Der Umgang mit Geld verlangt Planung, Voraussicht und Selbstkontrolle, genau jene Fähigkeiten, mit denen viele Menschen mit ADHS im Alltag kämpfen. Rechnungen bezahlen, Budgets einhalten, Ausgaben im Blick behalten: Was für andere eine lästige, aber machbare Aufgabe ist, wird bei ADHS schnell zur Überforderung.
Das liegt nicht daran, dass Betroffene nicht wüssten, wie Finanzplanung grundsätzlich funktioniert. Im Gegenteil: Viele verfügen über ein gutes Verständnis für Geld und Verantwortung. Doch zwischen Wissen und Umsetzung klafft oft eine große Lücke. Die Ursache liegt in den neurobiologischen Besonderheiten der ADHS, etwa in einer verminderten Fähigkeit, Impulse zu kontrollieren, Handlungen zu planen und konsequent zu verfolgen. All das sind essenzielle Voraussetzungen für einen stabilen Umgang mit Finanzen (Koerts et al., 2022).
Hinzu kommt: Menschen mit ADHS sind häufig sehr empfänglich für äußere Reize und emotionale Schwankungen. Ein schlechtes Gefühl, eine stressige Woche oder auch ein gutes Angebot im Supermarkt, schon kann ein spontaner Kauf zur gefühlten Lösung werden. Was kurzfristig als Belohnung wirkt, führt langfristig zu Frust, Kontostress oder sogar Schulden.
Ein weiteres Problem: Wiederkehrende finanzielle Aufgaben wie das Begleichen von Rechnungen oder das Prüfen des Kontostands werden oft vergessen oder aufgeschoben. Mahngebühren, überzogene Konten oder ungewollt verlängerte Abos sind für viele ein wiederkehrendes Ärgernis, und kosten nicht nur Geld, sondern auch Selbstvertrauen (Koerts et al., 2022).
Diese kleinen und großen Stolpersteine summieren sich. In der Community spricht man hier bereits von der sogenannten „ADHS Steuer“ – jenen zusätzlichen Kosten, die entstehen, weil Organisation, Planung und Struktur nicht zuverlässig funktionieren. Das kann auf Dauer nicht nur finanziell belasten, sondern auch emotional: Viele Betroffene fühlen sich wiederholt als „Versager“ im System – obwohl sie in anderen Lebensbereichen oft sehr leistungsfähig sind.
Die gute Nachricht: Mit gezielten Strategien und passenden Hilfsmitteln lässt sich auch bei ADHS ein sicherer Umgang mit Geld etablieren. Entscheidend ist nicht Perfektion, sondern ein System, das zum eigenen Alltag passt – flexibel, realistisch und leicht umsetzbar (Koerts et al., 2022).
Impulskäufe erkennen und kontrollieren
Impulskäufe sind bei ADHS keine Seltenheit, das Gehirn sucht nach Dopamin, nach einem schnellen Belohnungseffekt. Ob neue Kleidung, Technik oder Food-Delivery: Der Klick ist schnell gemacht, das schlechte Gewissen folgt später. Wichtig ist deshalb, Mechanismen zur Impulskontrolle zu etablieren.
Was hilft konkret?
- Wartezeit einbauen: Lege eine 24-Stunden-Regel fest, bevor du etwas kaufst. Ein Wunsch, der einen Tag später noch besteht, ist meist realistischer als ein spontaner Impuls (He et al., 2024).
- Einkaufslisten nutzen: Halte dich beim Einkaufen, online wie offline, konsequent an vorbereitete Listen (He et al., 2024).
- Kaufgedanken auslagern: Schreib dir auf, was du kaufen möchtest, mit Preis, Anlass und Verwendungszweck. Oft hilft schon das Notieren, um Distanz zum Impuls zu schaffen (He et al., 2024).
Budgetplanung: Klein, aber konsequent
Ein ausgeklügelter Finanzplan mit Excel-Tabellen und Regeln funktioniert bei ADHS oft nur auf dem Papier. Was realistischer ist: einfache, wiederkehrende Strukturen mit möglichst wenig Entscheidungsspielraum. Das Ziel: Automatisierung statt ständiger Willensanstrengung (He et al., 2024).
Beispiele für alltagstaugliche Budgetplanung:
- Fixe Wochenbudgets: Teile dein Monatsbudget in Wochenportionen auf, digital oder bar. So vermeidest du, gleich zu Monatsbeginn zu viel auszugeben (He et al., 2024).
- Zweikonten-Modell: Ein Konto für Fixkosten, eins für variable Ausgaben. Alles, was frei zur Verfügung steht, landet auf dem zweiten Konto (He et al., 2024).
- Monatlicher Überblick mit Farben: Verwende visuelle Systeme (z. B. Tortendiagramme oder Farbcodes), um Ein- und Ausgaben auf einen Blick zu erfassen (He et al., 2024).
Digitale Helfer: Finanz-Apps für Menschen mit ADHS
Apps können helfen, wiederkehrende Aufgaben zu automatisieren und Erinnerungen bereitzustellen. Wichtig ist: Die App muss intuitiv, visuell klar und leicht verständlich sein – zu viele Funktionen überfordern eher (Dare et al., 2023).
Empfehlenswerte Funktionen:
- Übersicht über Einnahmen und Ausgaben
- Regelmässige Erinnerungen an Rechnungen oder Budget-Updates
- Automatische Kategorisierung der Ausgaben
- Einfaches Setzen und Verfolgen von Sparzielen
Tipp: Auch ein Konto auf Guthabenbasis (ohne Dispo) kann helfen, den finanziellen Rahmen klar zu halten.
Body Doubling & Gruppenangebote für Finanzthemen
Was beim Arbeiten hilft, kann auch beim Thema Finanzen funktionieren: Body Doubling, also das parallele Bearbeiten von Aufgaben in Anwesenheit anderer. Ob vor Ort oder online, die Präsenz einer anderen Person schafft Fokus (Dare et al., 2023).
Weitere Möglichkeiten:
- Virtuelle Co-Finanzplanung: In Online-Meetings gemeinsam Budget durchgehen, Rechnungen abheften oder To-dos abarbeiten
- Finanzgruppe für ADHS-Betroffene: Erfahrungsaustausch, Motivation und kleine Challenges wie „7 Tage ohne Impulskauf“
- Accountability-Partner: Jemand, dem du einmal pro Woche über deine Finanzen berichtest, schriftlich oder mündlich
Finanzziele sichtbar machen
Menschen mit ADHS fällt es oft schwer, an zukünftige Konsequenzen zu denken – besonders in Momenten starker Emotionen oder spontaner Impulse. Das „Zukunfts-Ich“, also die Vorstellung davon, wie man sich später für eine kluge Entscheidung bedanken wird, bleibt oft abstrakt und weit entfernt. Genau hier setzen visuelle Anker an (Gao et al., 2023).
Statt sich auf reine Willenskraft zu verlassen, helfen konkrete Bilder, das Ziel präsent zu halten. Ein Foto vom nächsten Reiseziel im Portemonnaie oder eine Collage mit Wunschzielen am Kühlschrank wirken nicht nur motivierend – sie schaffen auch eine emotionale Verbindung zur Zukunft. Sie erinnern daran, warum es sich lohnt, auf einen spontanen Kauf zu verzichten und stattdessen Geld zurückzulegen (Gao et al., 2023).
Auch kleine Hilfen im Alltag können den Unterschied machen: Eine handschriftliche Notiz am Bildschirm mit dem Satz „Will ich das wirklich, oder lenkt es mich nur ab?“ Oder eine einfache Sparziel-Grafik im Flur, auf der man jeden Fortschritt farblich markieren kann. Wer lieber digital arbeitet, kann auf Budget-Apps mit Zielvisualisierung zurückgreifen, etwa mit Fortschrittsbalken oder Erinnerungsbildern (Giacomantonio & Howard, 2024).
Wichtig ist: Es muss nicht perfekt oder besonders aufwendig sein. Schon ein einzelnes Bild kann helfen, in einem impulsiven Moment innezuhalten. Denn genau dieser kurze Moment des Innehaltens ist oft entscheidend, und kann der Schlüssel zu einem besseren Umgang mit Geld sein.
Fazit: Finanzen mit ADHS: kleine Schritte, grosse Wirkung
Mit ADHS finanzen im Griff zu behalten, ist keine Frage der Disziplin, sondern der Struktur. Wenn Systeme einfach genug sind, um sie wirklich zu nutzen, können sie nachhaltig entlasten. Es braucht keine perfekte Haushaltsbuch-App oder komplexe Excel-Tabelle. Oft reichen einfache Routinen, bewusste Kaufpausen und das Wissen: Ich bin nicht allein mit diesem Thema. Schritt für Schritt lassen sich auch Finanzen mit ADHS besser organisieren, ohne Druck, aber mit Plan.