Ein Bewerbungsgespräch mit ADHS kann nervenaufreibend sein, muss es aber nicht. Viele Menschen mit Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung tun sich schwer mit klassischen Bewerbungssituationen: Reizverarbeitung, Spontaneität, Selbstpräsentation und soziale Erwartungen auf engem Raum. Gleichzeitig verfügen sie über besondere Stärken wie Authentizität, Begeisterungsfähigkeit und Ehrlichkeit, die im Gespräch einen echten Unterschied machen können (Barkley et al., 2006).
In diesem Artikel zeigen wir dir, wie du dich gezielt auf dein Vorstellungsgespräch vorbereitest, welche Strategien bei ADHS und Bewerbung helfen und ob, wie und wann du deine Diagnose ansprechen solltest. Zudem werfen wir einen Blick auf mögliche Sonderregelungen in der Schweiz, etwa Nachteilsausgleiche und Coaching-Angebote speziell für ADHS Betroffene (Barkley et al., 2006).
-
Vorbereitung ist alles: Struktur vor Spontaneität
Menschen mit ADHS profitieren besonders von klaren Strukturen. Spontane Fragen im Gespräch können schnell zu Stress führen, umso wichtiger ist es, mögliche Abläufe vorab zu simulieren (Lasser et al., 2007).
Praktische Vorbereitungsstrategien:
- Fragen schriftlich vorab beantworten: Typische Fragen wie „Was sind Ihre Stärken/Schwächen?“ oder „Warum bewerben Sie sich bei uns?“ vorher schriftlich ausformulieren.
- Selbstpräsentation üben: In 2 Minuten erklären, wer du bist und was dich ausmacht, am besten mehrfach vor dem Spiegel oder mit einer Vertrauensperson proben.
- Fakten zum Unternehmen notieren: Kurzprofil, Produkte, Werte und Fragen zur Stelle. Stichworte genügen.
- Notizen mitnehmen: Im Gespräch darfst du gerne auf deinen Zettel schauen. Das wirkt vorbereitet und professionell.
- Simulation mit Dritten: Lass dich von Freund:innen oder einem Coach befragen. So erkennst du typische Stolpersteine und gewinnst Sicherheit.
Tipp: Wenn du dich unsicher fühlst, kann ein auf ADHS Job Coaching spezialisierter Coach helfen, dein Auftreten zu trainieren und das Bewerbungsgespräch zu simulieren (Kooij et al., 2022).
-
Soll ich über mein ADHS sprechen?
Die Frage, ob man im Vorstellungsgespräch offen über ADHS sprechen sollte, ist individuell zu beantworten. Wichtig ist: Es gibt kein Recht auf Diskriminierung, du darfst über dein ADHS sprechen, musst es aber nicht (Larsson et al., 2023).
Gründe für Offenheit:
- Du benennst konkret, welche Unterstützung du brauchst (z. B. klarere Briefings, mehr Struktur).
- Du kannst zeigen, dass du reflektiert mit deiner Diagnose umgehst.
- Du willst Missverständnissen im Team von Anfang an vorbeugen.
- Du bewirbst dich z. B. über ein IV-unterstütztes Programm oder bei einem Arbeitgeber mit Diversity-Fokus.
Gründe dagegen:
- Du fürchtest Stigmatisierung und willst dich auf deine Stärken konzentrieren.
- Du bist gut eingestellt (medikamentös oder therapeutisch) und brauchst keine besonderen Anpassungen.
- Die Stelle erfordert keine Offenlegung – und du möchtest den Fokus auf deine Qualifikationen lenken.
Formulierungsbeispiel:
«Ich habe eine ausgeprägte Stärke darin, kreativ zu denken und komplexe Probleme schnell zu erfassen. Um das optimal einzusetzen, helfen mir klare Ziele und strukturierte Abläufe.»
-
Bewerbungsschreiben: Authentisch und klar
Menschen mit ADHS haben oft Mühe, ein Bewerbungsanschreiben ohne Umwege zu formulieren. Wichtig: Du brauchst keine langen Floskeln, sondern eine klare, ehrliche und gut strukturierte Botschaft (Larsson et al., 2023).
Aufbau-Tipp für das Bewerbungsschreiben bei ADHS:
- Warum interessiert dich die Stelle?
- Was bringst du mit? (Erfahrungen, Stärken, Motivation)
- Warum bist du eine gute Ergänzung für das Team?
- Was sind deine Erwartungen an die Zusammenarbeit?
Achte auf eine einfache Sprache und klare Sätze. Vermeide verschachtelte Gedanken, gliedere den Text gut. Eine strukturierte Vorlage oder ein Gespräch mit einem Coach für ADHS Bewerbungsschreiben kann enorm helfen (Larsson et al., 2023).
-
Vorstellungsgespräch meistern: Tipps für mehr Souveränität
Mit ADHS im Bewerbungsgespräch souverän zu bleiben, heisst nicht, perfekt zu funktionieren. Vielmehr geht es darum, deine Energie zu kanalisieren (Seemab & Faisal, 2024).
Konkret heisst das:
- Kleidung vorab wählen: Outfit vorbereiten, das bequem ist und zu dir passt.
- Frühzeitig anreisen: Plane genug Zeit ein, um Stress zu vermeiden.
- Tief durchatmen: Atemübungen vor dem Gespräch helfen, fokussiert zu bleiben.
- Blickkontakt üben: Freundlicher Blickkontakt statt starren oder ausweichenden Blicken.
- Unruhe-Kompensation: Ein kleiner Gegenstand (z. B. Magnetstein in der Tasche) kann helfen, sich bei Nervosität zu zentrieren.
- Rückfragen vorbereiten: Zeig Interesse, z. B. durch eine kluge Frage zur Unternehmenskultur oder zur Einarbeitung.
-
Nach dem Gespräch: Reflektieren & dranbleiben
Auch wenn ein Vorstellungsgespräch nicht ideal läuft, ist es kein Weltuntergang (Bul et al., 2022). Wichtig ist, dass du danach reflektierst:
- Was lief gut?
- Was fiel dir schwer?
- Welche Fragen kamen unerwartet?
- Was kannst du beim nächsten Mal anders machen?
Extra-Tipp: Schicke ein kurzes, freundliches Dankes-Mail. Das zeigt Professionalität und bleibt in Erinnerung. Falls du ein gutes Gefühl hattest: Erkundige dich nach etwa 10 Tagen freundlich nach dem Stand der Entscheidung.
Wer bei mehreren Gesprächen übt, merkt oft schnell Fortschritte. Nutze auch Angebote wie die Berufsberatung adhs, um Bewerbungsprozesse langfristig gut zu begleiten (Bul et al., 2022).
Fazit: Bewerbung mit ADHS: kein Nachteil, wenn du deine Stärken kennst
ADHS muss bei der Bewerbung kein Hindernis sein. Wer sich gut vorbereitet, die eigenen Bedürfnisse kennt und authentisch auftritt, kann im Vorstellungsgespräch überzeugen. Ob du dein ADHS offen ansprichst, liegt bei dir, wichtig ist, dass du dich nicht versteckst, sondern deine Kompetenzen selbstbewusst zeigst (Occupational issues of adults with ADHD, 2013).
Gerade durch ihre Kreativität, Energie und Offenheit sind viele Menschen mit ADHS besonders wertvolle Mitarbeitende. Mit ADHS erfolgreich im Beruf zu sein, beginnt oft mit einer Bewerbung, die zu dir passt und in der du dich nicht verstellst, sondern mit Klarheit, Persönlichkeit und realistischer Einschätzung überzeugst.