Darm-Hirn-Achse & ADHS: Wie Verdauung & Gehirn zusammenhängen

Veröffentlicht am: 01. Oktober 2025
Zuletzt ärztlich geprüft am: 08. Oktober 2025

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Porträt von Dr. med. Jens Westphal, Praktischer Arzt FMH und medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch. Er begleitet Patientinnen und Patienten in der Schweiz bei der Abklärung und Behandlung von ADHS. Das Bild zeigt ihn vor einem klaro-Hintergrund als Teil des ärztlichen Teams für ADHS Schweiz.

Dr. med. Jens Westphal

ADHS-Spezialist und Praktischer Arzt (FMH)
Dr. med. Jens Westphal ist Praktischer Arzt (FMH) mit langjähriger Erfahrung in der hausärztlichen Versorgung und Psychiatrie. Er ist medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch und prüft alle Inhalte rund um ADHS, Diagnostik und Therapie auf wissenschaftliche Genauigkeit und praktische Umsetzbarkeit in der Schweizer Grundversorgung.

Inhaltsverzeichnis

Die Darm-Hirn-Achse beschreibt die bidirektionale (wechselseitige) Kommunikation zwischen unserem Verdauungssystem und dem Gehirn. Diese Verbindung ist hochkomplex und funktioniert über verschiedene Kanäle, darunter das Nervensystem, hormonelle Botenstoffe, Immunreaktionen sowie das sogenannte Mikrobiom, also die Gesamtheit aller im Darm lebenden Mikroorganismen wie Bakterien, Pilze und Viren (Mayer et al., 2015).

Dieser ständige Austausch zwischen Darm und Gehirn beeinflusst nicht nur die Verdauung und das Immunsystem, sondern auch unsere Stimmung, unser Verhalten und sogar kognitive Fähigkeiten. Besonders im Zusammenhang mit ADHS rückt die Darm-Hirn-Achse immer mehr in den Fokus der Forschung (Mayer et al., 2015).

Wichtige Kommunikationswege der Darm-Hirn-Achse:

  • Nervensystem: Der Vagusnerv ist wie eine Datenautobahn zwischen Bauch und Kopf. Er leitet Informationen in beide Richtungen und reagiert empfindlich auf Veränderungen imEine reich gedeckte Tafel mit asiatischem Essen, darunter Reis, Gemüse und gebratenes Fleisch. Frische Getränke mit Zitronenscheiben sorgen für Erfrischung. Eine ausgewogene Ernährung kann bei ADHS Schweiz helfen, Konzentration und Wohlbefinden zu unterstützen. Verdauungssystem (Mayer et al., 2015).
  • Hormonelle Steuerung: Rund 90 % des körpereigenen Serotonins, ein Botenstoff, der die Stimmung reguliert, wird im Darm produziert. Auch Dopamin und GABA stehen in engem Zusammenhang mit der Darmflora (Mayer et al., 2015).
  • Immunsystem: Der Darm enthält rund 70 % aller Immunzellen im Körper. Entzündungen im Darm können über Immunbotenstoffe das zentrale Nervensystem beeinflussen, mit möglichen Folgen für die psychische Gesundheit (Mayer et al., 2015).
  • Mikrobielle Signalstoffe: Bakterien im Darm produzieren Substanzen, die als Signalstoffe fungieren und das Gehirn direkt oder indirekt beeinflussen können, etwa durch die Modulation der Blut-Hirn-Schranke oder die Aktivierung bestimmter Rezeptoren (Mayer et al., 2015).

Diese umfassende Vernetzung zeigt, warum eine gestörte Darmflora, etwa durch falsche Ernährung, Antibiotika oder Stress, weitreichende Auswirkungen auf das Gehirn haben kann. Immer mehr Hinweise deuten darauf hin, dass auch ADHS-typische Symptome wie Reizbarkeit, Impulsivität oder Konzentrationsprobleme mit einer Dysregulation dieser Achse zusammenhängen könnten (Mayer et al., 2015).

Was sagt die Forschung zum Zusammenhang zwischen ADHS und dem Darm?

In den letzten Jahren hat sich die Forschung intensiv mit der Frage beschäftigt, welche Rolle das Darmmikrobiom bei neuropsychiatrischen Erkrankungen wie ADHS spielt. Mehrere Studien haben gezeigt, dass Kinder und Erwachsene mit ADHS häufig ein verändertes Darmmikrobiom aufweisen. Dabei wurden vor allem eine geringere bakterielle Vielfalt, eine veränderte Zusammensetzung sowie funktionelle Unterschiede festgestellt (Yano et al., 2015).

Zentrale Erkenntnisse aus der Forschung:

  • Geringere Vielfalt: Kinder mit ADHS zeigen im Vergleich zu Gleichaltrigen ohne ADHS oft eine deutlich reduzierte Diversität der Darmflora. Eine ausgewogene Vielfalt an Bakterienstämmen gilt jedoch als zentraler Marker für ein stabiles Mikrobiom (Yano et al., 2015).
  • Ungleichgewicht (Dysbiose): Es wurde beobachtet, dass bestimmte Bakterienstämme, z. B. Bacteroides oder Clostridiales, bei ADHS häufiger auftreten, während andere nützliche Bakterien wie Lactobacillus oder Bifidobacterium seltener nachgewiesen wurden. Dieses Ungleichgewicht kann mit Entzündungsprozessen und Störungen der Darmbarriere einhergehen (Bravo et al., 2011).
  • Veränderte Neurotransmitter-Produktion: Das Mikrobiom hat direkten Einfluss auf die Produktion und Regulation wichtiger Botenstoffe wie Serotonin, Dopamin und GABA. Diese Neurotransmitter sind entscheidend für die emotionale Steuerung, Impulskontrolle und Konzentrationsfähigkeit, alles zentrale Bereiche bei ADHS (Bravo et al., 2011).
  • Zusätzliche Beobachtungen: Einige Studien berichten zudem über eine erhöhte Durchlässigkeit der Darmwand (Leaky Gut) bei ADHS-Betroffenen. Diese könnte es entzündungsfördernden Stoffen erleichtern, ins Blut und letztlich zum Gehirn zu gelangen (Bravo et al., 2011).

Ein gesundes und vielfältiges Mikrobiom könnte also die Symptome von ADHS positiv beeinflussen, zumindest bei einem Teil der Betroffenen. Die genaue Wirkung hängt jedoch von individuellen Faktoren wie Genetik, Ernährung, Lebensstil und Medikamenteneinnahme ab (Aarts et al., 2017).

Wie kann man das Mikrobiom bei ADHS gezielt unterstützen?

Auf einem Teller liegen Zettel mit Begriffen wie „Kreativität“ und „Erfolg“, daneben ein Glas Milch. Die Szene verdeutlicht die enge Verbindung zwischen Ernährung und geistiger Leistungsfähigkeit. Eine bewusste Ernährung spielt bei ADHS Schweiz eine wichtige Rolle im Therapieansatz.Ein ausgewogenes Mikrobiom spielt eine zentrale Rolle für die Darm-Hirn-Achse, und damit potenziell auch für die Linderung von ADHS-Symptomen. Studien deuten darauf hin, dass bestimmte Ernährungsstrategien sowie hochwertige Mikrokulturenpräparate das Gleichgewicht der Darmflora positiv beeinflussen können. Wichtig ist dabei eine konsequente und langfristige Umstellung von Ernährung und Lebensstil, idealerweise begleitet durch ärztliche oder ernährungsmedizinische Beratung (Aarts et al., 2017).

Konkrete Ansätze zur Mikrobiom-Pflege bei ADHS:

  • Ballaststoffreiche Kost: Ballaststoffe sind der Hauptnährstoff für viele nützliche Darmbakterien. Eine Ernährung mit viel Gemüse, Obst, Vollkornprodukten und Hülsenfrüchten erhöht die Diversität der Darmflora. Ideal sind 30–40 g Ballaststoffe pro Tag (Prehn-Kristensen et al., 2018).
  • Fermentierte Lebensmittel: Produkte wie Joghurt, Kefir, Sauerkraut, Kimchi oder Kombucha enthalten lebende Milchsäurebakterien, die das Mikrobiom ergänzen und stärken können. Regelmässiger Konsum kann helfen, die Besiedlung des Darms positiv zu beeinflussen (Prehn-Kristensen et al., 2018).
  • Verzicht auf stark verarbeitete Produkte: Industriell hergestellte Lebensmittel enthalten oft Zusatzstoffe wie Emulgatoren, Konservierungsmittel oder künstliche Aromen, die das Gleichgewicht der Darmflora stören können. Auch ein hoher Zuckerkonsum fördert eher das Wachstum unerwünschter Bakterien (Prehn-Kristensen et al., 2018).
  • Gezielte Einnahme von Mikrokulturenpräparaten: Hochwertige Mikrokulturen (ehemals: Probiotika) können helfen, eine gestörte Darmflora wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Entscheidend sind dabei:
    • eine hohe Vielfalt an Bakterienstämmen (mind. 30–50 Stämme)
    • eine ausreichende Anzahl an koloniebildenden Einheiten (mind. 20 Milliarden KBE pro Tagesdosis)
    • eine Verpackung, die die Bakterien vor Feuchtigkeit und Licht schützt (z. B. Alu-Alu-Blister)
    • idealerweise GMP-zertifizierte Herstellung
  • Präbiotika ergänzen: Präbiotika wie Inulin oder resistente Stärke dienen als „Futter“ für die guten Bakterien und können deren Wachstum gezielt fördern (Pärtty et al., 2015).
  • Stress reduzieren & Bewegung fördern: Auch psychischer Stress und Bewegungsmangel wirken sich negativ auf das Mikrobiom aus. Entspannungsverfahren wie Meditation oder regelmässiger Sport unterstützen die Darmgesundheit indirekt (Pärtty et al., 2015).

Eine ganzheitliche Mikrobiompflege umfasst also weit mehr als nur die Einnahme eines Präparats. Ernährung, Lebensstil und gezielte Auswahl hochwertiger Produkte sollten idealerweise Hand in Hand gehen (Wastyk et al., 2021).

Fazit: Darmgesundheit als Baustein in der ADHS-Behandlung?

Die Forschung zur Darm-Hirn-Achse bei ADHS steckt noch in den Anfängen, aber die Hinweise auf einen Zusammenhang sind vielversprechend. Eine gesunde, darmfreundliche Ernährung kann nicht nur die Verdauung verbessern, sondern möglicherweise auch Symptome wie Reizbarkeit, Konzentrationsstörungen und Stimmungsschwankungen lindern.

Unser Tipp: Wer bei ADHS neue Wege gehen möchte, sollte das Thema Darmgesundheit nicht unterschätzen. Mit Unterstützung durch Ärztinnen oder Ernährungsexperten kann die Darm-Hirn-Achse gezielt gestärkt werden, ein vielversprechender Zusatzbaustein im multimodalen Therapiekonzept bei ADHS.

Rezensentenblock

Porträt von Dr. Almedina Berisha, Ärztin im Team von klaro-adhs.ch. Sie unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Diagnostik und Therapie von ADHS in der Schweiz. Das Bild zeigt sie im weissen Arztkittel mit Stethoskop vor einem klaro-Hintergrund.

Almedina Berisha

Ärztin Innere Medizin
Almedina Berisha ist Ärztin für Innere Medizin in der Schweiz mit besonderem Interesse an psychosomatischen Zusammenhängen und neurobiologischen Faktoren von ADHS. Sie prüft medizinische Inhalte auf klaro-adhs.ch auf wissenschaftliche Genauigkeit, klinische Relevanz und patientenverständliche Darstellung. Ihr Fokus liegt auf einer praxisnahen Vermittlung komplexer Themen der Erwachsenenmedizin und psychischen Gesundheit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

  • Der Darm steht über die sogenannte Darm-Hirn-Achse in engem Austausch mit dem Gehirn. Diese Verbindung funktioniert über Nervenbahnen, Botenstoffe und das Immunsystem. Studien zeigen, dass Menschen mit ADHS häufig ein verändertes Darmmikrobiom aufweisen – also eine andere Zusammensetzung der Darmbakterien. Dieses Ungleichgewicht kann die Produktion von Neurotransmittern wie Dopamin und Serotonin beeinflussen, die wiederum eine zentrale Rolle bei Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und Stimmung spielen. Eine gesunde Darmflora kann somit auch das Wohlbefinden und die Konzentration positiv beeinflussen.

Quellenverzeichnis

  1. Mayer, E. A., Tillisch, K., & Gupta, A. (2015). Gut/brain axis and the microbiota. The Journal of Clinical Investigation, 125(3), 926–938. https://www.jci.org/articles/view/76304 
  2. Yano, J. M., Yu, K., Donaldson, G. P., Shastri, G. G., Ann, P., Ma, L., Nagler, C. R., Ismagilov, R. F., Mazmanian, S. K., & Hsiao, E. Y. (2015). Indigenous bacteria from the gut microbiota regulate host serotonin biosynthesis. Cell, 161(2), 264–276. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25860609/
  3. Bravo, J. A., Forsythe, P., Chew, M. V., Escaravage, E., Savignac, H. M., Dinan, T. G., Bienenstock, J., & Cryan, J. F. (2011). Ingestion of Lactobacillus strain regulates emotional behavior and central GABA receptor expression in a mouse via the vagus nerve. Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA, 108(38), 16050–16055. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/21876150/
  4. Aarts, E., Ederveen, T. H. A., Naaijen, J., Zwiers, M. P., Boekhorst, J., Timmerman, H. M., et al. (2017). Gut microbiome in ADHD and its relation to neural reward anticipation. PLOS ONE, 12(9), e0183509. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0183509
  5. Prehn-Kristensen, A., Zimmermann, A., Tittmann, L., Lieb, W., Schreiber, S., Baving, L., & Fischer, A. (2018). Reduced microbiome alpha diversity in young patients with ADHD. PLOS ONE, 13(7), e0200728. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0200728
  6. Pärtty, A., Kalliomäki, M., Wacklin, P., Salminen, S., & Isolauri, E. (2015). A possible link between early probiotic intervention and the risk of neuropsychiatric disorders later in childhood: A randomized trial. Pediatric Research, 77(6), 823–828. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/25760553/
  7. Wastyk, H. C., Fragiadakis, G. K., Perelman, D., Dahan, D., Merrill, B. D., Yu, F. B., et al. (2021). Gut-microbiota-targeted diets modulate human immune status. Cell, 184(16), 4137–4153.e14. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/34256014/

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