit ADHS-Fokus (Jangmo et al., 2021).
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Wann ist Selbstständigkeit trotz ADHS sinnvoll und wann nicht?
Nicht jede ADHS-Diagnose macht Selbstständigkeit zur besten Wahl (“ADHD and occupational outcomes”, n.d.). Entscheidend sind:
- Dein Symptomprofil (z. B. stark unaufmerksamer Subtyp vs. impulsiv-hyperaktiv)
- Deine Selbstmanagement-Fähigkeiten
- Dein soziales Umfeld (Unterstützung durch Partner:in, Familie, Netzwerk?)
- Deine Vorerfahrungen in Organisation, Zeit- und Finanzplanung
Indikatoren für einen guten Start:
- Du hast bereits kleinere Projekte erfolgreich abgeschlossen.
- Du kennst deine typischen ADHS-Herausforderungen und arbeitest aktiv daran.
- Du holst dir gezielt Hilfe (Coach, Buchhalter:in, Assistenz).
- Du hast eine klare Geschäftsidee und erste Kund:innenkontakte.
Warnzeichen:
- Du fühlst dich ständig überfordert.
- Du vermeidest Aufgaben systematisch (z. B. Rechnungen, Kund:innenkontakt).
- Du wechselst ständig zwischen Ideen und verlierst den Fokus.
- Du beginnst Projekte euphorisch, verlierst aber schnell die Motivation.
- Du hast keinen Plan B, falls die Selbstständigkeit nicht funktioniert.
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Fazit: Selbstständigkeit mit ADHS: kein leichter Weg, aber möglich
Mit ADHS selbstständig zu arbeiten bedeutet oft mehr Arbeit am eigenen System als am Unternehmen selbst. Aber: Wer es schafft, seine Stärken zu erkennen, Routinen zu etablieren und sich Unterstützung zu holen, kann nicht nur bestehen, sondern aufblühen (“ADHD and occupational outcomes”, n.d.).
Unser Tipp: Hol dir Unterstützung. Ob durch eine Selbsthilfegruppe, einen ADHS Job Coach, eine strukturierte Berufsberatung oder eine ADHS-sensible Businessberatung, mit dem richtigen Team kannst du deinen Weg gehen.
Denn letztlich gilt: ADHS ist keine Schwäche, sondern ein anderes Betriebssystem. Und mit den passenden Tools kannst du dein Business genauso gut steuern wie jede:r andere.
Wenn du es schaffst, deine Energie zu bündeln, dich mit Gleichgesinnten zu vernetzen und deinem Arbeitsalltag klare Strukturen gibst, dann kann Selbstständigkeit für dich nicht nur ein realistischer Weg sein, sondern ein Weg in mehr Zufriedenheit, Selbstbestimmung und beruflichen Erfolg (Hotte-Meunier, 2024).
Weitere Tipps, Ressourcen und Kontakte folgen im nächsten Teil unserer Serie „ADHS & Selbstständigkeit“, bald mehr auf klaro-adhs.ch.