ADHS betrifft nicht nur die Aufmerksamkeit und Impulsivität, auch körperliche Prozesse sind involviert. Dazu zählen unter anderem der Stoffwechsel, das Hungergefühl, die Nährstoffverwertung sowie die hormonelle Regulation. Zahlreiche Betroffene, sowohl Kinder als auch Erwachsene, zeigen ein auffälliges Essverhalten. Typisch sind unregelmässige Mahlzeiten, Heisshungerattacken insbesondere auf süsse und stark verarbeitete Lebensmittel, sowie zeitweise Appetitlosigkeit, die nicht selten mit der Einnahme von ADHS-Medikamenten zusammenhängt. Hinzu kommt, dass viele Menschen mit ADHS Schwierigkeiten haben, körperliche Signale wie Hunger und Sättigung richtig zu deuten oder im Alltag konsequent darauf zu reagieren (Pelsser et al., 2011).
Studien zeigen zudem, dass bestimmte Nährstoffe, wie etwa Omega-3-Fettsäuren, Magnesium oder Zink, eine wichtige Rolle in der Neurotransmitter-Regulation spielen, also bei der Steuerung jener Botenstoffe im Gehirn, die bei ADHS aus dem Gleichgewicht geraten können. Dazu gehören insbesondere Dopamin, Noradrenalin und Serotonin. Diese Substanzen beeinflussen unter anderem Konzentration, Impulskontrolle und Stimmungslage, alles Bereiche, die bei ADHS beeinträchtigt sein können (Pelsser et al., 2011).
Eine gezielte, nährstoffreiche Ernährung kann die ADHS-Symptomatik zwar nicht heilen, aber sie ist ein bedeutsamer unterstützender Faktor: Sie kann helfen, die Konzentration zu verbessern, emotionale Schwankungen zu glätten, impulsives Verhalten zu regulieren und die Gesamtwirkung von medikamentöser oder psychotherapeutischer Behandlung zu verstärken. Wichtig dabei ist, keine pauschalen Diäten zu verfolgen, sondern auf eine individuell abgestimmte, alltagstaugliche und ausgewogene Ernährung zu setzen, die Genuss, Struktur und Nährstoffdichte verbindet (Pelsser et al., 2011).
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Die Basis: Ausgewogene und regelmässige Mahlzeiten

Menschen mit ADHS profitieren besonders von einer klaren Struktur, das gilt auch für die Ernährung. Feste Essenszeiten helfen nicht nur dabei, Routinen zu etablieren, sondern unterstützen auch die Regulation des Blutzuckerspiegels. Drei Hauptmahlzeiten pro Tag sowie ein bis zwei kleine Zwischenmahlzeiten beugen Konzentrationseinbrüchen und Stimmungsschwankungen vor (Pelsser et al., 2011).
Im Fokus stehen vollwertige, ballaststoffreiche Lebensmittel, die eine langsame und stetige Energiezufuhr ermöglichen. Wichtig ist auch, dass jede Mahlzeit eine ausgewogene Kombination aus langsam verdaulichen Kohlenhydraten, hochwertigen Proteinen und gesunden Fetten enthält. So wird nicht nur der Energiehaushalt stabilisiert, sondern auch die geistige Leistungsfähigkeit unterstützt (Pelsser et al., 2011).
Beispiele für alltagstaugliche Mahlzeiten:
- Frühstück: Haferflocken mit frischen Beeren, Chiasamen und einem Löffel Nussmus
- Mittagessen: Vollkornreis oder Quinoa mit Linsen, gebratenem Gemüse und etwas Olivenöl
- Snack: Ungesüsstes Naturjoghurt mit einer halben Banane und ein paar Walnüssen oder Mandeln
- Zwischenmahlzeit: Vollkorncracker mit Hummus oder ein hartgekochtes Ei mit Rohkost
Vermeide nach Möglichkeit:
- Koffeinhaltige Getränke (z. B. Cola, Energy-Drinks, zu viel Kaffee)
- Raffinierter Zucker (Süssigkeiten, gezuckerte Frühstückscerealien, Limonaden)
- Hochverarbeitete Produkte mit vielen Zusatzstoffen (z. B. Fertiggerichte, Chips, Wurstwaren)
Diese können kurzfristig zwar für einen Energieschub sorgen, führen aber meist bald zu einem raschen Leistungsabfall, erhöhter Reizbarkeit und schlechterer Konzentration. Ein bewusster Umgang mit Ernährung kann hier entscheidend zur Stabilität im Alltag beitragen. (Sonuga-Barke et al., 2013)
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Mikronährstoffe gezielt im Blick behalten
Verschiedene Mikronährstoffe stehen im Verdacht, die ADHS-Symptome zu beeinflussen, insbesondere in Bezug auf Konzentration, Stimmung und Impulsivität. Eine gezielte Versorgung mit diesen Nährstoffen kann deshalb unterstützend wirken, insbesondere wenn durch unausgewogene Ernährung oder medikamentenbedingten Appetitmangel ein Mangel besteht (Sonuga-Barke et al., 2013).
Wichtige Mikronährstoffe im Überblick:
- Magnesium: unterstützt die Muskel- und Nervenfunktion und kann innere Unruhe sowie Reizbarkeit mindern.
- Zink: spielt eine zentrale Rolle im Dopaminstoffwechsel, der für Motivation, Belohnung und Aufmerksamkeit wichtig ist.
- Eisen: ist entscheidend für die Sauerstoffversorgung des Gehirns und kann bei einem Mangel zu Konzentrationsproblemen und Müdigkeit führen.
- Vitamin D: beeinflusst sowohl das Immunsystem als auch die Stimmungslage, ein Mangel kann depressive Symptome verstärken.
- Omega-3-Fettsäuren: insbesondere EPA und DHA wirken entzündungshemmend und fördern die neuronale Kommunikation; Studien zeigen positive Effekte bei ADHS-Symptomen.
Was du beachten solltest:
- Eine ausgewogene, vollwertige Ernährung deckt in der Regel den Bedarf an Mikronährstoffen gut ab.
- Bei anhaltendem Appetitmangel oder auffälligem Essverhalten, zum Beispiel bei einseitiger Ernährung, kann eine gezielte Supplementierung sinnvoll sein.
- Vor der Einnahme von Nahrungsergänzungsmitteln ist eine ärztliche oder ernährungsmedizinische Abklärung wichtig, insbesondere um bestehende Mängel nachzuweisen und eine Überdosierung zu vermeiden.
Tipp für den Alltag: Ein Ernährungstagebuch kann helfen, mögliche Schwachstellen in der Versorgung zu identifizieren und gleichzeitig als Grundlage für eine individuelle Beratung durch Fachpersonen dienen (Bloch & Qawasmi, 2011).
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Oligoantigene Diät: Test auf Unverträglichkeiten
Ein individueller und wissenschaftlich fundierter Ansatz zur Ernährung bei ADHS ist die sogenannte oligoantigene Diät. Diese zielt darauf ab, individuelle Nahrungsmittelunverträglichkeiten aufzudecken, die möglicherweise ADHS-Symptome verstärken. Über einen Zeitraum von mehreren Wochen, in der sogenannten Eliminationsphase, werden Lebensmittel mit hohem allergenem Potenzial konsequent gemieden (Bloch & Qawasmi, 2011). Dazu gehören unter anderem:
- Kuhmilch und Milchprodukte
- Hühnerei
- Soja und Sojaprodukte
- Glutenhaltige Getreide (z. B. Weizen, Roggen, Gerste)
- Nüsse
- Fisch und Meeresfrüchte
- Künstliche Zusatzstoffe (z. B. Farb- und Konservierungsstoffe, Geschmacksverstärker)
Im Anschluss folgt eine strukturierte Wiedereinführungsphase, bei der die ausgeschlossenen Lebensmittel einzeln und zeitlich versetzt (z. B. im Abstand von 3–5 Tagen) wieder in den Speiseplan aufgenommen werden. Ziel ist es, mögliche Reaktionen wie Unruhe, Reizbarkeit, Konzentrationsprobleme oder Schlafstörungen genau zu beobachten und im Ernährungstagebuch zu dokumentieren (Wang et al., 2017).
Wichtige Voraussetzungen:
- Enge Begleitung durch erfahrene Fachpersonen (z. B. Ernährungsberater:innen oder Fachärzt:innen)
- Detailliertes Ernährungstagebuch zur Verlaufskontrolle
- Hohe Motivation und Verlässlichkeit bei der Umsetzung
Vorteile:
- Individuell anpassbar und gezielt auf persönliche Reaktionen abgestimmt
- Kann helfen, versteckte Ernährungseinflüsse auf die ADHS-Symptomatik sichtbar zu machen
Nachteile:
- Hoher Aufwand im Alltag (Planung, Kochen, Dokumentation)
- Sozial herausfordernd, besonders bei Kindern oder im familiären Umfeld
- Keine Garantie auf spürbare Verbesserung
Fazit: Die oligoantigene Diät eignet sich besonders für Betroffene, bei denen der Verdacht auf eine ernährungsbedingte Verstärkung der Symptome besteht. Sie ersetzt keine klassische ADHS-Therapie, kann diese aber sinnvoll ergänzen, vor allem, wenn sie professionell begleitet wird und mit Geduld durchgeführt wird (Wang et al., 2017).
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Die Rolle von Zucker & Zusatzstoffen
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ucker steht seit Jahrzehnten im Verdacht, ADHS-Symptome zu verstärken. Zwar ist die Studienlage dazu uneinheitlich, doch viele Hinweise deuten darauf hin, dass ein übermässiger Zuckerkonsum die Reizverarbeitung im Gehirn beeinträchtigen kann. Insbesondere schnelle Blutzuckerschwankungen wirken sich negativ auf Stimmung, Konzentration und Impulskontrolle aus. Auch Heisshungerattacken und Energiestürze sind typische Folgen, die bei ADHS zusätzlich belastend wirken können (Effatpanah et al., 2019).
Ebenso kritisch zu betrachten sind künstliche Farbstoffe, Aromen und Konservierungsmittel. Studien zeigen, dass diese Zusatzstoffe bei sensiblen Personen, insbesondere bei Kindern, zu einer Verschlechterung der Symptomatik führen können. Besonders betroffen sind Farbstoffe wie Tartrazin (E102), Chinolingelb (E104) oder Allurarot (E129), die häufig in bunten Süssigkeiten, Softdrinks oder Fertigprodukten enthalten sind (Effatpanah et al., 2019).
Empfehlungen für den Alltag:
- Süssigkeiten bewusst dosieren: als gelegentliche Ausnahme statt täglicher Snack
- Getränke ohne Zuckerzusatz bevorzugen: z. B. Wasser, ungesüsste Tees oder Schorlen aus 100 % Fruchtsaft
- Etiketten prüfen: Achte auf versteckten Zucker (z. B. Glukosesirup, Maltodextrin) und künstliche Zusatzstoffe
- Selber machen statt Fertiggerichte: Selbst zubereitete Speisen enthalten weniger Zusätze und sind nährstoffreicher
Wer sich an einer möglichst naturbelassenen Ernährung orientiert, kann das Risiko für unerwünschte Reaktionen deutlich senken. Besonders bei Kindern lohnt es sich, gemeinsam gesunde Alternativen zu finden, die Spass machen, etwa selbstgemachtes Fruchteis, Energy Balls oder Müsliriegel ohne Zusatzstoffe (Effatpanah et al., 2019).
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Darm-Hirn-Achse: Die unterschätzte Verbindung
Ein gesunder Darm ist die Grundlage für ein gesundes Gehirn, dieser Zusammenhang wird in der Medizin und Ernährungswissenschaft immer deutlicher. Über die sogenannte Darm-Hirn-Achse stehen Verdauungssystem und Zentrales Nervensystem in einem ständigen Austausch. Diese bidirektionale Kommunikation erfolgt unter anderem über das enterische Nervensystem, Botenstoffe wie Serotonin sowie über das Immunsystem (Khoshbakht et al., 2018).
Wenn das Mikrobiom, also die Zusammensetzung der Billionen Darmbakterien, aus dem Gleichgewicht gerät, kann das nicht nur zu Verdauungsproblemen führen, sondern auch die psychische Stabilität beeinträchtigen. Studien deuten darauf hin, dass Menschen mit ADHS häufiger eine veränderte Darmflora aufweisen. Die genauen Zusammenhänge werden aktuell intensiv erforscht, aber erste Hinweise legen nahe, dass eine gestörte Darmgesundheit mit erhöhter Reizbarkeit, Konzentrationsproblemen und Stimmungsschwankungen korrelieren kann (McCann et al., 2007).
Positive Effekte auf die Darmgesundheit können haben:
- Ballaststoffe aus Vollkornprodukten, Hülsenfrüchten, Obst und Gemüse, sie dienen den guten Darmbakterien als Nahrung
- Fermentierte Lebensmittel, z. B. Joghurt, Kefir, Sauerkraut, Kimchi, sie liefern lebende Milchsäurebakterien
- Präbiotika (z. B. Inulin, resistente Stärke), fördern gezielt das Wachstum nützlicher Darmkeime
- Probiotika, enthalten gezielte Bakterienstämme zur Ergänzung des Mikrobioms, z. B. in Form von Nahrungsergänzungsmitteln
Praktische Tipps:
- Integriere täglich verschiedene pflanzliche Lebensmittel in den Speiseplan
- Achte auf möglichst unverarbeitete, ballaststoffreiche Mahlzeiten
- Experimentiere mit fermentierten Lebensmitteln, am besten klein anfangen
- Nimm Veränderungen achtsam wahr und dokumentiere bei Bedarf Wirkungen in einem Ernährungstagebuch
Wichtig ist auch hier: Es braucht keine strikten Vorgaben oder „Wundermittel“, sondern ein achtsames Beobachten der individuellen Reaktionen. Was der einen Person gut tut, kann bei einer anderen kaum Wirkung zeigen. Entscheidend ist, langfristig eine darmfreundliche Ernährung zu etablieren, die schmeckt, verträglich ist und sich gut in den Alltag integrieren lässt (McCann et al., 2007).
Fazit: Ernährung ist ein Baustein, kein Ersatz für Therapie
Die richtige Ernährung bei ADHS ist kein Allheilmittel, aber sie kann helfen, das Wohlbefinden und die Alltagstauglichkeit deutlich zu verbessern. Entscheidend ist ein individueller, alltagstauglicher Ansatz, der auf regelmässige, nährstoffreiche Mahlzeiten, ein bewusstes Essverhalten und mögliche Unverträglichkeiten eingeht. Wer zusätzlich Unterstützung sucht, kann sich an Ernährungstherapeuten oder spezialisierte Fachstellen wenden, idealerweise in enger Abstimmung mit Ärzt:innen oder Psychotherapeut:innen.