ADHS oder Hochsensibilität? Unterschiede klar erklärt

Veröffentlicht am: 27. September 2025
Zuletzt ärztlich geprüft am: 06. Oktober 2025

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Porträt von Dr. med. Jens Westphal, Praktischer Arzt FMH und medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch. Er begleitet Patientinnen und Patienten in der Schweiz bei der Abklärung und Behandlung von ADHS. Das Bild zeigt ihn vor einem klaro-Hintergrund als Teil des ärztlichen Teams für ADHS Schweiz.

Dr. med. Jens Westphal

ADHS-Spezialist und Praktischer Arzt (FMH)
Dr. med. Jens Westphal ist Praktischer Arzt (FMH) mit langjähriger Erfahrung in der hausärztlichen Versorgung und Psychiatrie. Er ist medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch und prüft alle Inhalte rund um ADHS, Diagnostik und Therapie auf wissenschaftliche Genauigkeit und praktische Umsetzbarkeit in der Schweizer Grundversorgung.

Inhaltsverzeichnis

Fühlst du dich schnell überfordert, nimmst viele Reize gleichzeitig wahr oder hast das Gefühl, anders zu sein als andere? Dann hast du dich vielleicht schon gefragt, ob du ADHS hast oder hochsensibel bist. Beide Begriffe werden oft miteinander verwechselt oder synonym verwendet. Dabei handelt es sich um unterschiedliche Phänomene, die zwar ähnliche Herausforderungen mit sich bringen, aber andere Ursachen und Anforderungen an den Alltag haben (Panagiotidi, Overton, & Stafford, 2020).

In diesem Artikel erklären wir dir ausführlich die Unterschiede zwischen ADHS und Hochsensibilität, gehen auf Überschneidungen ein, beleuchten typische Missverständnisse und zeigen dir Wege, wie du dich selbst besser einschätzen kannst. Zudem bekommst du Tipps für den Alltag und erfährst, wann eine professionelle Abklärung sinnvoll ist. Ergänzend werfen wir einen Blick auf aktuelle Forschung, Fallbeispiele aus dem Praxisalltag und Empfehlungen, wie du mit mehr Klarheit zu einem besseren Selbstverständnis findest(Panagiotidi, Overton, & Stafford, 2020).

ADHS und Hochsensibilität: Was genau steckt dahinter?

Eine verschwommene Hand streckt sich durch eine durchscheinende Stoffwand. Das Bild symbolisiert Unsicherheit, Reizüberflutung und das Gefühl, nicht ganz durchzudringen – typische Empfindungen bei Hochsensibilität und ADHS.

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurobiologische Störung. Sie beginnt in der Kindheit und bleibt bei vielen Menschen auch im Erwachsenenalter bestehen. Die Ursachen liegen in einer veränderten Neurotransmitterfunktion im Gehirn, insbesondere im Dopamin- und Noradrenalin-System(Panagiotidi, Overton, & Stafford, 2020). Zu den typischen Merkmalen gehören:

  • Probleme mit Aufmerksamkeit und Konzentration
  • Impulsives Verhalten
  • Innere oder äussere Unruhe
  • Schwierigkeiten bei der Planung und Organisation
  • Emotionale Reizbarkeit

Hochsensibilität (auch bekannt als Highly Sensitive Person, HSP) ist keine Erkrankung, sondern ein Persönlichkeitsmerkmal. Hochsensible Menschen nehmen Sinneseindrücke intensiver wahr und verarbeiten Informationen tiefer. Aktuelle Forschungen gehen davon aus, dass etwa 15–20 % der Bevölkerung hochsensibel sind(Panagiotidi, Overton, & Stafford, 2020). Typische Merkmale sind:

  • Gesteigerte Wahrnehmung von Licht, Geräuschen, Gerüchen oder Stimmungen
  • Starke emotionale Reaktionen
  • Ausgeprägtes Einfühlungsvermögen
  • Hohes Reflexionsvermögen
  • Schnelle Überstimulation durch soziale oder sensorische Reize
  • Tendenz zu Perfektionismus und einem hohen Verantwortungsgefühl

Ein zentrales Unterscheidungsmerkmal: Während ADHS häufig zu Funktionsbeeinträchtigungen im Alltag führt, ist Hochsensibilität vor allem eine Frage der Wahrnehmungsintensität(Panagiotidi, Overton, & Stafford, 2020).

ADHS oder hochsensibel? 6 zentrale Unterschiede

Viele Menschen, die sich mit dem Thema beschäftigen, stossen auf Selbsttests wie ADHS oder hochsensibel Test Erwachsene, ADHS Quiz oder Hochsensibilitäts-Skalen. Doch woran erkennt man, was wirklich zutrifft? Es hilft, die Funktionsweisen der beiden Phänomene besser zu verstehen und typische Verhaltensweisen im Alltag zu reflektieren (Jurek et al., 2025).

  1. Neurologischer Hintergrund
  1. Reizverarbeitung
  • Menschen mit ADHS suchen oft aktiv Reize, um ihre Aufmerksamkeit zu aktivieren.
  • Hochsensible Personen empfinden Reize schnell als zu viel und versuchen, sie zu vermeiden.
  1. Umgang mit Struktur
  • Bei ADHS fällt es schwer, Routinen aufzubauen oder Aufgaben zu beenden.
  • Hochsensible können gut organisiert sein, reagieren aber empfindlich auf Unterbrechungen oder emotionale Konflikte.
  1. Impulsivität
  • ADHS-Betroffene handeln oft unüberlegt, sprechen oder reagieren vorschnell.
  • Hochsensible sind meist abwägend und zögern Entscheidungen eher hinaus.
  1. Konzentrationsfähigkeit
  • Bei ADHS ist die Konzentration instabil – oft wechselt der Fokus willkürlich.
  • Hochsensible können sich gut fokussieren, sofern die Umgebung stimmt.
  1. Alltagsbewältigung
  • ADHS kann massiv beeinträchtigend sein, insbesondere ohne Diagnose oder Unterstützung.
  • Hochsensibilität kann herausfordernd sein, muss aber nicht zwangsläufig zu Problemen führen.

Wo sich ADHS und Hochsensibilität überschneidenEin Regenbogenlicht fällt über das Gesicht einer Frau, direkt über das Auge. Dieses Bild steht sinnbildlich für die Vielschichtigkeit von ADHS und Hochsensibilität – bunt, intensiv und oft unsichtbar für andere.

Es gibt viele Gemeinsamkeiten, weshalb die Begriffe oft verwechselt werden. Dazu gehören:

  • Erhöhte Stressanfälligkeit
  • Emotionale Intensität
  • Kreativität und Empathie
  • Starker innerer Dialog
  • Hohes Reflexionsbedürfnis
  • Gefühl der Andersartigkeit oder sozialen Überforderung

Gerade in sozialen Kontexten wie Schule oder Arbeitsumfeld reagieren beide Gruppen häufig mit Rückzug, Unsicherheit oder Überkompensation. Das führt nicht selten zu Missverständnissen im Umfeld und erhöhtem Leidensdruck(Jurek et al., 2025).

Ein weiterer Aspekt: Sowohl bei ADHS als auch bei Hochsensibilität kommt es häufig zu Kombinationen mit Hochbegabung oder Autismus-Spektrum-Zügen. Gerade im Bereich der hochsensiblen ADHS-Persönlichkeiten oder ADHS bei Hochbegabten ist eine differenzierte Betrachtung durch Fachpersonen entscheidend(Jurek et al., 2025).

Hochsensibel, ADHS oder beides? Das sagt die Forschung

Neuere Studien zeigen, dass es durchaus Überschneidungen gibt. Hochsensible Menschen mit ADHS haben oft einen komplexeren Alltag, weil sie einerseits ständig nach neuen Impulsen suchen und andererseits durch diese Reize schnell überfordert sind. Diese doppelte Herausforderung kann zu emotionaler Erschöpfung führen. Das Risiko für Burnout oder Angststörungen ist bei dieser Kombination erhöht(Jurek et al., 2025).

Auch wird diskutiert, ob Hochsensibilität bei Kindern mit ADHS die Symptome verstärkt oder das Erleben verändert. Das kann zu Fehldiagnosen führen, z. B. wird ein hochsensibles Kind mit ADHS für ängstlich oder autistisch gehalten. Hier hilft eine differenzierte Diagnostik weiter. Besonders in der Schweiz bietet eine genaue Abklärung durch interdisziplinäre Teams die Chance, Fehldiagnosen zu vermeiden und individuelle Stärken besser zu fördern(Jurek et al., 2025).

Tipps für den Alltag: Was hilft bei ADHS oder Hochsensibilität?

Unabhängig davon, ob du mit ADHS, Hochsensibilität oder beidem lebst, gibt es wirksame Strategien zur Selbstregulation und zum Umgang mit Reizüberflutung Lane, S. J., & Reynolds, S. (2019):

  • Struktur schaffen: Tagespläne, To-Do-Listen, feste Schlafenszeiten.
  • Pausen einbauen: bewusste Ruhephasen zur Reizverarbeitung.
  • Bewegung nutzen: Sport reduziert Stresshormone und fördert die Konzentration.
  • Digitale Reizreduktion: Bildschirmzeit begrenzen, Social Media bewusst einsetzen.
  • Reizfilter: z. B. geräuschreduzierende Kopfhörer, Sonnenbrille, ruhiger Arbeitsplatz.
  • Therapeutische Begleitung: Verhaltenstherapie bei ADHS oder Coaching für hochsensible Menschen.
  • Psychoedukation: sich selbst besser verstehen lernen, um bewusster mit Reizen umzugehen.

Auch Atemübungen, Meditation oder kreative Hobbys wie Malen, Musik oder Schreiben helfen vielen Betroffenen, zur Ruhe zu kommen und die eigene Reizverarbeitung positiv zu steuern Lane, S. J., & Reynolds, S. (2019).

Wann ist eine professionelle Abklärung sinnvoll?

Wenn du immer wieder an deine Grenzen kommst, dich dauerhaft erschöpft fühlst oder dein Alltag massiv beeinträchtigt ist, lohnt sich eine professionelle Abklärung. Besonders hilfreich ist sie:

  • Bei Verdacht auf ADHS bei Erwachsenen
  • Wenn du dir unsicher bist, ob Hochsensibilität oder ADHS zutrifft
  • Wenn du mit Hochbegabung, POS oder Autismus im Grenzbereich zu tun hast
  • Wenn Symptome zu ständiger Überforderung oder Selbstzweifeln führen

Unsere spezialisierten Psychologinnen helfen dir dabei, deine Stärken und Herausforderungen besser zu verstehen und passende Wege für den Alltag zu entwickeln – individuell, empathisch und auf deine Situation abgestimmt Lane, S. J., & Reynolds, S. (2019).

Fazit: ADHS und Hochsensibilität unterscheiden und verstehen

Auch wenn sich ADHS und Hochsensibilität in manchen Punkten ähneln, handelt es sich um unterschiedliche Phänomene. ADHS ist eine Diagnose mit klarem Behandlungsansatz. Hochsensibilität beschreibt eine besondere Wahrnehmung, die ebenfalls Anpassung erfordert, aber kein Krankheitswert ist.

Wichtig ist, dass du dich selbst ernst nimmst, deine Wahrnehmung validierst und dir erlaubst, Unterstützung zu suchen. Ob du mit ADHS, Hochsensibilität oder einer Kombination lebst – du bist nicht allein. Und du kannst lernen, gut damit umzugehen.

Tipp: Du möchtest Klarheit, ob bei dir ADHS oder Hochsensibilität vorliegt? Unsere erfahrenen Psychologinnen begleiten dich durch eine fundierte Einschätzung. Jetzt kostenlos anfragen und erste Schritte gehen.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

  • Ja, viele Menschen mit ADHS sind gleichzeitig hochsensibel. Beide Eigenschaften betreffen die Art, wie Reize verarbeitet werden – bei ADHS ist die Filterfunktion des Gehirns beeinträchtigt, während Hochsensible Reize intensiver wahrnehmen. Das führt oft zu schnellerer Überforderung, aber auch zu hoher Empathie und Kreativität. Eine ADHS-Therapie, die Achtsamkeit und Reizmanagement einbezieht, kann helfen, die Stärken beider Seiten zu nutzen.

Quellenverzeichnis

  1. Panagiotidi, M., Overton, P. G., & Stafford, T. (2020). The relationship between sensory processing sensitivity and attention deficit hyperactivity disorder traits: A spectrum approach. Psychiatry Research, 293, 113477. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2020.113477
  2. Jurek, L., Duchier, A., Gauld, C., Hénault, L., Giroudon, C., Fourneret, P., Cortese, S., & Nourredine, M. (2025). Sensory processing in individuals with attention-deficit/hyperactivity disorder compared with control populations: A systematic review and meta-analysis. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 64(10), 1132–1147. https://doi.org/10.1016/j.jaac.2025.02.019
  3. Lane, S. J., & Reynolds, S. (2019). Sensory over-responsivity as an added dimension in ADHD. Frontiers in Integrative Neuroscience, 13, Article 40. https://doi.org/10.3389/fnint.2019.00040

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