ADHS oder Autismus? 5 klare Unterschiede verstehen

Veröffentlicht am: 27. September 2025
Zuletzt ärztlich geprüft am: 06. Oktober 2025

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Porträt von Dr. med. Jens Westphal, Praktischer Arzt FMH und medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch. Er begleitet Patientinnen und Patienten in der Schweiz bei der Abklärung und Behandlung von ADHS. Das Bild zeigt ihn vor einem klaro-Hintergrund als Teil des ärztlichen Teams für ADHS Schweiz.

Dr. med. Jens Westphal

ADHS-Spezialist und Praktischer Arzt (FMH)
Dr. med. Jens Westphal ist Praktischer Arzt (FMH) mit langjähriger Erfahrung in der hausärztlichen Versorgung und Psychiatrie. Er ist medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch und prüft alle Inhalte rund um ADHS, Diagnostik und Therapie auf wissenschaftliche Genauigkeit und praktische Umsetzbarkeit in der Schweizer Grundversorgung.

Inhaltsverzeichnis

ADHS und Autismus werden oft in einem Atemzug genannt, doch sie sind nicht dasselbe. Beide Störungsbilder gehören zum neurodiversen Spektrum, weisen aber unterschiedliche Ursachen, Symptome und Entwicklungsverläufe auf. Gleichzeitig gibt es viele Menschen, bei denen sich ADHS und Autismus überschneiden, was die Abgrenzung nicht einfacher macht (Hours et al., 2022).

In diesem Artikel erfährst du, worin sich ADHS und Autismus unterscheiden, welche Gemeinsamkeiten es gibt, wie die wissenschaftliche Perspektive aussieht und warum eine genaue Abklärung wichtig ist, insbesondere in der Schweiz, wo es eine wachsende Zahl an spezialisierten Anlaufstellen gibt. Plattformen wie der Autismus Verein Schweiz, Einrichtungen in Winterthur oder spezifische Online-Angebote können dabei unterstützen, den richtigen Weg zu finden. Auch für Eltern, Lehrpersonen oder Fachkräfte kann ein besseres Verständnis helfen, betroffene Kinder und Jugendliche gezielt zu fördern (Hours et al., 2022).

Was ist ADHS?

ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurologisch bedingte Entwicklungsstörung, die in der Kindheit beginnt und oft lebenslang bestehen bleibt. Die Symptome treten in unterschiedlichen Schweregraden auf und betreffen mehrere Lebensbereiche (Leitner, 2014). Zu den Hauptmerkmalen zählen:

  • Anhaltende Konzentrationsprobleme
  • Ausgeprägte Impulsivität
  • Motorische Unruhe oder «innere Rastlosigkeit»
  • Schwierigkeiten mit Planung, Organisation und Zeitgefühl
  • Emotionale Reizbarkeit, schnelle Stimmungswechsel

ADHS tritt in verschiedenen Subtypen auf, darunter:

  • ADHS mit vorwiegend unaufmerksamer Symptomatik
  • ADHS mit vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Symptomatik
  • Kombinierter Typ

In der Schweiz wird ADHS zunehmend auch im Erwachsenenalter diagnostiziert, nicht selten erstmals im Kontext von Burnout, Beziehungsproblemen oder beruflichem Scheitern. Betroffene berichten oft von einem langen Leidensweg, auf dem sie sich unverstanden und falsch eingeschätzt fühlten (Leitner, 2014).

Was ist Autismus?

Vier Strichmännchen in einer Reihe – eines davon steht auf dem Kopf – als Metapher für neurodiverse Denkweisen bei ADHS und Autismus, die sich oft von der Norm abheben.

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) umfassen eine Gruppe neurologischer Entwicklungsstörungen, die sich durch tiefgreifende Besonderheiten in Kommunikation, Sozialverhalten, Interessen und Wahrnehmung auszeichnen. Autistische Menschen erleben die Welt oft intensiver, strukturierter oder detailfokussierter (Shaw et al., 2014).

Typische Merkmale sind:

  • Schwierigkeiten mit sozialer Interaktion und intuitivem Verstehen von zwischenmenschlichen Signalen
  • Eingeschränkte oder stereotype Verhaltensmuster
  • Sehr spezifische Interessensgebiete mit grossem Detailwissen
  • Sensorische Besonderheiten (z. B. Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber Reizen)
  • Starkes Bedürfnis nach Routinen und Vorhersehbarkeit

Autismus ist ein Spektrum – von Menschen mit kaum merkbaren Auffälligkeiten bis zu Personen mit stark eingeschränkter Alltagskompetenz. Begriffe wie Asperger-Syndrom oder High-Functioning-Autismus sind heute wissenschaftlich nicht mehr trennscharf, aber weiterhin gebräuchlich. Viele Menschen auf dem Spektrum entwickeln eigene Bewältigungsstrategien, sogenannte «Masking-Techniken», um sich im Alltag anzupassen, was zu innerer Erschöpfung führen kann (Shaw et al., 2014).

ADHS oder Autismus? 5 klare Unterschiede

Trotz Überschneidungen unterscheiden sich ADHS und Autismus in mehreren grundlegenden Punkten:

  1. Kommunikation & soziale Interaktion

  • ADHS-Betroffene sind oft kontaktfreudig, aber impulsiv, neigen dazu, Gespräche zu unterbrechen oder Themen zu wechseln.
  • Autistische Personen wirken zurückhaltender, vermeiden Augenkontakt und haben Schwierigkeiten, Ironie, Sarkasmus oder unausgesprochene soziale Regeln zu verstehen.
  1. Reizverarbeitung

  • Bei ADHS ist die Reizfilterung gestört: alles kommt gleichzeitig an, was zu Ablenkbarkeit führt.
  • Bei Autismus sind Reize entweder extrem verstärkt oder fast nicht wahrnehmbar. Bestimmte Geräusche oder Texturen können als schmerzhaft empfunden werden.
  1. Interessen & Routinen

  • ADHS-Betroffene wechseln häufig zwischen Hobbys, zeigen aber kurzfristige Begeisterung.
  • Autistische Menschen widmen sich ihren Spezialinteressen oft jahrelang mit grosser Tiefe und Beständigkeit.
  1. Impulsivität & Selbstkontrolle

  • Bei ADHS ist Impulsivität zentral: Handeln ohne Nachdenken, ungeduldiges Verhalten.
  • Bei Autismus ist das Verhalten oft kontrolliert, aber starr. Routineverstösse können grosse Verunsicherung auslösen.
  1. Entwicklung und Früherkennung

  • ADHS zeigt sich oft durch schulische Schwierigkeiten, Zappeligkeit oder Konflikte.
  • Autismus wird häufig schon im Kleinkindalter auffällig, z. B. durch fehlenden Blickkontakt, wenig soziale Reaktion oder verspätete Sprachentwicklung. Viele Eltern berichten rückblickend von einem «anderen Wahrnehmen» ihres Kindes, lange bevor eine Diagnose gestellt wird (Martinez et al., 2024).

Wo liegen die Gemeinsamkeiten?

Obwohl ADHS und Autismus unterschiedliche Diagnosen sind, gibt es eine hohe Komorbidität. Studien zeigen, dass bis zu 30 % der Menschen mit Autismus auch ADHS-Kriterien erfüllen (Phung et al., 2021).

Gemeinsame Merkmale:

  • Erhöhte Sensibilität für Umweltreize
  • Schwierigkeiten mit sozialem Miteinander
  • Emotionale Überforderung in stressigen Situationen
  • Neigung zu Routinen oder sich wiederholendem Verhalten
  • Hoher Energiebedarf zur Bewältigung des Alltags

Besonders Kinder oder Jugendliche, die sich «anders» fühlen, können in beide Richtungen Symptome zeigen. Eine differenzierte Abklärung durch spezialisierte Fachpersonen ist daher zentral. Auch bei Erwachsenen lohnt sich eine Klärung, insbesondere bei Menschen mit bislang unerklärten beruflichen oder sozialen Herausforderungen (Phung et al., 2021).

Wissenschaftlicher Blick: ADHS und Autismus im Spektrum denken

In der Forschung setzt sich zunehmend die Sichtweise durch, dass ADHS und Autismus nicht zwei strikt getrennte Kategorien, sondern Teil eines grösseren neurodiversen Spektrums sind. Das erklärt, warum bestimmte Symptome wie Reizempfindlichkeit, soziales Unverständnis oder emotionale Regulation bei beiden auftreten können (Suen et al., 2024).

In der Schweiz zeigen Studien z. B., dass insbesondere Jugendliche mit kombinierter Diagnose (ADHS + ASS) ein höheres Risiko für Angststörungen, Depressionen oder Schulabbrüche haben. Eine frühe und klare Abklärung kann helfen, diesen Entwicklungen vorzubeugen. Auch das Verständnis für neurodiverse Kinder an Schulen, in Ausbildungsstätten oder im Berufsleben ist entscheidend, um langfristige soziale Teilhabe zu ermöglichen (Pehlivanidis et al., 2020).

Ein Mädchen sitzt auf dem Boden und ist in sich gekehrt, während andere Kinder mit einem Erwachsenen interagieren – typische Szene bei Autismus oder ADHS, wenn Rückzug oder Fokus auf Details statt sozialer Interaktion im Vordergrund steht.Was tun bei Verdacht auf ADHS oder Autismus?

Wenn du dich oder dein Kind in mehreren der genannten Merkmale wiedererkennst, ist der erste Schritt: Abklärung durch Fachpersonen (Pehlivanidis et al., 2020). In der Schweiz stehen dafür verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:

  • Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste in Zürich, Bern, Basel oder Luzern
  • Autismus Verein Schweiz für spezifische Unterstützung und Vernetzung
  • Neuropsychologische Abklärung bei Verdacht auf ADHS
  • Online-Vorgespräche zur Ersteinschätzung – diskret, schnell und ortsunabhängig

Wichtig ist: Eine fundierte Diagnose bedeutet nicht «Schubladisierung», sondern Zugang zu den richtigen Unterstützungsangeboten. Mit einem differenzierten Bericht können auch IV-Stellen, Schulen oder Arbeitgeber gezielter unterstützen (Pehlivanidis et al., 2020).

Fazit: ADHS und Autismus unterscheiden und individuell betrachten

ADHS und Autismus sind unterschiedliche neurobiologische Störungen mit eigenen Herausforderungen, aber auch mit grossen Stärken. Während ADHS mit Spontaneität, Kreativität und Energie einhergehen kann, bringen viele Autist:innen aussergewöhnliche Detailwahrnehmung, Ausdauer und logisches Denken mit.

Wichtig ist, sich selbst oder betroffene Kinder nicht zu bewerten, sondern verstehen zu wollen. Mit der richtigen Begleitung kann aus dem Gefühl des «Andersseins» eine echte Ressource entstehen. Jeder Mensch verdient eine Diagnose, die ihn stärkt, nicht stigmatisiert.

Tipp: Du bist unsicher, ob bei dir ADHS oder Autismus vorliegt? Unsere spezialisierten Psycholog:innen begleiten dich durch den Abklärungsprozess, professionell, einfühlsam und online. Jetzt kostenlos starten.

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Porträt von Dr. Almedina Berisha, Ärztin im Team von klaro-adhs.ch. Sie unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Diagnostik und Therapie von ADHS in der Schweiz. Das Bild zeigt sie im weissen Arztkittel mit Stethoskop vor einem klaro-Hintergrund.

Almedina Berisha

Ärztin Innere Medizin
Almedina Berisha ist Ärztin für Innere Medizin in der Schweiz mit besonderem Interesse an psychosomatischen Zusammenhängen und neurobiologischen Faktoren von ADHS. Sie prüft medizinische Inhalte auf klaro-adhs.ch auf wissenschaftliche Genauigkeit, klinische Relevanz und patientenverständliche Darstellung. Ihr Fokus liegt auf einer praxisnahen Vermittlung komplexer Themen der Erwachsenenmedizin und psychischen Gesundheit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

  • Wenn ADHS und Autismus gemeinsam auftreten, zeigen Betroffene meist Aufmerksamkeitsprobleme, Reizüberflutung und soziale Unsicherheiten gleichzeitig. Sie wirken impulsiv, aber auch überfordert von Reizen und sozialen Situationen. Eine kombinierte Diagnose erfordert spezialisierte Abklärung.

Quellenverzeichnis

  1. Hours, C., Recasens, C., & Baleyte, J.-M. (2022). ASD and ADHD comorbidity: What are we talking about? Frontiers in Psychiatry, 13, 837424. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2022.837424
  2. Leitner, Y. (2014). The co-occurrence of autism and attention deficit hyperactivity disorder in children – What do we know? Frontiers in Human Neuroscience, 8, 268. https://doi.org/10.3389/fnhum.2014.00268

  3. Shaw, P., Stringaris, A., Nigg, J., & Leibenluft, E. (2014). Emotional dysregulation and attention-deficit/hyperactivity disorder. American Journal of Psychiatry, 171(3), 276–293. https://doi.org/10.1176/appi.ajp.2013.13070966
  4. Martinez, S., Stoyanov, K., & Carcache, L. (2024). Unraveling the spectrum: Overlap, distinctions, and nuances of ADHD and ASD in children. Frontiers in Psychiatry, 15, 1387179. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2024.1387179
  5. Phung, J., Penner, M., Pirlot, C., & Welch, C. (2021). What I wish you knew: Insights on burnout, inertia, meltdown, and shutdown from autistic youth. Frontiers in Psychology, 12, 741421. https://doi.org/10.3389/fpsyg.2021.741421
  6. Suen, Y. N., Chau, A. P. Y., Wong, S. M. Y., Hui, C. L. M., Chan, S. K. W., Lee, E. H. M., Wong, M. T. H., & Chen, E. Y. H. (2024). Comorbidity of autism spectrum and attention deficit/hyperactivity disorder symptoms and their associations with 1-year mental health outcomes in adolescents and young adults. Psychiatry Research, 331, 115657. https://doi.org/10.1016/j.psychres.2023.115657
  7. Pehlivanidis, A., Papanikolaou, K., Mantas, V., Kalantzi, E., Korobili, K., Xenaki, L.-A., Vassiliou, G., & Papageorgiou, C. (2020). Lifetime co-occurring psychiatric disorders in newly diagnosed adults with attention deficit hyperactivity disorder (ADHD) or/and autism spectrum disorder (ASD). BMC Psychiatry, 20, 423. https://doi.org/10.1186/s12888-020-02828-1

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