Immer mehr Erwachsene und Eltern in der Schweiz fragen sich, ob bei ihnen selbst oder ihren Kindern eine ADHS Diagnose sinnvoll wäre. Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung ist kein reines Kinderthema mehr: Gerade bei Erwachsenen wird sie häufig erst sehr spät erkannt (Zysset et al., 2023). Doch wie läuft eine ADHS Diagnose in der Schweiz genau ab? Wer ist zuständig? Welche Unterlagen werden benötigt? Und wie sieht es mit den Kosten aus?
In diesem Artikel bekommst du einen umfassenden Überblick über den Ablauf, die Voraussetzungen, die Unterschiede zwischen Diagnostik bei Kindern und Erwachsenen sowie Tipps für die Vorbereitung. Ziel: Klarheit schaffen, Vorurteile abbauen und den Weg zur richtigen Ansprechperson erleichtern (Zysset et al., 2023).
Was bedeutet eine ADHS Diagnose überhaupt?
Eine ADHS-Diagnose (auch ADS-Diagnose, wenn die Hyperaktivität fehlt) ist die medizinisch anerkannte Feststellung, dass bestimmte Symptome und Verhaltensweisen einem klar definierten Krankheitsbild entsprechen (Zysset et al., 2023). Die Diagnose ist Voraussetzung für:
- Zugang zu einer evidenzbasierten Therapie (z. B. Psychotherapie, Medikamente)
- Anpassungen am Arbeitsplatz oder in der Schule
- IV-Unterstützung bei schwerer Beeinträchtigung
- Anspruch auf schulische Nachteilsausgleiche
- Zugang zu spezialisierten Unterstützungsangeboten (z. B. Ergotherapie, Coaching)
In der Schweiz ist die Diagnose ADHS sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen an bestimmte Kriterien gebunden, die sich an internationalen Leitlinien wie dem DSM-5 oder der ICD-10/ICD-11 orientieren. Wichtig ist: Die Diagnose sollte nicht leichtfertig gestellt, aber auch nicht aus Angst vor Stigmatisierung vermieden werden. Eine gute Diagnostik bietet die Chance auf Entlastung und gezielte Hilfe (Zysset et al., 2023).
Wer stellt die ADHS-Diagnose in der Schweiz?
Je nach Alter, Region und Versorgungsstruktur kann die zuständige Fachperson variieren (Zysset et al., 2023).
Bei Kindern und Jugendlichen:
- Kinder- und Jugendpsychiater:innen
- Kinderärzt:innen mit Spezialisierung auf Entwicklungsstörungen
- Psycholog:innen mit Fachtitel in Kinder- und Jugendpsychologie
- Interdisziplinäre Zentren (z. B. Schulpsychologischer Dienst, SPZ)
Bei Erwachsenen:
- Psychiater:innen mit Spezialisierung auf ADHS
- Klinische Psycholog:innen mit Erfahrung in Erwachsenen-ADHS
- Neuropsycholog:innen (z. B. in Zürich, Bern, Luzern oder Basel)
- Universitäre Ambulatorien oder spezialisierte Kliniken
Hinweis: Auch Psycholog:innen ohne Kassenzulassung können eine fundierte Abklärung anbieten. Eine Rücksprache mit der Krankenkasse hilft zu klären, ob und in welchem Rahmen eine Kostenübernahme der ADHS-Diagnostik in der Schweiz möglich ist (Gamma et al., 2017).
Ablauf einer ADHS Diagnostik bei Erwachsenen
Die ADHS-Diagnostik bei Erwachsenen in der Schweiz erfolgt strukturiert und umfasst mehrere aufeinander abgestimmte Schritte:
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Anamnese (ausführliches Erstgespräch)
In einem ersten Gespräch werden persönliche Lebensgeschichte, berufliche Stationen, schulischer Werdegang und aktuelle Probleme gemeinsam betrachtet (Daley et al., 2019). Fragen können sein:
- Wann sind dir erste Auffälligkeiten aufgefallen?
- Wie sah dein Schulalltag aus?
- Gibt es familiäre Vorbelastungen mit ADHS oder anderen psychischen Störungen?
-
Fragebögen & Screening-Verfahren
Zur weiteren Einschätzung kommen standardisierte Fragebögen zum Einsatz, darunter z. B.:
- ASRS (Adult ADHD Self-Report Scale)
- DIVA 2.0 (Diagnostic Interview for ADHD in Adults)
- WURS (Wender Utah Rating Scale)
- Ergänzende Depression- und Angst-Screenings
Diese Verfahren helfen, die Häufigkeit und Intensität typischer ADHS-Symptome sichtbar zu machen (Daley et al., 2019).
-
Fremdanamnese & Entwicklungsverlauf
Oft wird zusätzlich eine Einschätzung von nahestehenden Personen eingeholt, z. B. von Eltern oder Partner:innen. Dies hilft, den Verlauf seit der Kindheit zu rekonstruieren – ein zentrales Kriterium in der ADHS-Diagnostik (Daley et al., 2019).
-
Neuropsychologische Testung (optional)
Je nach Fragestellung oder Unsicherheit im Bild können Tests zur Aufmerksamkeitsleistung, kognitiven Flexibilität, Reaktionskontrolle oder Gedächtnis durchgeführt werden. Diese Tests sind objektiv und ergänzen die subjektiven Einschätzungen (Kooij et al., 2010).
-
Ausschluss anderer Ursachen (Differentialdiagnostik)
Ein besonders wichtiger Schritt ist die Abgrenzung zu anderen psychischen oder neurologischen Störungen, u. a.:
- Depressionen & bipolare Störungen
- Angst- oder Zwangsstörungen
- Autismus-Spektrum-Störungen
- Substanzmissbrauch oder traumatische Belastungen (Kooij et al., 2010)
-
Diagnosestellung & Rückmeldung
Wenn genügend Hinweise vorliegen, wird die Diagnose ADHS gestellt. Die Ergebnisse werden verständlich erklärt, Fragen beantwortet und gemeinsam nächste Schritte geplant – z. B. medikamentöse Behandlung, Verhaltenstherapie oder berufliches Coaching (Kooij et al., 2010).
ADHS Diagnose bei Kindern in der Schweiz
Die ADHS-Diagnostik bei Kindern und Jugendlichen ist besonders interdisziplinär angelegt. Es braucht die Zusammenarbeit mit Schule, Eltern und ggf. weiteren Fachpersonen. Besonderheiten:
- Es werden Verhaltensbeobachtungen im Schul- und Familienkontext einbezogen
- Fragebögen gehen an Lehrpersonen, Eltern und manchmal das Kind selbst
- Entwicklungsdiagnostik kann ergänzend durchgeführt werden (Motorik, Sprache, Kognition)
- Oft gibt es mehrere Gespräche mit Eltern und Kind
Auch hier gilt: ADHS darf nicht vorschnell diagnostiziert werden. Erst wenn Symptome über mindestens sechs Monate, in mindestens zwei Lebensbereichen auftreten und den Alltag stark beeinträchtigen, ist eine Diagnose gerechtfertigt (Altwicker-Hámori, 2021).
Was wird für eine ADHS-Abklärung benötigt?
Damit die Abklärung möglichst effizient und umfassend ablaufen kann, helfen folgende Unterlagen und Informationen:
- Schulzeugnisse (besonders aus der Primarschule oder Sekundarstufe)
- Allfällige Berichte von früheren Therapien oder Schulpsychologie
- Auflistung aktueller Beschwerden im Alltag (am besten schriftlich vorbereitet)
- Fragen, die man selbst an die Fachperson hat
- Bereits erfolgte Selbsttests oder Einschätzungen (z. B. Online-Screenings)
Wie lange dauert die Diagnostik?
Die Dauer der ADHS-Diagnose hängt stark vom Anbieter, der Verfügbarkeit von Terminen und der Komplexität ab. Als grobe Orientierung:
- Erstgespräch: 60–90 Minuten
- Testung und Fragebögen: verteilt über 1–2 Sitzungen
- Abschlussgespräch: ca. 60 Minuten
- Gesamtdauer: 2–6 Wochen, bei Wartezeiten ggf. länger
Hinweis: Viele Stellen bieten inzwischen auch ADHS-Diagnostik online oder hybrid an. Dabei werden gewisse Schritte digital durchgeführt, was Zeit spart und den Zugang erleichtert (Altwicker-Hámori, 2021).
Kosten und Kostenübernahme
Die Kosten für eine ADHS-Diagnose in der Schweiz variieren je nach Anbieter, Region und Umfang:
- Bei ärztlich zugelassenen Psychiater:innen oder delegierter Psychotherapie erfolgt die Abrechnung über die Grundversicherung (OKP)
- Bei Psycholog:innen ohne Kassenzulassung können Kosten anfallen, es sei denn, eine Überweisung durch den Hausarzt oder Psychiater liegt vor
- Private Zentren verlangen meist Pauschalpreise (z. B. CHF 600–1’200) (Praxisgemeinschaft 4P, 2024)
Bei finanziellen Engpässen lohnt sich eine Rückfrage bei der Krankenkasse oder IV-Stelle. Teilweise übernehmen auch Arbeitgeber oder IV-Stellen die Diagnostik im Rahmen von Abklärungsverfahren (Praxisgemeinschaft 4P, 2024).
Was passiert nach der Diagnose?
Eine Diagnose alleine verändert noch nichts, aber sie schafft die Voraussetzung, dass gezielte Massnahmen greifen können. Folgende Optionen stehen offen:
- Psychoedukation: besseres Selbstverständnis, Umgang mit Symptomen
- Psychotherapie: insbesondere Verhaltenstherapie oder integrative Verfahren
- Medikation: Methylphenidat, Atomoxetin oder andere Wirkstoffe – nur bei Bedarf und sorgfältiger Aufklärung
- ADHS-Coaching: alltagsnahes Training von Struktur, Zeitmanagement und Selbstregulation
- Berufliche Massnahmen: Anpassungen am Arbeitsplatz, Unterstützung durch HR oder Case Management
- Vernetzung: Selbsthilfegruppen, Online-Foren, Peer-Beratung
Fazit: ADHS Diagnose Schweiz
Die ADHS-Diagnose ist ein strukturierter, aber individueller Prozess. Sie erfordert Offenheit, Fachwissen und gute Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Wer sich auf diesen Weg begibt, gewinnt an Klarheit, Selbstakzeptanz und Handlungsfähigkeit – sei es als betroffene Person oder als Elternteil.
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