ADHS & Beziehung: Kommunikation & Konflikte

Veröffentlicht am: 01. Oktober 2025
Zuletzt ärztlich geprüft am: 07. Oktober 2025

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Porträt von Dr. med. Jens Westphal, Praktischer Arzt FMH und medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch. Er begleitet Patientinnen und Patienten in der Schweiz bei der Abklärung und Behandlung von ADHS. Das Bild zeigt ihn vor einem klaro-Hintergrund als Teil des ärztlichen Teams für ADHS Schweiz.

Dr. med. Jens Westphal

ADHS-Spezialist und Praktischer Arzt (FMH)
Dr. med. Jens Westphal ist Praktischer Arzt (FMH) mit langjähriger Erfahrung in der hausärztlichen Versorgung und Psychiatrie. Er ist medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch und prüft alle Inhalte rund um ADHS, Diagnostik und Therapie auf wissenschaftliche Genauigkeit und praktische Umsetzbarkeit in der Schweizer Grundversorgung.

Inhaltsverzeichnis

ADHS in einer Partnerschaft bringt besondere Dynamiken mit sich. Was in anderen Beziehungen vielleicht nur kleine Reibungen sind, kann bei Paaren mit ADHS zu echten Herausforderungen führen. Denn Impulsivität, emotionale Intensität oder Schwierigkeiten mit Struktur können schnell zu Missverständnissen, Streit oder Rückzug führen. Umso wichtiger ist es, ADHS als Teil der Beziehung zu verstehen und gemeinsam Wege zu finden, damit umzugehen (Wymbs et al, 2021).

Eine Beziehung mit ADHS zu führen, bedeutet auch, das eigene Verständnis von Normalität zu hinterfragen. Viele Paare erleben im Alltag wiederkehrende Konflikte, ohne zu realisieren, dass sie nicht auf mangelnder Liebe beruhen, sondern auf unterschiedlichen Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern (Wymbs et al, 2021).

  1. ADHS in der Beziehung: warum es oft kracht

Wenn eine Person in der Beziehung ADHS hat, bedeutet das häufig ein hohes Maß an emotionaler Reaktivität, Schwierigkeiten mit Fokus, Gedächtnis oder Impulskontrolle. Für die Partnerin oder den Partner kann das schnell frustrierend werden, vor allem, wenn wichtige Absprachen vergessen oder Grenzen übertreten werden (Young et al., 2023).

Typische Konfliktherde:

  • Vergessene Verabredungen oder Termine
  • Impulsive Äußerungen, die verletzen
  • Unstrukturierter Alltag oder Chaos im Haushalt
  • Gefühl von «emotionaler Unverbindlichkeit» beim Partner
  • Hohe Ablenkbarkeit in Gesprächen
  • Schwierigkeiten, sich langfristig auf gemeinsame Pläne einzulassen

Beispiel: Der Partner plant ein romantisches Abendessen, die Partnerin mit ADHS vergisst den Termin oder kommt zu spät. Das wirkt wie Desinteresse, obwohl es schlicht eine Folge von ADHS bedingter Zeitblindheit ist.

Tipp: Führt ein Beziehungstagebuch, in dem ihr Herausforderungen, Lösungen und schöne Momente notiert. Das stärkt das gemeinsame Bewusstsein und hilft, wiederkehrende Muster zu erkennen und einzuordnen (Young et al., 2023).

Erweiterung: Eine offene Kommunikation über typische Auslöser kann helfen, frühzeitig gegenzusteuern. Wer erkennt, dass eine Reizüberflutung oder Zeitdruck ADHS Symptome verstärken, kann das Umfeld entsprechend gestalten, etwa durch eine ruhigere Umgebung oder gepufferte Zeitfenster (Young et al., 2023).

  1. Verständnis statt Vorwurf: der Schlüssel zu mehr NäheEin junges Paar liegt entspannt im Bett und zeigt Zuneigung und Nähe. Solche Momente des Rückzugs und emotionaler Verbundenheit sind besonders wichtig, wenn ADHS im Beruf in der Schweiz eine Herausforderung darstellt.

ADHS in der Beziehung ist kein persönlicher Angriff. Wer das versteht, kann Missverständnisse reduzieren. Zentral ist eine Haltung, die nicht nur Defizite sieht, sondern die neurodiversen Denk- und Handlungsmuster anerkennt (Seidman et al., 2012).

Tipps für mehr Verständnis:

  • Wissen aneignen: Bücher wie „ADHS in der Beziehung“ oder Podcasts wie der „ADHS Family Podcast“ können helfen, typische Muster zu erkennen.
  • Trigger identifizieren: Was löst Streit oder Rückzug aus? Und wie lässt sich das frühzeitig vermeiden?
  • Gemeinsame Sprache entwickeln: Welche Formulierungen helfen, Missverständnisse zu klären?
  • Empathie stärken: Das Verhalten nicht als Böswilligkeit, sondern als Symptom deuten
  • Perspektivenwechsel üben: Wie fühlt sich mein Verhalten aus Sicht des anderen an?

Zusatzimpuls: Austausch mit anderen Paaren (z. B. im ADHS Beziehung Forum) kann entlasten und inspirieren. Auch gemeinsame Workshops oder Online Seminare können helfen (Seidman et al., 2012).

Erweiterung: Verständnis heisst nicht, alles zu akzeptieren. Grenzen dürfen und sollen gesetzt werden – aber mit Klarheit und ohne Abwertung. Auch Menschen mit ADHS profitieren von Rückmeldung, wenn sie wertschätzend formuliert ist (Seidman et al., 2012).

  1. Kommunikation mit Klarheit: so gelingt der Dialog

In Beziehungen mit ADHS ist die Art der Kommunikation entscheidend. Lange Diskussionen oder emotionale Vorwürfe führen oft ins Leere. Klare, liebevolle Sprache hilft, Missverständnisse zu vermeiden (Gudjonsson et al., 2023).

Strategien für gelungene Gespräche:

  • Kurz & konkret: Klare Aussagen in einfachen Worten
  • Wiederholungen nicht als Kritik sehen, sie helfen beim Verstehen
  • Zuhören in Etappen, z. B. nach 2 Minuten eine kurze Pause
  • Emotionen benennen, statt zu interpretieren
  • Feedback-Rituale (z. B. wöchentliche Check-ins)
  • Nutzung von Tools wie Gesprächskarten oder Emotionsskalen

Besonders hilfreich: Eine Gesprächsstruktur mit festen Zeiten, z. B. ein „Beziehungs-Check“ am Sonntagabend (Gudjonsson et al., 2023).

Tipp für akute Konflikte: Vereinbart ein Codewort, das euch hilft, Diskussionen bei zu hoher Emotionalität zu unterbrechen und später fortzusetzen (Gudjonsson et al., 2023).

Erweiterung: Visualisierungen wie Skizzen oder Mindmaps können helfen, bei Gesprächen den roten Faden zu behalten, besonders für Menschen mit ADHS, denen rein verbale Kommunikation schwerfällt.

  1. Struktur & Aufgabenverteilung: Gemeinsam statt gegeneinander

Zwei Menschen halten sich liebevoll an den Händen – ein Symbol für Vertrauen und gegenseitige Unterstützung. Gerade bei ADHS im Beruf Schweiz spielt das soziale Umfeld eine zentrale Rolle.Im Alltag kann ADHS dazu führen, dass sich ein Partner überfordert fühlt, weil Aufgaben nicht zuverlässig erledigt werden. Hier hilft eine bewusste Aufgabenverteilung, und die Akzeptanz, dass „Ordnung“ individuell verschieden sein kann (Hertz et al., 2021).

Was funktioniert gut:

  • Klare Rollenaufteilung (schriftlich festhalten!)
  • Erinnerungsfunktionen oder gemeinsame Kalender nutzen
  • Hilfsmittel wie To-do-Apps oder Whiteboards
  • Aufgabentausch: Wer kann was besser, und mit weniger Stress, erledigen?
  • Visuelle Planung: Wochenpläne oder Post-its im Alltag

Tipp: Kleine Belohnungen für erledigte Aufgaben können motivieren, vor allem bei ADHS. Auch das Feiern kleiner Erfolge ist wichtig!

Bonus-Tipp: Gemeinsame Check-ins zur Haushaltsplanung helfen, Frust abzubauen (Hertz et al., 2021).

Erweiterung: Aufgaben in Mikro-Schritte zu unterteilen („Müll rausbringen“ = 1. Beutel einspannen, 2. Tüte füllen, 3. rausbringen) kann die Hemmschwelle senken. Ein sichtbarer Fortschritt motiviert zusätzlich (Hertz et al., 2021).

  1. Nähe und Intimität stärken: trotz ADHS

ADHS kann emotionale Schwankungen oder einen „Overload“ auslösen, der Nähe erschwert. Gleichzeitig sehnen sich viele Betroffene besonders stark nach Bindung. Ein bewusster Umgang mit Nähe & Distanz kann helfen (Soldati et al., 2020).

Impulse für mehr Verbindung:

  • Feste Rituale (z. B. Gute-Nacht-Gespräch, Spaziergänge)
  • Gemeinsame Highlights (z. B. Date-Night mit Überraschung)
  • Körperliche Nähe bewusst gestalten, ohne Druck
  • Zeit für sich selbst als Paar definieren, ohne Ablenkung
  • Gemeinsame Hobbys entdecken: Etwas, das verbindet und regelmäßig Freude macht

Achtung: Intimität kann auch durch ADHS-Symptome beeinflusst sein (z. B. durch Impulsivität oder Ablenkung). Hier hilft es, offen und wertschätzend über Bedürfnisse zu sprechen.

Tipp: Auch Sexualität kann von ADHS beeinflusst sein. Offenheit, Geduld und gemeinsame Reflexion sind hier besonders wichtig (Soldati et al., 2020).

Erweiterung: Ein gemeinsames „Wohlfühl-Menü“, eine Liste mit kleinen Dingen, die Nähe und Sicherheit geben, kann helfen, in stressigen Phasen gezielt Zuwendung zu schenken.

  1. Hilfe annehmen und gemeinsam wachsen

ADHS ist keine Schwäche, aber sie verlangt Strategien. Paare profitieren oft enorm von externer Unterstützung. Ein Paar- oder ADHS-Coaching hilft, eingefahrene Muster zu durchbrechen und neue Lösungen zu finden (Wozniak, 2021).

Hilfreiche Angebote:

  • ADHS-spezifische Paarberatung
  • Bücher wie „ADHS & Beziehung – Wege zur Partnerschaft“
  • ADHS-Fachpersonen in Zürich oder Bern
  • Austausch in Selbsthilfegruppen (z. B. ADHS Family)
  • Digitale Angebote wie Webinare oder Coaching-Programme speziell für ADHS-Paare

Tipp: Manchmal hilft es, das Thema humorvoll zu betrachten. Nicht jeder Fehler ist ein Drama, manchmal ist ein Lächeln der beste Weg zur Versöhnung.

Erweiterung: Hilfe kann auch heissen, sich Auszeiten zu gönnen, sowohl einzeln als auch gemeinsam. Kleine Pausen vom Alltag, ganz ohne „ADHS-Thema“, stärken das Miteinander und fördern Gelassenheit (Wozniak, 2021).

Eine herzliche Umarmung zwischen zwei Menschen am See vermittelt Lebensfreude und Nähe. Diese emotionale Stabilität kann helfen, die beruflichen Herausforderungen mit ADHS in der Schweiz besser zu meistern.

Fazit: Liebe mit ADHS ist möglich, wenn beide hinschauen

ADHS in der Beziehung kann anstrengend sein. Aber auch tief, lebendig und ehrlich. Der Schlüssel liegt in der gemeinsamen Auseinandersetzung mit den eigenen Mustern, in Wertschätzung, Humor und gegenseitiger Unterstützung.

Denn jede Beziehung hat ihre Herausforderungen, ADHS macht sie nur sichtbarer.

Und genau darin liegt auch eine Chance: Wer gemeinsam lernt, kann über sich hinauswachsen, als Paar und als Mensch.

Rezensentenblock

Porträt von Dr. Almedina Berisha, Ärztin im Team von klaro-adhs.ch. Sie unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Diagnostik und Therapie von ADHS in der Schweiz. Das Bild zeigt sie im weissen Arztkittel mit Stethoskop vor einem klaro-Hintergrund.

Almedina Berisha

Ärztin Innere Medizin
Almedina Berisha ist Ärztin für Innere Medizin in der Schweiz mit besonderem Interesse an psychosomatischen Zusammenhängen und neurobiologischen Faktoren von ADHS. Sie prüft medizinische Inhalte auf klaro-adhs.ch auf wissenschaftliche Genauigkeit, klinische Relevanz und patientenverständliche Darstellung. Ihr Fokus liegt auf einer praxisnahen Vermittlung komplexer Themen der Erwachsenenmedizin und psychischen Gesundheit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

  • ADHS kann Beziehungen intensiv, aber auch herausfordernd machen. Impulsivität, Vergesslichkeit und emotionale Reaktivität führen oft zu Missverständnissen oder Konflikten. Gleichzeitig bringen viele Betroffene viel Leidenschaft, Kreativität und Empathie in eine Partnerschaft ein. Entscheidend ist, ADHS zu verstehen – dann wird aus Chaos häufig Wachstum.

Quellenverzeichnis

  1. Wymbs, B. T., Owens, J. S., & Spitznagel, E. (2021). Adult ADHD and romantic relationships: What we know and what we can do to help. Journal of Attention Disorders.
    URL: https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/33421168/
  2. Young, S., Klassen, L. J., Reitmeier, S. D., Matheson, J. D., & Gudjonsson, G. H. (2023). Let’s talk about sex… and ADHD: Findings from an anonymous online survey. International Journal of Environmental Research and Public Health, 20(3), 2037. https://doi.org/10.3390/ijerph20032037
  3. Seidman, L. J., et al. (2012).
    ADHD symptomatology, fear of intimacy, and sexual anxiety and behavior in college students. Journal of Sex Research, 49(6), 647–655.
    https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/22893505/
  4. Gudjonsson, G. H., Young, S., & Bramham, J. (2023).
    The experiences of adults with ADHD in interpersonal relationships. BMC Psychiatry, 23(1), 412.
    https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC10399076/
  5. Hertz, P. G., Turner, D., Barra, S., Biedermann, L., Retz-Junginger, P., Schöttle, D., & Retz, W. (2021).
    Common venues in romantic relationships of adults with ADHD traits. Frontiers in Psychiatry, 12, 593150.
    https://doi.org/10.3389/fpsyt.2021.593150
  6. Soldati, L., Bianchi-Demicheli, F., Schockaert, P., Köhl, J., Bolmont, M., Hasler, R., & Perroud, N. (2020).
    Sexual function, sexual dysfunctions, and ADHD: A systematic literature review. Journal of Sexual Medicine, 17(9), 1653–1664.
    https://doi.org/10.1016/j.jsxm.2020.03.019
  7. Wozniak, A. (2021).
    Attention-Deficit/Hyperactivity Disorder and problematic romantic relationships in adulthood: A review of the literature. Spectrum: Concordia University Journal of Graduate Research in Psychology, 7(1), 1–12.*
    https://spectrumjournal.ca/index.php/spectrum/article/view/158

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