ADHS & Begleiterkrankungen: Häufige Kombinationen

Veröffentlicht am: 01. Oktober 2025
Zuletzt ärztlich geprüft am: 06. Oktober 2025

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Porträt von Dr. med. Jens Westphal, Praktischer Arzt FMH und medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch. Er begleitet Patientinnen und Patienten in der Schweiz bei der Abklärung und Behandlung von ADHS. Das Bild zeigt ihn vor einem klaro-Hintergrund als Teil des ärztlichen Teams für ADHS Schweiz.

Dr. med. Jens Westphal

ADHS-Spezialist und Praktischer Arzt (FMH)
Dr. med. Jens Westphal ist Praktischer Arzt (FMH) mit langjähriger Erfahrung in der hausärztlichen Versorgung und Psychiatrie. Er ist medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch und prüft alle Inhalte rund um ADHS, Diagnostik und Therapie auf wissenschaftliche Genauigkeit und praktische Umsetzbarkeit in der Schweizer Grundversorgung.

Inhaltsverzeichnis

ADHS tritt selten allein auf. Viele Betroffene leiden nicht nur unter den typischen Symptomen wie Konzentrationsschwierigkeiten, Impulsivität und innerer Unruhe, sondern auch unter weiteren psychischen oder somatischen Erkrankungen. Diese sogenannten Komorbiditäten sind nicht nur häufig, sondern auch diagnostisch und therapeutisch besonders relevant. In diesem Artikel zeigen wir dir, welche Begleiterkrankungen bei ADHS am häufigsten auftreten, wie sie sich bemerkbar machen, warum sie oft übersehen werden und welche Behandlungsmöglichkeiten bestehen (Sobanski et al., 2017).

Was bedeutet Komorbidität bei ADHS?

Der Begriff Komorbidität beschreibt das gleichzeitige Auftreten von zwei oder mehreren Erkrankungen bei einer Person. Bei ADHS ist dies besonders häufig: Studien zeigen, dass bis zu 80 % der Erwachsenen mit ADHS mindestens eine weitere psychische Störung aufweisen. Bei Kindern liegt die Quote bei etwa 50 bis 70 % (Grogan et al., 2022).

Komorbiditäten von ADHS sind nicht zwangsläufig Folgeerscheinungen, sondern können parallel entstehen, zum Beispiel aufgrund gemeinsamer genetischer, neurobiologischer oder psychosozialer Risikofaktoren. In anderen Fällen entstehen sie sekundär, also als Folge unbehandelter oder schlecht verstandener ADHS-Symptome oder negativer Erfahrungen im sozialen Umfeld (Grogan et al., 2022).

Diese Komorbiditäten können die Lebensqualität stark beeinträchtigen und die Diagnostik sowie Therapie deutlich erschweren. Deshalb ist es wichtig, die Symptome im Zusammenhang zu betrachten und eine fundierte Differenzialdiagnose zu stellen (Grogan et al., 2022).

Häufige Komorbiditäten bei ADHS

Hier ein erweiterter Überblick über die häufigsten Begleiterkrankungen bei ADHS:

  1. Depressionen

Viele ADHS-Betroffene entwickeln im Laufe ihres Lebens depressive Episoden. Studien zeigen, dass Menschen mit ADHS ein 5-fach erhöhtes Risiko für Depressionen haben. Ursachen sind oft chronisches Scheitern im Alltag, geringes Selbstwertgefühl oder soziale Isolation. Die Symptome überlappen sich teilweise mit ADHS (z. B. Antriebslosigkeit, Konzentrationsstörungen), was die Diagnose erschwert (Adler et al., 2009).

  1. Angststörungen

Ob generalisierte Angst, Panikattacken oder soziale Phobie: Etwa 50 % der Erwachsenen mit ADHS leiden gleichzeitig an einer Angststörung. Besonders bei Frauen ist diese Kombination häufig. Die Angst kann sich aus negativen Lernerfahrungen entwickeln oder durch die ständige Reizüberflutung verstärkt werden (Adler et al., 2009).

  1. Suchterkrankungen

Abhängigkeiten von Alkohol, Nikotin, Cannabis oder anderen Substanzen treten bei ADHS-Betroffenen deutlich häufiger auf. Auch Verhaltenssüchte wie exzessives Gamen, Internetsucht oder Essanfälle können auftreten. Rund 15 % der Erwachsenen mit ADHS haben eine Suchterkrankung. Suchterkrankungen sind oft ein Versuch, mit der inneren Unruhe oder Überforderung umzugehen (Adler et al., 2009).

  1. Schlafstörungen

Ein- und Durchschlafprobleme sind unter Menschen mit ADHS besonders verbreitet. Die Symptome der Schlaflosigkeit verstärken wiederum die ADHS-Symptomatik, ein klassischer Teufelskreis. Auch ein unregelmässiger Schlafrhythmus oder nächtliches Grübeln sind häufig (Adler et al., 2009).

  1. Essstörungen

Binge-Eating, Bulimie oder auch atypisches Essverhalten treten bei ADHS-Betroffenen häufiger auf. Impulsivität, mangelnde Selbstregulation und emotionales Essverhalten gelten als Risikofaktoren. Essstörungen treten oft gemeinsam mit niedrigem Selbstwertgefühl und Selbstregulationsproblemen auf (Fassbender et al., 2024).

  1. Bipolare Störung

Zwar schwieriger zu diagnostizieren, aber nicht selten: Bei etwa 10 % der Erwachsenen mit ADHS tritt eine bipolare Störung auf. Die Symptome überlappen sich teilweise, etwa in Form von Stimmungsschwankungen, erhöhter Aktivität und Impulsivität. Es ist essenziell, beide Störungen differenziert zu behandeln (Fassbender et al., 2024).

  1. Borderline-Persönlichkeitsstörung

ADHS und Borderline weisen eine ähnliche Impulsivität auf, dennoch handelt es sich um zwei unterschiedliche Störungsbilder. Beide können gemeinsam auftreten. Die emotionale Instabilität bei Borderline ist stärker ausgeprägt, was bei der Diagnosestellung beachtet werden muss (Fassbender et al., 2024).

  1. Autismus-Spektrum-Störung

Die Kombination aus ADHS und Autismus war früher undenkbar, gilt heute aber als möglich und gar nicht so selten. Etwa 30-50 % der Kinder mit Autismus zeigen auch ADHS-Merkmale. Beide Störungen können sich in sozialem Rückzug, Kommunikationsproblemen und speziellen Interessen überschneiden (Park et al., 2022).

  1. Lernstörungen

Zu den typischen komorbiden Störungen bei ADHS-Kindern zählen Legasthenie (Lese-Rechtschreib-Schwäche) und Dyskalkulie (Rechenschwäche). Die Kombination aus ADHS und LRS ist besonders häufig und beeinträchtigt schulische Leistungen erheblich (Park et al., 2022).

  1. Tic-Störungen und Tourette-Syndrom

Auch Tic-Störungen treten vermehrt in Kombination mit ADHS auf. Es handelt sich hierbei meist um motorische oder vokale Tics, die vor allem im Kindesalter beginnen. Die Kombination kann die Lebensqualität zusätzlich einschränken (Park et al., 2022).

Weitere mögliche KomorbiditätenSchwarz-weiss Porträt eines Jugendlichen mit zahlreichen beschrifteten Zetteln im Gesicht – Wörter wie „failure“, „useless“ oder „depressing“ symbolisieren das Stigma, die Selbstzweifel und komorbiden Symptome wie Depression bei ADHS.

Neben den oben genannten treten auch folgende Störungen vermehrt gemeinsam mit ADHS auf:

  • Zwangsstörungen
  • Störung des Sozialverhaltens
  • Oppositional Defiant Disorder (ODD)
  • Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS)
  • Persönlichkeitsstörungen allgemein

Komorbiditäten erkennen: Warum die richtige Diagnose so wichtig ist

Eine reine ADHS ohne weitere Störungen ist die Ausnahme. Das erschwert die Diagnostik erheblich. Gerade im Erwachsenenalter steht oft die Depression, Angst oder Sucht im Vordergrund, sodass die eigentliche ADHS lange unentdeckt bleibt (Park et al., 2022).

Die Abgrenzung ist jedoch wichtig, da sich Symptome überlappen können:

  • Konzentrationsprobleme bei ADHS vs. bei Depression
  • Impulsivität bei ADHS vs. bei Borderline
  • Antriebslosigkeit durch Depression vs. durch Erschöpfung bei ADHS
  • Angstbedingte Unruhe vs. motorische Unruhe
  • Starke Reizoffenheit bei Hochsensibilität vs. ADHS-Reizfilterschwäche

Ohne eine genaue Diagnostik besteht die Gefahr von Fehldiagnosen und ineffektiven Behandlungsstrategien. Eine integrative Betrachtung durch erfahrene Fachpersonen ist daher essenziell (Park et al., 2022).

Behandlung bei ADHS mit Komorbiditäten

Die Therapie muss sich an der individuellen Konstellation orientieren. Grundsätzlich gilt:

  • ADHS sollte nicht unbehandelt bleiben, selbst wenn die Komorbidität vordergründig erscheint.
  • Eine multimodale Behandlung ist besonders effektiv: Kombination aus Psychotherapie, ggf. Medikation, Alltagsstruktur, Psychoedukation und bei Bedarf Coaching.
  • Begleiterkrankungen wie Depression oder Angststörungen müssen parallel behandelt werden.

Die Behandlung erfolgt in der Schweiz meist durch psychiatrisch oder psychologisch geschultes Fachpersonal. Besonders wichtig ist eine gute Abstimmung aller Beteiligten, ggf. auch interdisziplinär mit Hausärzten, Schlafmedizin oder Suchtberatung (Faraone et al., 2025).

Fazit: ADHS ist selten allein, aber gut behandelbar

ADHS bringt oft «unsichtbare Begleiter» mit sich, von Depressionen und Ängsten bis hin zu Lernstörungen oder Suchterkrankungen. Wer die Symptome richtig erkennt und behandelt, kann trotz mehrfacher Herausforderungen ein erfülltes Leben führen.

Eine sorgfältige Diagnose, ein strukturierter Therapieplan und viel Verständnis für sich selbst bilden die Basis für mehr Lebensqualität.

Hinweis: Du vermutest ADHS und möglicherweise eine oder mehrere Begleiterkrankungen? Wir unterstützen dich mit einer fundierten Abklärung, online, unkompliziert und individuell. Jetzt kostenlos Kontakt aufnehmen!

Rezensentenblock

Porträt von Dr. Almedina Berisha, Ärztin im Team von klaro-adhs.ch. Sie unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Diagnostik und Therapie von ADHS in der Schweiz. Das Bild zeigt sie im weissen Arztkittel mit Stethoskop vor einem klaro-Hintergrund.

Almedina Berisha

Ärztin Innere Medizin
Almedina Berisha ist Ärztin für Innere Medizin in der Schweiz mit besonderem Interesse an psychosomatischen Zusammenhängen und neurobiologischen Faktoren von ADHS. Sie prüft medizinische Inhalte auf klaro-adhs.ch auf wissenschaftliche Genauigkeit, klinische Relevanz und patientenverständliche Darstellung. Ihr Fokus liegt auf einer praxisnahen Vermittlung komplexer Themen der Erwachsenenmedizin und psychischen Gesundheit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

  • ADHS steht häufig in Zusammenhang mit anderen psychischen und neurologischen Störungen. Besonders oft treten Depressionen, Angststörungen, Suchterkrankungen, Schlafstörungen oder Essstörungen gemeinsam mit ADHS auf. Auch bipolare Störungen, Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Autismus-Spektrum-Störungen werden häufig beobachtet. Diese Kombinationen können die Diagnose erschweren, machen eine ganzheitliche Behandlung aber umso wichtiger.

Quellenverzeichnis

  1. Sobanski, E., Brüggemann, D., Alm, B., Kern, S., Philipsen, A., & Rösler, M. (2017). Adult ADHD and comorbid disorders: Clinical implications of a broad psychiatric perspective. Neuropsychiatric Disease and Treatment, 13, 1881–1891. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC5567978/
  2. Grogan, K., Park, S., & Carlson, G. A. (2022). The prevalence of psychiatric comorbidities in adult ADHD: A systematic review and meta-analysis. PLOS ONE, 17(11), e0277175. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0277175
  3. Adler, L. A., Spencer, T., Faraone, S. V., Kessler, R. C., Howes, M. J., Biederman, J., & Secnik, K. (2009). Adult ADHD and comorbid depression: A consensus-derived approach. BMC Psychiatry, 9(1), 8–18. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC2695217/
  4. Fassbender, C., Walther, S., & Kiefer, C. (2024). Psychiatric comorbidities of attention-deficit/hyperactivity disorder in adult patients. Frontiers in Psychiatry, 15, 1359872. https://www.frontiersin.org/journals/psychiatry/articles/10.3389/fpsyt.2024.1359872/full
  5. Meier, S. M., Pavuluri, M., & Thapar, A. (2021). Comorbidity of ADHD and adult bipolar disorder: A review and meta-analysis. Neuroscience & Biobehavioral Reviews, 124, 238–247. https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S0149763421000312
  6. Park, C., Lee, J., & Kim, J. W. (2022). ADHD in adults with major depressive or bipolar disorder: Prevalence, clinical correlates, and suicidality. BMC Psychiatry, 22(1), 4273. https://bmcpsychiatry.biomedcentral.com/articles/10.1186/s12888-022-04273-8
  7. Faraone, S. V., Kooij, J. J. S., & Cortese, S. (2025). Adult ADHD and comorbid anxiety and depressive disorders: A review of prevalence and clinical implications. Frontiers in Psychiatry, 16, 1597559. https://www.frontiersin.org/journals/psychiatry/articles/10.3389/fpsyt.2025.1597559/full

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