Menschen mit ADHS haben nicht nur im Alltag mit Reizoffenheit, Impulsivität oder Konzentrationsproblemen zu kämpfen, auch die Nacht kann zur Herausforderung werden. Viele Betroffene berichten von besonders lebhaften, intensiven und emotional aufwühlenden Träumen, die sich kaum von realen Erlebnissen unterscheiden lassen. Nicht selten erwachen sie mitten in der Nacht mit Herzrasen, Schweißausbrüchen oder einem starken Gefühl von Bedrohung. Albträume, die mehrmals pro Woche auftreten, den Schlaf massiv stören und am Morgen ein tiefes Gefühl der Erschöpfung und Gereiztheit hinterlassen, sind keine Seltenheit (Schredl et al., 2017).
Hinzu kommt, dass der ohnehin schon empfindliche Schlaf bei ADHS durch diese nächtlichen Unterbrechungen weiter beeinträchtigt wird, was zu einem Teufelskreis führen kann: Schlechter Schlaf verstärkt die Symptome am Tag, und die erhöhte Belastung am Tag wiederum begünstigt erneute Albträume in der Nach (Schredl et al., 2017)t. Doch was steckt hinter dieser Verbindung zwischen ADHS und Albträumen? Und warum scheinen sie bei vielen Betroffenen besonders ausgeprägt zu sein?
Warum treten Albträume bei ADHS häufiger auf?
Studien zeigen: Menschen mit ADHS erleben signifikant häufiger Schlafstörungen, und dazu zählen auch Albträume. Die Ursachen dafür sind komplex und reichen von neurologischen bis hin zu psychologischen Faktoren:
- Erhöhte emotionale Reaktivität: ADHS-Betroffene reagieren oft intensiver auf emotionale Reize und verarbeiten emotionale Ereignisse anders als neurotypische Personen. Diese gesteigerte emotionale Sensitivität begleitet sie nicht nur tagsüber, sondern kann sich auch im Schlaf fortsetzen. In der Traumphase des Schlafs (REM-Schlaf) werden emotionale Inhalte besonders stark verarbeitet, was bei einer ohnehin erhöhten Reizverarbeitung zu intensiven, häufig auch negativ getönten Träumen führen kann (Schredl et al., 2017).
- Veränderte Schlafarchitektur: Studien belegen, dass Menschen mit ADHS häufig eine veränderte Schlafarchitektur aufweisen. Besonders auffällig ist eine gestörte oder verlängerte REM-Phase, also jene Schlafphase, in der die meisten Träume auftreten. Diese Instabilität kann nicht nur das Einschlafen und Durchschlafen erschweren, sondern auch die emotionale Intensität von Träumen verstärken. Zudem kann es sein, dass der Schlaf weniger erholsam ist, wodurch emotionale Eindrücke nicht adäquat verarbeitet werden können (Schredl et al., 2017).
- Stressverarbeitung im Schlaf: Der Schlaf dient dem Gehirn als wichtige Verarbeitungszeit für die Erlebnisse und Belastungen des Tages. Menschen mit ADHS sind häufiger erhöhtem Stress ausgesetzt, sei es durch soziale Reibungen, berufliche Überforderung oder innere Anspannung. Wenn das Nervensystem tagsüber kaum zur Ruhe kommt, kann der Schlaf zu einem Ort werden, an dem sich diese Überforderung in Form von Albträumen entlädt. Der Traum wird so zur Bühne ungelöster Konflikte oder Ängste (Schredl et al., 2017).
- Medikamentenwirkung: Viele ADHS-Betroffene nehmen stimulierende Medikamente wie Methylphenidat oder Amphetaminpräparate ein. Diese können den Schlafrhythmus beeinflussen, insbesondere dann, wenn sie zu spät am Tag eingenommen werden. Es gibt Hinweise darauf, dass Stimulanzien bei manchen Menschen zu einem leichteren oder fragmentierten REM-Schlaf führen. Infolgedessen kann das Traumerleben intensiver oder verzerrter ausfallen, was wiederum Albträume begünstigen kann. Gleichzeitig berichten manche Patient:innen von einer Besserung ihrer Schlafproblematik bei optimal eingestellter Medikation, hier ist also eine individuelle Abwägung entscheidend (Schredl et al., 2017).
Was unterscheidet Albträume von anderen Schlafproblemen?
Albträume gehören zu den sogenannten Parasomnien, das sind ungewöhnliche Verhaltensweisen, die während des Schlafs auftreten. Typisch für Albträume ist, dass sie meist im letzten Drittel der Nacht vorkommen, also in der REM-Phase, in der das Gehirn besonders aktiv ist und emotionale Inhalte intensiv verarbeitet werden (van Veen et al., 2010).
Im Gegensatz zu anderen nächtlichen Phänomenen wie dem «Pavor nocturnus» (Nachtschreck), bei dem Betroffene in einem Zustand extremer Verwirrung und Angst aus dem Tiefschlaf schrecken, oder dem Schlafwandeln, bei dem Handlungen ohne volles Bewusstsein stattfinden, sind sich Menschen bei einem Albtraum meist ihrer Umgebung sofort bewusst. Sie erwachen aus dem Traumzustand, sind vollständig orientiert und können sich meist lebhaft und detailliert an den Inhalt erinnern (van Veen et al., 2010).
Charakteristisch ist dabei:
- ein abruptes Erwachen mit klarer Erinnerung an den Trauminhalt
- intensive emotionale Reaktionen wie Angst, Bedrohungsgefühl, Hilflosigkeit oder Panik
- eine spürbare körperliche Reaktion, etwa durch Herzklopfen, Schweiß oder Muskelanspannung
- eine häufig anhaltende emotionale Aufgewühltheit, die auch nach dem Erwachen bestehen bleibt und das Wiedereinschlafen erschwert
Während andere Schlafstörungen oft unbewusst bleiben oder nur indirekt das Befinden am Tag beeinflussen, sind Albträume unmittelbar erlebbar und emotional stark aufgeladen. Sie können zu einer echten Belastung werden, insbesondere, wenn sie wiederholt auftreten und langfristig die Schlafqualität beeinträchtigen. Bei ADHS verstärkt sich dieses Problem oft zusätzlich durch die ohnehin erhöhte Reizverarbeitung und emotionale Empfindsamkeit der Betroffenen (Cortese et al., 2009).
Typische Inhalte von Albträumen bei ADHS
Die Trauminhalte von Menschen mit ADHS sind zwar individuell verschieden, zeigen jedoch häufig wiederkehrende Muster, die auf typische emotionale und sensorische Belastungen im Alltag zurückzuführen sind. Albträume fungieren dabei oft als Spiegel innerer Konflikte, Überforderungen oder unverarbeiteter Reize (Díaz-Román et al., 2018).
Versagensängste: Eine zentrale Rolle spielen Träume, in denen man in einer Prüfungssituation scheitert, wichtige Aufgaben nicht rechtzeitig erledigt oder durch eigene Fehler unangenehme Konsequenzen erleidet. Diese Träume entstehen oft aus einem tief verankerten Gefühl von Leistungsdruck oder dem wiederholten Erleben von Misserfolg im Alltag (Díaz-Román et al., 2018).
Soziale Zurückweisung: Albträume über Ablehnung, Isolation oder Streit mit nahestehenden Personen wie Freund:innen oder Familienmitgliedern sind bei vielen Betroffenen verbreitet. Besonders ausgeprägt ist dabei das Gefühl, „anders“ zu sein oder nicht verstanden zu werden, ein häufiges Thema bei ADHS (Díaz-Román et al., 2018).
Verlustkontrolle: Szenarien, in denen man fliehen muss, verfolgt wird oder in ausweglosen Situationen feststeckt, stehen symbolisch für das Erleben von Kontrollverlust. Dieses Gefühl kann sich tagsüber durch impulsive Handlungen oder emotionale Überforderung aufbauen und nachts in bedrückenden Träumen Ausdruck finden (Kidwell et al., 2015).
Überwältigende Sinneseindrücke: Träume, in denen grelles Licht, ohrenbetäubender Lärm oder ein unkontrollierbares Chaos dominieren, stehen oft im Zusammenhang mit der typischen Reizoffenheit bei ADHS. Diese Art von Albträumen reflektiert das Gefühl der Überforderung, das durch die permanente Aufnahme und Verarbeitung von Umweltreizen entsteht (Kidwell et al., 2015).
Nicht selten vermischen sich mehrere dieser Themen in einem einzigen Traum. Das Ergebnis ist eine besonders intensive, emotional stark aufgeladene Traumerfahrung, die die Schlafqualität nachhaltig beeinträchtigen kann. Wichtig ist: Diese Albträume sind keine bloßen Zufallsprodukte des Gehirns, sie stehen häufig in enger Verbindung mit den täglichen Herausforderungen und inneren Spannungen, denen ADHS-Betroffene ausgesetzt sind (Kidwell et al., 2015).
Was hilft gegen Albträume bei ADHS?
Die gute Nachricht: Es gibt wirksame Strategien, um die Häufigkeit und Intensität von Albträumen zu reduzieren.
Ein strukturierter Schlaf-Wach-Rhythmus, feste Abendrituale und ein reizarmer Schlafraum können helfen, die Schlafqualität insgesamt zu verbessern. Weniger Stress am Abend bedeutet auch weniger Verarbeitung im Schlaf (Harb et al., 2019).
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Imagery Rehearsal Therapy (IRT)
Dabei wird der belastende Traum gezielt umgeschrieben: Der Betroffene stellt sich im Wachzustand eine neue, weniger bedrohliche Version des Traums vor und übt diese regelmäßig ein. Studien zeigen: Diese Methode reduziert Albträume deutlich (Harb et al., 2019).
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Emotionale Regulation üben
Entspannungsmethoden wie progressive Muskelentspannung, Atemübungen oder Achtsamkeitstraining können helfen, das Stressniveau am Abend zu senken und die emotionale Grundspannung zu reduzieren (Harb et al., 2019).
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Therapeutische Begleitung nutzen
Wenn Albträume sehr häufig auftreten oder stark belasten, kann eine Psychotherapie sinnvoll sein, besonders bei begleitenden Themen wie Angststörungen, Depression oder Trauma (Yücel et al., 2020).
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Gedanken aufschreiben
Wer abends oder nachts viel grübelt, kann durch ein «Gedankenparken» Entlastung schaffen: Gedanken, Sorgen oder To-dos werden vor dem Schlafen aufgeschrieben, um das Gedächtnis zu entlasten (Yücel et al., 2020).
Fazit: Albträume sind behandelbar
Albträume müssen kein Dauerzustand sein. Gerade bei ADHS lohnt es sich, genau hinzuschauen: Welche Stressfaktoren könnten dahinter stecken? Wie sieht die Schlafroutine aus? Und welche Methoden passen zur eigenen Situation?
Mit etwas Geduld und passenden Strategien lassen sich Albträume deutlich reduzieren, für erholsamere Nächte und entspanntere Tage.