Schlaf und ADHS, das ist oft eine schwierige Kombination. Viele Betroffene kennen das Gefühl: Der Tag ist geschafft, aber der Kopf läuft weiter auf Hochtouren. Gedanken rasen, To-do-Listen tanzen durch den Kopf, der Körper will nicht abschalten, Einschlafen wird zur täglichen Herausforderung. Besonders bei Erwachsenen mit ADHS ist der Übergang vom aktiven Tagesmodus in einen entspannten Nachtrhythmus häufig gestört. Die Folge: Einschlafprobleme, nächtliches Aufwachen oder ein nicht erholsamer Schlaf (Díaz-Román et al., 2018).
Was viele nicht wissen: Eine strukturierte und individuell angepasste Schlafroutine kann helfen, genau diesen Kreislauf zu durchbrechen. Sie bietet Orientierung, reduziert Reizüberflutung und hilft dem Gehirn, zwischen Tag und Nacht zu unterscheiden. In diesem Artikel zeigen wir dir sechs einfache, aber wirkungsvolle Tipps, wie du mit ADHS zu einer besseren Nachtruhe findest – ohne Druck, aber mit Struktur (Díaz-Román et al., 2018).
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Zur gleichen Zeit ins Bett, jeden Abend
Unser Gehirn liebt Routinen, besonders dann, wenn es um biologisch gesteuerte Prozesse wie den Schlaf geht. Menschen mit ADHS haben oft eine verzögerte innere Uhr: Sie fühlen sich abends noch lange wach, kommen morgens kaum aus dem Bett und haben Mühe, einen stabilen Rhythmus zu halten. Dieser sogenannte „verzögerte Schlafphasentyp“ ist bei ADHS häufiger als in der Allgemeinbevölkerung (Díaz-Román et al., 2018).
Ein fester Schlaf-Wach-Rhythmus hilft deinem Körper, sich besser auf den Schlaf vorzubereiten. Wenn du jeden Abend zur gleichen Zeit ins Bett gehst, auch am Wochenende, lernt dein Körper, dass jetzt Entspannung angesagt ist. Der Schlafdruck baut sich gezielter auf, die innere Uhr stellt sich besser ein (Díaz-Román et al., 2018).
Warum das wichtig ist: Schwankungen im Schlafverhalten, etwa Ausschlafen am Wochenende oder sehr spätes Zubettgehen, können die innere Uhr wieder aus dem Takt bringen. Das führt dazu, dass du sonntags nicht einschlafen kannst, montags völlig gerädert bist und der Teufelskreis beginnt von vorn.
Tipp: Wähle eine feste Schlafenszeit, die zu deinem natürlichen Rhythmus passt, nicht zu früh, aber auch nicht unnötig spät. Wenn du um 7:00 Uhr aufstehen musst, solltest du idealerweise zwischen 22:30 und 23:00 Uhr ins Bett gehen.
Beispiel: Wenn du dir vornimmst, um 22:30 Uhr zu schlafen, starte deine Abendroutine spätestens um 21:30. Diese Stunde nutzt du für „Runterkommen“ – keine Mails mehr, keine Serien, sondern Übergangsaktivitäten wie Duschen, Buch lesen oder ein Entspannungsritual.
Extra-Tipp: Nutze einen analogen Wecker oder eine smarte App mit Erinnerungsfunktion, die dich sanft ans Schlafengehen erinnert. Das hilft gerade bei ADHS, wo das Zeitgefühl oft trügerisch ist. Einige Apps wie „Sleep Cycle“ oder „Calm“ unterstützen dich zusätzlich mit Schlafsounds und geführten Routinen.
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Abendrituale etablieren, klare Signale für dein Gehirn

Für Menschen mit ADHS ist der Übergang vom Tag zur Nacht oft besonders schwer. Der Kopf ist noch aktiv, das Gedankenkarussell dreht sich unaufhörlich, und selbst körperliche Müdigkeit reicht häufig nicht aus, um in den Schlaf zu finden. Genau hier können konsequent durchgeführte Abendrituale eine enorme Hilfe sein (Díaz-Román et al., 2018).
Ein Abendritual ist mehr als eine Gewohnheit, es ist ein klarer, wiederkehrender Ablauf, der deinem Gehirn signalisiert: Jetzt beginnt die Ruhephase. Mit der Zeit lernt dein Körper, auf diese Abläufe zu reagieren, vergleichbar mit einem inneren Schlafschalter, der sich durch Wiederholung und Verlässlichkeit automatisiert (Díaz-Román et al., 2018).
Warum Rituale bei ADHS so gut wirken:
Das ADHS-Gehirn ist reizoffen, sucht ständig nach Neuem, und Routinen wirken oft langweilig oder „unsinnig“. Doch gerade bei Einschlafproblemen sind vorhersehbare Abläufe ein wichtiger Anker. Sie schaffen Reizreduktion, fördern emotionale Sicherheit und helfen, das überaktive Nervensystem sanft in den Ruhemodus zu bringen (Cortese et al., 2009).
Typische Abendrituale, die sich bewährt haben:
- 10–15 Minuten Stretching oder sanftes Yoga:
Besonders Übungen mit langsamer Atmung und achtsamen Bewegungen wie „Kindhaltung“, „Vorbeuge“ oder „Beine an die Wand“ können das vegetative Nervensystem beruhigen. Wichtig: Keine anstrengenden Workouts am Abend – die erhöhen eher den Puls und machen das Einschlafen schwerer (Cortese et al., 2009). - Pflege-Routine als verlässlicher Ablauf:
Gesicht waschen, Zähne putzen, Pyjama anziehen – immer in der gleichen Reihenfolge. Klingt simpel, wirkt aber tief: Dieser Ablauf ist vorhersehbar, angenehm und gibt deinem Körper Sicherheit. Auch das Dimmen des Lichts oder das Verwenden ätherischer Öle (z. B. Lavendel) kann Teil davon sein (Cortese et al., 2009). - Lesen zum Runterkommen – aber bewusst gewählt:
Greif zu einem ruhigen Buch oder einem positiven Ratgeber. Vermeide Krimis, Thriller oder Sachbücher, die dich geistig aktivieren. Auch Comics, Tagebücher oder Bücher mit kurzen Geschichten eignen sich gut – sie überfordern nicht und lassen sich leichter „weglegen“ (Cortese et al., 2009). - Entspannende Klänge oder Meditationen:
Musik mit 60–80 Schlägen pro Minute (das Tempo des Ruhepulses) wirkt beruhigend. Playlists auf Spotify oder Apps wie Calm oder Headspace bieten geführte Einschlafmeditationen, Atemübungen und Naturklänge. Auch das Hören von braunem Rauschen („brown noise“) hat sich bei ADHS als hilfreich erwiesen (Cortese et al., 2009). - Licht als Teil des Rituals:
Reduziere Helligkeit etwa 1 Stunde vor dem Schlafen. Nutze warmes, indirektes Licht oder spezielle „Einschlaflampen“. Vermeide grelle Deckenbeleuchtung und Bildschirmlicht – sie stören die Melatoninproduktion (Cortese et al., 2009).
Bonus-Tipp: Erstelle ein festes Ritual in fester Reihenfolge
Zum Beispiel:
- Zimmer aufräumen (max. 5 Minuten)
- Licht dimmen
- Pyjama anziehen
- Zähne putzen
- 10 Minuten lesen
- Einschlafmusik starten
- Ins Bett legen, Augen schließen
Mit der Zeit lernt dein Gehirn, diese Schritte mit Ruhe und Schlaf zu verknüpfen, selbst wenn du anfangs noch unruhig bist (Cortese et al., 2009).
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Digitale Reizüberflutung vermeiden, mindestens 60 Minuten vor dem Schlaf
Handy, Tablet oder Netflix im Bett? Für viele Menschen mit ADHS ist das ein echtes Problem, und zwar nicht nur wegen der Inhalte, sondern vor allem wegen der Art, wie unser Gehirn auf digitale Reize reagiert. Das ständige Swipen, Scrollen oder Chatten sorgt für einen ununterbrochenen Dopaminfluss, was unser ohnehin reizempfängliches ADHS-Gehirn auf Hochtouren bringt – genau dann, wenn es eigentlich zur Ruhe kommen sollte (Cortese et al., 2009).
Selbst wenn du dich körperlich müde fühlst, bleibt dein Kopf wach, überstimuliert durch Benachrichtigungen, blinkende Icons, Social Media und die nächste Folge deiner Serie. Das Einschlafen verzögert sich oft um 30 bis 90 Minuten, und die Schlafqualität sinkt spürbar (Cortese et al., 2009).
Warum ist digitale Stimulation abends so problematisch?
- Blaues Licht hemmt Melatonin:
Smartphones, Tablets und Laptops strahlen ein kaltes, blaues Licht aus, das deinem Gehirn suggeriert: Es ist Tag! Dadurch wird die natürliche Ausschüttung von Melatonin – dem „Schlafhormon“, gestoppt oder stark reduziert. Die Folge: Dein biologischer Schlafrhythmus kommt aus dem Takt. - Dopaminsucht bei ADHS:
Menschen mit ADHS neigen zu Dopamin-Suchtverhalten. Apps, Likes, Nachrichten und kurze Videos liefern schnelle Belohnungsschübe. Gerade am Abend kann das zu einem regelrechten Binge führen, das Gehirn springt von einem Reiz zum nächsten und kommt nicht zur Ruhe. - Reizverarbeitung überlastet:
Die Menge an Informationen, die abends konsumiert wird (z. B. TikTok, Reels, News), überfordert das ohnehin empfindliche Reizfilter-System bei ADHS. Statt zu entspannen, laufen die Gedanken weiter, manchmal stundenlang.
Tipp: Digitale Sperrzone ab 21:30 Uhr einrichten
Setze dir einen klaren Cut-Off-Zeitpunkt: Mindestens 60–90 Minuten vor dem Schlaf keine Bildschirme mehr. Stelle dir ggf. einen täglichen Alarm oder nutze App-Blocker wie Digital Wellbeing, Forest oder StayFocusd, um die Bildschirmzeit automatisch zu begrenzen (van Veen et al., 2010).
Was stattdessen tun? Hier einige bewährte Alternativen:
- Analoge Abendgestaltung:
- Ein physisches Buch lesen (am besten ruhige oder humorvolle Lektüre)
- Tagebuch schreiben oder ein Schlafjournal führen
- Musik hören, z. B. Ambient Sounds, Naturklänge, Chillout-Playlists
- Achtsamkeitsübungen oder Meditation
- Puzzle, Malbuch, Stricken oder Basteln, Tätigkeiten mit Rhythmus beruhigen das Nervensystem
- Technische Kompromisse, wenn du dein Gerät nutzen musst:
- Nachtmodus aktivieren: Verringert das blaue Licht, z. B. mit „Night Shift“ (iOS), „Bluelight Filter“ (Android) oder Apps wie f.lux für den Computer.
- Lesemodus statt Social Media: Nutze Apps wie Kindle oder Pocket mit augenfreundlichem Hintergrund (Sepia oder Dunkelgrau).
- Nur Audio: Wenn du Medien brauchst, probiere Podcasts, Hörbücher oder beruhigende Einschlaf-Geschichten, idealerweise ohne Bildschirm.
- Digital Detox-Ritual einführen: Stelle dein Handy abends in den Flugmodus, leg es in einen anderen Raum oder in eine „digitale Schlafbox“. Ein analoger Wecker kann helfen, das Handy nicht als letzte und erste Handlung des Tages zu nutzen.
Wichtig: Es geht nicht darum, digitale Medien komplett zu verbannen, sondern sie bewusst zu ersetzen und eine gesunde Grenze zu ziehen. Gerade bei ADHS können klare Regeln und feste Routinen helfen, nicht in alte Muster zu verfallen (van Veen et al., 2010).
Mit der Zeit wird dein Gehirn lernen, dass es abends keine permanente Reizflut mehr erwartet und stattdessen den Modus Runterfahren & Schlafen aktiviert (van Veen et al., 2010).
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Sensorische Umgebung optimieren, dein Schlafraum zählt
Menschen mit ADHS reagieren besonders empfindlich auf Reize, visuell, akustisch, taktil oder sogar olfaktorisch. Das Gehirn filtert Umgebungsreize oft weniger effizient, was bedeutet: Selbst
minimale Störungen können das Einschlafen erschweren oder verhindern. Der Körper liegt im Bett, aber das Nervensystem bleibt in Alarmbereitschaft. Deshalb ist es entscheidend, dass dein Schlafzimmer als reizarme, beruhigende Umgebung gestaltet ist (van Veen et al., 2010).
Warum die sensorische Umgebung so wichtig ist
Bei ADHS ist die Reizverarbeitung oft „ungedämpft“. Während andere Menschen gewisse Störquellen ausblenden können, wirken sie bei ADHS wie ein ständiger Weckruf. Ein flackerndes Licht, eine tickende Uhr oder das Rascheln der Bettdecke reichen aus, um den Einschlafprozess zu unterbrechen, oder ihn gar nicht erst starten zu lassen. Ziel ist also: weniger Input für dein Gehirn, mehr Sicherheit und Wohlgefühl (van Veen et al., 2010).
Was konkret helfen kann:
Dunkelheit, signalisiere deinem Körper: Jetzt ist Nacht
- Nutze Verdunkelungsvorhänge, Jalousien oder eine hochwertige Schlafmaske, um jegliche Lichtquellen auszublenden, insbesondere Straßenlaternen oder leuchtende Weckerdisplays.
- Vermeide Standby-Leuchten oder blinkende LEDs von Geräten im Schlafzimmer, auch kleine Lichtquellen können dein Melatoninsystem stören.
Geräusche regulieren, oder bewusst einsetzen
- Absolute Stille ist für viele Menschen mit ADHS unangenehm, da sie innere Unruhe verstärken kann. Besser: gleichmässige Geräuschkulissen wie:
- Weisses, braunes oder rosa Rauschen
- Naturklänge (z. B. Regen, Kaminfeuer, Wasserplätschern)
- Einschlaf-Podcasts mit monotoner Stimme
- Nutze Apps wie „Noisli“, „Calm“, „Sleep Sounds“ oder klassische YouTube-Playlists.
- Alternativ: Ohrstöpsel, falls du geräuschempfindlich bist und absolute Ruhe brauchst.
Taktile Reize, was deine Haut berührt, zählt
- Menschen mit ADHS spüren oft selbst kleinste Unannehmlichkeiten, z. B. Etiketten in der Kleidung oder steife Bettwäsche.
- Achte auf weiche, atmungsaktive Materialien (z. B. Baumwolle, Tencel, Leinen) und verzichte auf Synthetik.
- Ein hochwertiges Spannbettlaken ohne Falten kann Wunder wirken.
- Teste auch mal ein Gewichtsdeckensystem, für manche Menschen mit ADHS kann gleichmässiger, tiefer Druck beruhigend wirken („Deep Pressure Stimulation“).
Visuelle Ordnung, weniger Reize für den Kopf
- Ein aufgeräumtes Schlafzimmer hilft nicht nur optisch, sondern signalisiert deinem Gehirn: „Hier ist Ruhe.“
- Verstaue Gegenstände in geschlossenen Boxen oder Schränken. Vermeide offene Regale mit vielen bunten Dingen.
- Reduziere Wanddeko auf wenige, beruhigende Farben oder Motive (z. B. Naturbilder, sanfte Farbverläufe).
Temperatur, dein biologischer Schlafkompass
- Die optimale Raumtemperatur für das Einschlafen liegt bei 16–18 °C.
- Warum? Der Körper braucht zum Einschlafen einen leichten Abfall der Körperkerntemperatur. Ist es im Raum zu warm, bleibt der Körper im „Tag-Modus“.
- Nutze ggf. atmungsaktive Decken, regulierende Matratzen oder ein Thermometer zur Kontrolle.
Frische Luft, unterschätzt, aber effektiv
- Lüfte dein Schlafzimmer 5–10 Minuten vor dem Zubettgehen, frische, leicht kühle Luft kann das Einschlafen deutlich erleichtern.
- Optional: Nutze einen Luftreiniger oder ein ätherisches Öl mit beruhigender Wirkung (z. B. Lavendel, Bergamotte), aber Vorsicht bei Geruchsempfindlichkeit.
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Körper vor dem Schlaf beruhigen, von Aktivität in Entspannung wechseln
Menschen mit ADHS erleben oft eine körperliche Unruhe, die unabhängig von geistiger Erschöpfung bestehen bleibt. Selbst wenn der Kopf müde ist, signalisiert der Körper noch: „Bereit für Action!“ Dieses Missverhältnis zwischen geistiger Erschöpfung und körperlicher Aktivität erschwert das Einschlafen erheblich. Der Übergang vom Tag zur Nacht muss daher bewusst gestaltet werden, wie eine kleine tägliche „Runterfahr-Routine“, die dein Nervensystem auf Ruhe umschaltet (van der Heijden et al., 2007).
Warum ist das so wichtig bei ADHS?,
Bei ADHS ist das autonome Nervensystem häufig aus dem Gleichgewicht: Der Sympathikus (der für Aktivität, Stress und Anspannung zuständig ist) ist oft überaktiv, während der Parasympathikus (der das „Entspannungsprogramm“ steuert) schwerer aktiviert wird. Das bedeutet konkret: Viele Menschen mit ADHS haben Mühe, nach einem aktiven Tag „herunterzuschalten“, auch wenn sie es wollen (van der Heijden et al., 2007).
Was hilft? Rituale und körperbezogene Techniken, die gezielt das parasympathische Nervensystem aktivieren, also das, was dein Körper braucht, um in den Schlafmodus zu kommen (van der Heijden et al., 2007).
Diese Strategien helfen deinem Körper, zur Ruhe zu kommen:
Warmes Bad, thermische Entspannung mit Wirkung
Ein warmes Bad (idealerweise 90 Minuten vor dem Zubettgehen) senkt nachträglich die Körperkerntemperatur, und genau das braucht dein Körper, um in den Schlaf zu finden. Der Effekt: Nach dem Bad wird Wärme über Hände und Füße abgegeben, das parasympathische System wird aktiviert, die Muskeln entspannen sich. Wer kein Bad hat: Auch ein Fußbad oder eine warme Dusche kann ähnliche Effekte erzielen (van der Heijden et al., 2007).
Abendspaziergang, sanfte Bewegung für den Körper
Ein 15–30-minütiger Spaziergang am Abend, am besten in der Natur oder zumindest ohne digitale Reize, hilft, überschüssige Energie abzubauen. Zudem reguliert Tageslicht (selbst in der Dämmerung) den Melatonin-Haushalt. Achte darauf, nicht direkt nach dem Spaziergang ins Bett zu gehen, sondern gönne dir danach eine ruhige Phase im Sitzen oder Liegen (van der Heijden et al., 2007).
Leichtes Dehnen, Yoga oder progressive Muskelentspannung
Bewegung muss nicht anstrengend sein, im Gegenteil: Ein sanftes Dehnen oder das Durchführen von PMR (Progressive Muskelrelaxation nach Jacobson) kann den Muskeltonus reduzieren, körperliche Unruhe abbauen und das Nervensystem auf Ruhe schalten. Besonders hilfreich bei ADHS ist der bewusste Wechsel zwischen Anspannung und Entspannung einzelner Muskelgruppen, das gibt dem Gehirn eine klare Struktur vor (van der Heijden et al., 2007).
Selbstmassage, gezielte Reizverarbeitung mit Tiefenwirkung
Mit einem Igelball, einer Faszienrolle oder einem Massagegerät lassen sich verspannte Zonen gezielt bearbeiten. Das langsame, rhythmische Rollen wirkt sensorisch beruhigend, ähnlich wie eine Tiefendruck-Therapie. Viele Menschen mit ADHS empfinden diesen gleichmäßigen Druck als besonders angenehm. Tipp: Konzentriere dich auf Nacken, Schultern, Rücken oder Fußsohlen, je nachdem, wo du Spannungen spürst (van der Heijden et al., 2007).
Bonus-Tipp: Aromatherapie zur körperlichen Einstimmung
Einige Düfte, wie Lavendel, Kamille oder Sandelholz, können in Kombination mit Massage oder einem Bad zusätzlich beruhigend wirken. Für Menschen mit ADHS, die auf Gerüche empfindlich reagieren, gilt: vorsichtig dosieren und nur verwenden, wenn du dich mit dem Duft wirklich wohlfühlst (van der Heijden et al., 2007).
Was du vermeiden solltest:
Intensives Training kurz vor dem Schlafengehen, es pusht den Kreislauf und das sympathische Nervensystem.
Koffeinhaltige Getränke nach 16 Uhr, sie blockieren Adenosinrezeptoren, die Schläfrigkeit auslösen.
Medienkonsum, der emotional oder intellektuell stimuliert, das gilt besonders für ADHS-Gehirne, die „anspringen“, wenn Reize auftauchen (van der Heijden et al., 2007).
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Gedanken sortieren, dein Kopf braucht eine Ausstiegsrampe
Gerade bei ADHS scheint der Kopf abends plötzlich richtig aufzuwachen: Gedanken rasen, Ideen ploppen auf, vergangene Gespräche werden analysiert, ungeklärte Aufgaben schwirren herum. Während andere Menschen langsam zur Ruhe kommen, fährt das ADHS-Gehirn oft erst richtig hoch, ein klassischer Fall von kognitiver Hyperaktivität. Das kann nicht nur das Einschlafen verzögern, sondern auch die Schlafqualität beeinträchtigen (van Andel et al., 2021).
Warum passiert das gerade abends?
Beim Übergang in den Schlaf reduziert das Gehirn normalerweise seine Aktivität in den exekutiven Funktionen, also in Bereichen wie Planung, Analyse und Kontrolle. Bei ADHS jedoch sind genau diese Funktionen oft weniger stabil reguliert. Das bedeutet: Wenn es still und ruhig wird, fehlen äußere Reize, und das Gehirn produziert innere Reize, also Gedanken, Erinnerungen, To-Dos oder Ideen. Diese innere Aktivität sorgt für ein Gefühl von innerer Unruhe, obwohl der Körper vielleicht schon müde ist (van Andel et al., 2021).
Deshalb brauchen viele Menschen mit ADHS eine bewusste „Ausstiegsrampe“ aus dem Gedankenkarussell, ein mentales Ritual, das dabei hilft, den Kopf zu entlasten und den Fokus auf Entspannung zu lenken (van Andel et al., 2021).
Strategien gegen das Gedankenkarussell
Gedankenjournal, entleere dein Gehirn
Statt gegen kreisende Gedanken anzukämpfen, schreib sie auf. Ein sogenanntes „Gedankenjournal“ hilft dir, deinen Kopf zu entlasten, ähnlich wie eine externe Festplatte (Kidwell et al., 2015). Notiere:
- Was dich gerade beschäftigt
- Was du noch erledigen musst
- Was dich emotional berührt hat
- Oder auch: Was du loswerden willst
Wichtig ist, dass du beim Schreiben keinen Anspruch auf Struktur oder Vollständigkeit hast, es geht ums Entlasten, nicht ums Lösen. Du darfst den Gedanken einfach „parken“, um dich am nächsten Tag wieder damit zu beschäftigen. Tipp: Ein analoges Notizbuch oder eine App mit Sprachaufnahme kann helfen, spontan Gedanken zu „sichern“ (Kidwell et al., 2015).
Gedankenparkplatz, To-Dos aus dem Kopf holen
Viele Menschen mit ADHS haben Angst, wichtige Dinge zu vergessen. Deshalb hält das Gehirn bestimmte Aufgaben dauerhaft „online“. Das Problem: Diese permanente Aktivierung macht das Einschlafen unmöglich. Lösung: Der Gedankenparkplatz. Notiere alles, was du morgen erledigen willst, konkret, kurz und in Stichpunkten. So entlastest du dein Arbeitsgedächtnis, gibst deinem Gehirn ein Signal: „Du darfst jetzt loslassen, ich hab’s notiert.“
Atemtechniken, direkte Beruhigung fürs Nervensystem
Atemübungen sind ein schneller und wirksamer Weg, um den Geist zu beruhigen, besonders bei Menschen mit ADHS, deren Nervensystem oft auf „Alarmbereitschaft“ steht (Chang et al., 2015). Die 4-7-8-Atmung ist besonders effektiv:
- Atme 4 Sekunden lang ein
- Halte den Atem 7 Sekunden
- Atme 8 Sekunden langsam aus
Wiederhole das 3–5 Mal. Die verlängerte Ausatmung aktiviert den Parasympathikus und hilft, innerlich ruhiger zu werden. Bonus: Kombiniere die Übung mit einem sanften Mantra (z. B. „Ich lasse los“), um die Wirkung zu verstärken (Chang et al., 2015).
Gedankentraining: Akzeptieren statt verdrängen
Bei ADHS neigen viele dazu, gegen störende Gedanken „anzukämpfen“. Das Problem: Was man unterdrückt, wird meist stärker. Deshalb kann ein achtsamer Umgang helfen: Beobachte deine Gedanken, als wären sie Wolken am Himmel, sie kommen und gehen. Sag dir innerlich: „Ich muss diesen Gedanken jetzt nicht lösen. Ich sehe ihn, und lasse ihn weiterziehen.“ Diese Technik stammt aus der Achtsamkeitstherapie (ACT) und wirkt nachweislich beruhigend auf ein überaktives Gehirn (Chang et al., 2015).
Soundscape statt Stille, akustische Ausstiegsrampen
Stille kann bei ADHS paradoxerweise Stress erzeugen, weil sie den inneren Lärm lauter erscheinen lässt. Deshalb kann sanfte Hintergrundakustik helfen:
- Weißes, braunes oder rosa Rauschen
- Naturgeräusche (Regen, Wald, Meeresrauschen)
- Beruhigende Musik ohne Text
Wichtig ist: Kein Podcast, keine Hörspiele mit spannenden Inhalten. Diese aktivieren das Gehirn eher, bei ADHS passiert das schneller als man denkt (Chang et al., 2015).
Fazit: Mit ADHS besser schlafen, Routine statt Perfektion
Eine Schlafroutine bei ADHS muss nicht perfekt sein. Viel wichtiger ist, dass du dranbleibst und dich langsam an neue Abläufe gewöhnst. Schon kleine Veränderungen, etwa eine feste Schlafenszeit oder das Weglegen des Handys, können spürbare Effekte haben.
Wenn du regelmäßig unter Einschlafproblemen leidest oder tagsüber sehr müde bist, lohnt sich auch ein Gespräch mit Fachpersonen. ADHS und Schlafstörungen treten häufig gemeinsam auf, es gibt jedoch gute therapeutische Ansätze, die dir weiterhelfen können.