Die Diagnose ADHS kann für Erwachsene eine enorme Erleichterung, aber auch viele neue Fragen aufwerfen: Wie sieht eine psychotherapeutische Behandlung bei ADHS aus? Und vor allem: Wie funktioniert das konkret in der Schweiz? In diesem umfassenden Artikel erfährst du, wie eine Psychotherapie bei ADHS aufgebaut ist, welche Methoden zur Anwendung kommen, worauf du bei der Therapeutensuche achten solltest, und wie du die Therapie über die Krankenkasse abrechnen kannst (Knouse & Safren, 2010).
Dabei gehen wir nicht nur auf die allgemeinen Grundlagen ein, sondern auch auf konkrete Angebote in verschiedenen Regionen der Schweiz, die Besonderheiten der Schweizer Regelung zur Kostenübernahme sowie auf praktische Tipps, wie du eine geeignete Therapeutin oder einen Therapeuten findest. Auch häufig gestellte Fragen zum Thema, etwa zur Kombination von Psychotherapie mit Medikamenten oder alternativen Verfahren, werden beleuchtet (Knouse & Safren, 2010).
Was versteht man unter Psychotherapie bei ADHS?
Psychotherapie ist eine wissenschaftlich fundierte Methode zur Behandlung psychischer Erkrankungen und wird bei ADHS eingesetzt, um Betroffenen den Umgang mit den typischen Symptomen zu erleichtern. Dazu gehören Unaufmerksamkeit, Impulsivität, innere Unruhe, aber auch häufige Folgeprobleme wie Versagensängste, Schlafstörungen, Depressionen oder Probleme in zwischenmenschlichen Beziehungen (Kooij et al., 2019).
Die Behandlung erfolgt in einem vertrauensvollen Rahmen und setzt auf eine enge Zusammenarbeit zwischen Patient und Therapeut. Im Zentrum stehen strukturierte Gespräche, konkrete Übungen und das Erlernen neuer Denk- und Verhaltensmuster, die im Alltag wirksam angewendet werden können. Dabei ist es ein zentrales Ziel, die individuellen Stärken zu fördern, persönliche Strategien zu entwickeln und mit belastenden Situationen besser umgehen zu lernen (Kooij et al., 2019).
In der Schweiz darf Psychotherapie von speziell ausgebildeten Psychologen oder Ärzten durchgeführt werden, die über eine Zulassung zur OKP-Abrechnung verfügen. Besonders in Städten wie Zürich, Bern, Basel und Winterthur findest du viele Fachpersonen mit Spezialisierung auf ADHS. In ländlicheren Gegenden kann der Zugang zu Psychotherapie mitunter schwieriger sein – hier bieten Online-Psychotherapie-Angebote eine gute Alternative. Sie können ortsunabhängig genutzt werden und sind ebenfalls über die Grundversicherung abrechenbar, sofern sie den Anforderungen des Anordnungsmodells entsprechen (Kooij et al., 2019).
Wann macht eine Psychotherapie bei ADHS Sinn?
Nicht alle Menschen mit ADHS benötigen eine Psychotherapie, viele kommen auch ohne Therapie gut durchs Leben. Eine psychotherapeutische Unterstützung kann aber besonders dann hilfreich sein, wenn:
- der Alltag durch ADHS stark beeinträchtigt wird (z. B. durch chronisches Aufschieben, Stress oder Konflikte)
- komorbide Störungen wie Depressionen, Angststörungen oder emotionale Instabilität bestehen
- Medikamente alleine nicht ausreichen oder nicht erwünscht sind
- die Lebensqualität durch ADHS eingeschränkt ist
- berufliche, schulische oder partnerschaftliche Probleme vorliegen
- ein Bedürfnis nach persönlicher Weiterentwicklung und besserem Selbstverständnis besteht
Psychotherapie zielt in diesem Fall nicht nur auf Symptomreduktion, sondern auch auf langfristige Veränderung, im Denken, Fühlen und Handeln (Cairncross & Miller, 2020).
Welche Therapieansätze sind bei ADHS wirksam?
Am häufigsten wird bei ADHS die kognitive Verhaltenstherapie (KVT oder CBT) eingesetzt. Sie gilt als evidenzbasiert und wirksam, besonders bei Erwachsenen (Cairncross & Miller, 2020).
Typische Ziele und Inhalte der kognitiven Verhaltenstherapie:
- Bessere Organisation und Zeitmanagement
- Strategien gegen Prokrastination
- Stärkung von Selbstwertgefühl und Selbststrukturierung
- Verhaltensanalysen bei Impulsivität und Reizüberflutung
- Stressmanagement und Emotionsregulation
- Reflexion alter Denkmuster und Aufbau neuer Handlungsstrategien
Neben der klassischen Verhaltenstherapie werden auch andere Verfahren erfolgreich eingesetzt, wie:
- achtsamkeitsbasierte Therapien (z. B. MBCT oder MBSR)
- Schema-Therapie, zur Bearbeitung tiefer liegender Muster
- systemische Therapie, bei familiären oder beruflichen Konflikten
- Gruppentherapie, um soziale Kompetenzen zu stärken
Einige Kliniken bieten auch multimodale Ansätze, die Psychotherapie mit Coaching, medikamentöser Behandlung und psychosozialer Unterstützung kombinieren. Besonders hilfreich ist das bei komplexen oder chronifizierten Verläufen (Young & Bramham, 2012).
So läuft Psychotherapie bei ADHS in der Schweiz ab
Die Struktur ist klar geregelt und folgt in der Regel diesen Schritten:
- Erstkontakt und Abklärung: Nach der ärztlichen Verordnung findet ein Vorgespräch mit einer Psychologin oder einem Psychotherapeuten statt. Hier wird geprüft, ob die «Chemie» stimmt und welche Therapieziele verfolgt werden sollen (Faraone et al., 2021).
- Diagnostik und Therapieplanung: In den ersten Sitzungen erfolgt eine genaue Erfassung der Lebensgeschichte, Stärken und Herausforderungen. Auf dieser Basis wird ein individueller Therapieplan erstellt, der sich an persönlichen Zielen und konkreten Alltagsproblemen orientiert (Faraone et al., 2021).
- Regelmässige Sitzungen: Die eigentliche Therapie findet meist in wöchentlichen oder 14-tägigen Sitzungen statt. Je nach Ziel kann die Therapie einige Monate oder auch länger dauern. Viele Patienten profitieren auch von einer Kombination mit Gruppenangeboten oder digitalen Tools zur Selbstreflexion (Faraone et al., 2021).
- Zwischenbilanzen und Evaluation: Regelmässig wird überprüft, ob Fortschritte sichtbar sind, und der Plan ggf. angepasst. Auch eine begleitende medikamentöse Behandlung kann Teil des Prozesses sein. Manche Therapeuten arbeiten eng mit Hausärzten oder Psychiatern zusammen (Faraone et al., 2021).
- Therapieende und Nachsorge: Gegen Ende werden Strategien zur Rückfallprävention besprochen. Manche Betroffene profitieren von längerfristiger Begleitung in grösseren Abständen, beispielsweise einmal im Monat oder als «Auffrischung» in belastenden Lebensphasen (Faraone et al., 2021).
Wer bietet in der Schweiz Psychotherapie bei ADHS an?
Je nach Kanton und Wohnort gibt es unterschiedliche Angebote. Folgende Fachpersonen können in der Schweiz ADHS-Psychotherapie anbieten:
- Fachpsycholog:innen für Psychotherapie FSP mit Spezialisierung auf ADHS
- Ärztliche Psychotherapeut:innen (Psychiater:innen mit Weiterbildung)
- Psychotherapeut:innen mit OKP-Zulassung, die über Hausärzten erreichbar sind
- Gruppenangebote an ADHS-Zentren oder in Kliniken
- Online-Angebote, besonders nützlich für ländliche Gebiete
In grösseren Städten wie Zürich, Winterthur, Basel, Luzern oder Bern ist das Angebot besonders gut ausgebaut. In manchen Regionen gibt es auch spezialisierte Ambulanzen für ADHS im Erwachsenenalter, die Diagnostik, Psychotherapie und medikamentöse Behandlung unter einem Dach anbieten (Solanto, 2011).
Wer bezahlt die Therapie? Abrechnung über die Grundversicherung
Seit der Einführung des neuen Anordnungsmodells im Juli 2022 kann die psychologische Psychotherapie in der Schweiz über die obligatorische Krankenversicherung (OKP) abgerechnet werden – vorausgesetzt, eine ärztliche Anordnung liegt vor (Solanto, 2011).
Das bedeutet:
- Deine Hausärztin oder dein Psychiater stellt die Anordnung aus.
- Die Grundversicherung übernimmt die Kosten (nach Abzug von Franchise und Selbstbehalt).
- Die Anordnung gilt zunächst für 15 Sitzungen und kann bei Bedarf verlängert werden.
Private Angebote, wie ADHS-Coaching oder Online-Selbsthilfe, sind in der Regel nicht OKP-pflichtig und müssen selbst finanziert werden. Wichtig ist, dass du beim Erstkontakt klärst, ob eine OKP-Abrechnung möglich ist – und ob eine ärztliche Verordnung bereits vorliegt oder noch eingeholt werden muss (Solanto, 2011).
Fazit: Psychotherapie bei ADHS, ein wirksamer Weg zur Veränderung
Psychotherapie ist ein zentraler Bestandteil vieler ADHS-Behandlungen, gerade im Erwachsenenalter. Sie bietet nicht nur Hilfe bei der Bewältigung von Symptomen, sondern unterstützt auch die persönliche Weiterentwicklung und den Aufbau stabiler Routinen.
Dank der klaren Regelungen zur Kostenübernahme in der Schweiz ist Psychotherapie heute für viele Menschen zugänglich. Besonders in urbanen Regionen wie Zürich, Bern, Basel oder Aargau gibt es spezialisierte Angebote. Aber auch Online-Angebote oder digitale Formate ermöglichen heute vielen Betroffenen einen flexiblen Zugang zur Therapie.
Wenn du vermutest, dass eine Therapie dir helfen könnte, sprich mit deinem Hausarzt oder einer Fachperson in deiner Nähe. Eine Psychotherapie bei ADHS kann ein wichtiger Schritt sein – für mehr Klarheit, Selbstwirksamkeit und Lebensqualität.