ADHS kann nicht nur ambulant, sondern auch stationär behandelt werden. Besonders bei schweren Verläufen oder in Kombination mit anderen psychischen Erkrankungen kann ein Aufenthalt in einer Klinik sinnvoll sein. Doch wann ist eine stationäre Therapie bei ADHS wirklich notwendig? Und wie sieht das in der Schweiz konkret aus? In diesem Artikel geben wir einen umfassenden Überblick über die wichtigsten Indikationen, Behandlungsmöglichkeiten, den Ablauf und Anlaufstellen für eine stationäre ADHS Behandlung in der Schweiz, ergänzt durch praktische Hinweise zur Kostenübernahme und weiterführender Betreuung (Taipale et al., 2024).
Wann ist eine stationäre ADHS-Behandlung angezeigt?
Eine stationäre Therapie kommt meist dann infrage, wenn ambulante Behandlungen nicht ausreichen oder nicht mehr greifen (Taipale et al., 2024). Zu den häufigsten Indikationen zählen:
- Schwere ADHS-Symptomatik, die zu massiven Einschränkungen im Alltag führt, etwa im Beruf, Studium oder im sozialen Umfeld
- Kombination mit weiteren psychischen Erkrankungen wie Depression, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen oder Suchterkrankungen (Komorbidität)
- Krisenhafte Zustände wie Suizidgedanken, akute Erschöpfung, Burnout oder sozialer Rückzug
- Versagen ambulanter Therapieangebote, selbst bei Einsatz von Medikation und Verhaltenstherapie
- Notwendigkeit intensiver Diagnostik, insbesondere bei komplexem Verlauf oder unklarer Komorbidität
- Berufliche Wiedereingliederung oder IV-Abklärung, wenn die Erwerbsfähigkeit gefährdet ist
Auch bei starker familiärer Belastung oder fehlenden sozialen Ressourcen im Umfeld kann eine stationäre Behandlung sinnvoll sein, um Betroffene vorübergehend zu entlasten und ihnen einen geschützten Rahmen zu bieten. Manche Patient:innen berichten auch davon, dass sie erstmals durch die intensive und strukturierte Behandlung in einer Klinik wirklich „verstanden“ wurden – ein zentraler Faktor für nachhaltige Veränderung (Hinshaw et al., 2015).
Ein weiteres wichtiges Einsatzgebiet sind Situationen, in denen ADHS mit Suchterkrankungen einhergeht. Hier kann eine stationäre Behandlung helfen, einen klaren Rahmen zu schaffen und gleichzeitig psychotherapeutisch an beiden Diagnosen zu arbeiten. Ebenso kann bei bereits erfolgten Rückfällen eine stationäre Stabilisierung erneute Motivation geben, um eine langfristige Therapie aufzubauen (Hinshaw et al., 2015).
Ablauf einer stationären Behandlung
Eine stationäre ADHS-Behandlung in der Schweiz dauert in der Regel zwischen vier und zwölf Wochen, abhängig vom Schweregrad der Erkrankung, den individuellen Zielsetzungen und dem Behandlungskonzept der jeweiligen Klinik (Liman et al., 2024). Der Behandlungsverlauf ist in der Regel multimodal aufgebaut und kann folgende Elemente beinhalten:
- Differenzierte Diagnostik (psychiatrisch, psychologisch, neuropsychologisch und somatisch)
- Psychoedukation: Aufklärung über ADHS, Symptome, Verlauf, Bewältigungsstrategien
- Kognitive Verhaltenstherapie (CBT) in Einzel- und Gruppensettings, ggf. kombiniert mit Schematherapie oder Achtsamkeitstechniken
- Medikamentöse Neueinstellung oder Optimierung bestehender Therapie mit Stimulanzien oder Nicht-Stimulanzien
- Alltags- und Selbstmanagement-Training, z. B. zur Verbesserung der Organisation, Impulskontrolle oder Emotionsregulation
- Sozialberatung, z. B. bei Fragen zu beruflicher Reintegration, IV-Rente oder schulischer Laufbahn
- Bewegungstherapie, Kunst- und Musiktherapie, Ergotherapie oder Achtsamkeitsbasierte Verfahren (z. B. MBSR)
- Familien- oder Paargespräche, wenn Angehörige in die Therapie einbezogen werden sollen
- Anschlussplanung für die Nachsorge: ambulante Psychotherapie, Coaching, Selbsthilfegruppen
Zusätzlich bieten viele Kliniken:
- Entspannungsverfahren wie PMR (Progressive Muskelrelaxation) oder Yoga
- Ernährungsberatung, da ADHS häufig mit unregelmässigem Essverhalten einhergeht
- Gruppensitzungen zu Selbstwert, Resilienz und Umgang mit Kritik
- Berufliche Belastungserprobung, insbesondere bei IV-naher Fragestellung
- Neurofeedback oder Biofeedback als ergänzende Therapiemethoden
Der stationäre Aufenthalt bietet auch einen guten Rahmen für den Aufbau von Routinen, die später im Alltag beibehalten werden können. Ein strukturierter Tagesablauf, festgelegte Schlafzeiten, geplante Essenszeiten und geregelte Therapieeinheiten schaffen Stabilität und Sicherheit, beides essenziell für ADHS Betroffene (Liman et al., 2024).
Stationäre Angebote in der Schweiz
In der Schweiz gibt es mehrere renommierte Kliniken und Zentren, die auf ADHS im Erwachsenenalter spezialisiert sind oder integrative Behandlungsprogramme anbieten:
- Psychiatrische Universitätsklinik Zürich (PUK) mit spezialisierten Stationen für ADHS, insbesondere bei Doppeldiagnosen
- Klinik Schönberg in Luzern bietet multimodale ADHS-Programme mit verhaltenstherapeutischer Ausrichtung
- Privatklinik Meiringen Schwerpunkt auf der Behandlung von ADHS mit komorbider Depression, Angst oder Sucht
- Clienia Littenheid und Schlüsselbad Klinik mit Fokus auf Selbstmanagement, berufliche Reintegration und individuelle Therapieplanung
- Klinik Sonnenhalde (Riehen) auch anthroposophisch ausgerichtete Ansätze bei ADHS möglich
- ADHS Klinik Schweiz (Region Bern) in interdisziplinärer Trägerschaft mit Fokus auf IV-Vorbereitung
- Rehakliniken wie RehaClinic Bad Zurzach oder ZURZACH Care, die zunehmend auch ADHS-Spezialprogramme entwickeln
Zudem gibt es spezialisierte Einrichtungen mit Fokus auf ADHS in Verbindung mit Hochsensibilität, Trauma oder autistischen Zügen, Aspekte, die bei ADHS oft übersehen werden, aber stationär gezielt behandelt werden können (Lv et al., 2023).
Tipp: Viele Kliniken bieten Schnuppertage, telefonische Vorgespräche oder Abklärungsgespräche an, ein guter erster Schritt für Interessierte.
Was zahlt die Krankenkasse?
Stationäre ADHS Behandlungen werden in der Regel von der obligatorischen Krankenpflegeversicherung (OKP) übernommen, wenn eine ärztliche Verordnung vorliegt und die medizinische Notwendigkeit gegeben ist (Riedel et al., 2021). Dabei gelten folgende Punkte:
- Bei einem Aufenthalt in einer Privatklinik ist in der Regel eine Zusatzversicherung erforderlich – sonst entstehen hohe Eigenkosten
- Bei längerer Arbeitsunfähigkeit kann ein IV-Antrag gestellt werden; die Invalidenversicherung übernimmt in Einzelfällen auch stationäre Rehabilitationsaufenthalte
- Zuweisung erfolgt meist durch Hausärzt:innen, Psychiater:innen oder über Spitäler
- ADHS IV Schweiz: Bei IV-Leistungen lohnt es sich, frühzeitig abzuklären, ob ADHS als behandlungsrelevante Diagnose anerkannt wird
Wichtig: Vor dem Aufenthalt sollte die Kostenübernahme mit der Krankenkasse geklärt werden, insbesondere bei geplanten Aufenthalten in Privatkliniken oder Rehakliniken.
Auch zu beachten: Bei bestimmten Kliniken können je nach Kanton unterschiedliche Tarife gelten. Wer eine Klinik ausserhalb des Wohnkantons wählt, sollte dies im Vorfeld mit der Krankenkasse oder dem Sozialdienst besprechen (MTA Cooperative Group, 1999).
Nach dem Klinikaufenthalt: Wie geht es weiter?
Eine stationäre Behandlung ist meist nur ein Abschnitt im gesamten Therapieprozess. Entscheidend ist die Anschlussversorgung. Dazu gehören:
- Fortführung der ambulanten Psychotherapie (z. B. Verhaltenstherapie, Coaching)
- Weiterbehandlung durch Hausarzt oder Psychiater zur Medikation
- Teilnahme an ADHS-Selbsthilfegruppen, z. B. in Zürich, Basel, Winterthur oder online
- Allfällige Anbindung an berufliche Integrationsprogramme oder IV-Massnahmen
- Aufbau eines persönlichen Notfallplans, z. B. bei Rückfalltendenzen oder erhöhter Belastung
- Nutzung von digitalen Tools wie ADHS-Apps oder Online-Coachings zur Unterstützung im Alltag
Empfehlung: Viele Kliniken unterstützen bereits während des Aufenthalts die Anschlussplanung und bieten Kontakt zu weiterführenden Stellen, um Rückfälle oder Unterversorgung zu vermeiden («ADHD in acute care psychiatric inpatients», 2018).
Langfristig kann auch ein individuelles ADHS-Coaching helfen, das Gelernte in Alltag und Beruf zu verankern, sei es in Form von Selbstmanagementkursen, beruflichem Mentoring oder digitaler Unterstützung. Gerade in der Schweiz entstehen zunehmend spezialisierte Angebote, etwa ADHS-Coaching im Kontext der Arbeitsintegration oder digitale Lernplattformen mit alltagsrelevanten Inhalten («ADHD in acute care psychiatric inpatients», 2018).
Fazit: Stationäre Behandlung als wertvolle Ergänzung
Eine stationäre ADHS-Therapie ist kein Zeichen des Scheiterns, sondern eine sinnvolle Ergänzung ambulanter Angebote. Wer unter starker Symptomlast leidet oder an Grenzen stösst, findet in der Schweiz vielfältige, qualitativ hochwertige Behandlungsangebote – mit individuellem Fokus auf Stabilisierung, Selbstwirksamkeit und Lebensqualität.
Dabei ist entscheidend: Je früher eine stationäre Intervention erfolgt, desto besser die Chancen auf nachhaltige Veränderung. Die Kombination aus intensiver Diagnostik, interdisziplinärer Betreuung und geschütztem Raum ist gerade für erwachsene ADHS-Betroffene oft der Schlüssel zur langfristigen Stabilität.