Nahrungsergänzung bei ADHS: Sinnvoll oder unnötig?

Veröffentlicht am: 01. Oktober 2025
Zuletzt ärztlich geprüft am: 07. Oktober 2025

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Porträt von Dr. med. Jens Westphal, Praktischer Arzt FMH und medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch. Er begleitet Patientinnen und Patienten in der Schweiz bei der Abklärung und Behandlung von ADHS. Das Bild zeigt ihn vor einem klaro-Hintergrund als Teil des ärztlichen Teams für ADHS Schweiz.

Dr. med. Jens Westphal

ADHS-Spezialist und Praktischer Arzt (FMH)
Dr. med. Jens Westphal ist Praktischer Arzt (FMH) mit langjähriger Erfahrung in der hausärztlichen Versorgung und Psychiatrie. Er ist medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch und prüft alle Inhalte rund um ADHS, Diagnostik und Therapie auf wissenschaftliche Genauigkeit und praktische Umsetzbarkeit in der Schweizer Grundversorgung.

Inhaltsverzeichnis

Brauchen Menschen mit ADHS zusätzliche Nährstoffe?

Immer wieder liest man, dass bestimmte Vitamine, Mineralstoffe oder pflanzliche Extrakte die Symptome einer Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) verbessern könnten. Doch wie viel Wahrheit steckt wirklich hinter diesen Behauptungen, und was sagen Forschung und Erfahrungsberichte dazu? Kann eine gezielte Nahrungsergänzung tatsächlich helfen, die Konzentration zu steigern, die Impulsivität zu mindern oder die Stimmung zu stabilisieren? Oder handelt es sich dabei eher um gut vermarktete Produkte ohne belegbare Wirkung?

Dieser Artikel geht diesen Fragen auf den Grund und beleuchtet:

  • Welche Nährstoffe bei ADHS besonders relevant sind
  • In welchen Fällen eine Ergänzung sinnvoll sein kann
  • Worauf bei der Auswahl und Einnahme geachtet werden sollte
  • Warum „mehr“ nicht immer „besser“ bedeutet

Ziel ist es, eine klare Orientierung zu geben, auf Basis aktueller Studien, praktischer Tipps und einer realistischen Einschätzung der Wirksamkeit. Denn eines ist sicher: Nahrungsergänzung bei ADHS ist ein komplexes Thema, das differenziert betrachtet werden sollte, ohne Panikmache, aber auch ohne falsche Heilsversprechen (Bloch & Qawasmi, 2011).

Wann Nahrungsergänzung bei ADHS sinnvoll sein kann

Nicht jeder Mensch mit ADHS braucht automatisch Nahrungsergänzungsmittel. Entscheidend ist, ob tatsächlich ein Mangel an bestimmten Nährstoffen vorliegt. Studien zeigen: Einige Vitamine und Mineralstoffe sind bei ADHS-Betroffenen häufiger unterversorgt, das kann die Symptome verstärken und die Lebensqualität zusätzlich beeinträchtigen. (Chang et al., 2018)

Warum ein Mangel die Symptome verstärken kann

Ein ausgewogener Nährstoffhaushalt ist entscheidend für:

  • eine stabile Hirnfunktion,
  • eine gesunde Reizverarbeitung,
  • die Regulation von Emotionen.

Fehlt es an bestimmten Vitaminen oder Mineralstoffen, kann dies direkt das Nervensystem beeinflussen, mit Folgen wie:

  • Konzentrationsschwäche
  • Reizbarkeit
  • Stimmungsschwankungen
  • innere Unruhe

Häufige Mängel bei ADHS und ihre Auswirkungen

Vitamin D:Eine Person hält eine Vielzahl bunter Tabletten und Kapseln in den Händen, einige sind auf den Boden gefallen. Der bewusste Umgang mit Medikamenten spielt bei der Behandlung von ADHS Schweiz eine wichtige Rolle.

  • In der Schweiz besonders in den Wintermonaten häufig zu niedrig.
  • Ein Mangel wird mit depressiven Verstimmungen, Reizbarkeit und Konzentrationsproblemen assoziiert.
  • Wichtig für Immunregulation und den Neurotransmitterstoffwechsel.

Magnesium:

  • Essenziell für Nervenreizleitung und Muskelentspannung.
  • Ein Defizit kann zu Schlafproblemen, Nervosität und Muskelzuckungen führen.
  • Bei ADHS-Betroffenen oft unter dem Normwert.

Zink:

  • Zentrale Rolle im Dopaminstoffwechsel, relevant für Aufmerksamkeit und Impulskontrolle.
  • Zinkmangel kann emotionale Instabilität und Konzentrationsprobleme begünstigen.

Eisen:

  • Besonders Ferritin (Speichereisen) ist bei Kindern mit ADHS häufig vermindert.
  • Ein Mangel kann Müdigkeit, Antriebslosigkeit und eine verzögerte kognitive Entwicklung verursachen.

Vitamin B6 und B12:

  • Wichtig für Nervensystem und Neurotransmitterbildung.
  • Ein Mangel kann sich in Reizbarkeit, Erschöpfung und Gedächtnisproblemen äußern.
  • B12-Mangel tritt bei veganer Ernährung häufiger auf.

Wann eine Ergänzung sinnvoll ist

Eine Supplementierung kann sinnvoll sein:

  • Wenn ein Mangel labordiagnostisch nachgewiesen wurde (z. B. per Blutuntersuchung)
  • Bei einseitiger oder restriktiver Ernährung (z. B. vegan, Fast Food)
  • In Zeiten erhöhten Bedarfs, etwa in Stressphasen oder während Prüfungen
  • Als ergänzende Maßnahme bei unzureichendem Therapieerfolg

Wichtig: Nahrungsergänzung sollte immer individuell und professionell begleitet erfolgen, idealerweise nach ärztlicher Abklärung des Nährstoffstatus. So lassen sich unerwünschte Wechselwirkungen mit Medikamenten oder eine unnötige Überdosierung vermeiden (Händel et al., 2021).

Merke: Nur das ergänzen, was tatsächlich fehlt und nur in sinnvoller Dosierung (Händel et al., 2021).

Studienlage: Was bringt Nahrungsergänzung wirklich?

Einzelne Studien belegen positive Effekte von Nahrungsergänzungsmitteln, insbesondere dann, wenn ein nachgewiesener Mangel vorliegt. Die Wirkung ist in der Regel jedoch moderat und individuell sehr unterschiedlich (Wang et al., 2017). Wichtig ist daher eine differenzierte Betrachtung:

  • Multinährstoff-Präparate: In randomisierten, kontrollierten Studien wurde beobachtet, dass Kombinationen aus Vitaminen, Mineralstoffen und Aminosäuren bei einigen Teilnehmenden zu Verbesserungen der Konzentration, emotionalen Stabilität und allgemeinen Lebensqualität führten. Dabei scheint die Kombination unterschiedlicher Mikronährstoffe teilweise effektiver zu sein als die Einnahme einzelner Substanzen. Die Ergebnisse waren jedoch nicht bei allen Personen gleich ausgeprägt. Besonders Personen mit psychischer Komorbidität (z. B. Depressionen) profitierten teils stärker (Wang et al., 2017).
  • Omega-3-Fettsäuren (EPA/DHA): Diese mehrfach ungesättigten Fettsäuren sind am Aufbau von Zellmembranen beteiligt und spielen eine Rolle bei Entzündungsprozessen sowie der Signalübertragung im Gehirn. Studien zeigen, dass insbesondere EPA-reiche Präparate (mind. 500–1000 mg pro Tag) bei Kindern und Erwachsenen mit ADHS helfen können, die Aufmerksamkeitsspanne zu verlängern und Impulsivität zu senken. Erste Effekte zeigen sich meist nach 8–12 Wochen regelmäßiger Einnahme (Wang et al., 2017).
  • Magnesium und Zink: Beide Mineralstoffe sind an der Signalweiterleitung im zentralen Nervensystem beteiligt. Erste kleinere Studien deuten darauf hin, dass eine Supplementierung bei einem Mangel positive Effekte auf Reizverarbeitung und Stimmungslage haben kann. Da jedoch bislang große, unabhängige Langzeitstudien fehlen, gelten diese Ergebnisse als vorläufig. Eine gezielte Blutuntersuchung vor der Einnahme wird empfohlen (Wang et al., 2017).

Zusammengefasst lässt sich sagen: Nahrungsergänzung kann unterstützend wirken, ist jedoch kein Ersatz für eine umfassende Therapie. Die individuelle Nährstoffversorgung sollte stets im Mittelpunkt stehen, denn nur bei bestehendem Mangel kann eine Ergänzung ihre volle Wirkung entfalten (Wang et al., 2017).

Risiken durch unkontrollierte Einnahme

Eine aufgebrochene gelbe Kapsel mit Pulverinhalt liegt auf einem rosa und weißen Hintergrund. Daneben ist eine weitere geöffnete Kapsel mit lila-farbenem Inhalt zu sehen. Nahrungsergänzungsmittel können bei ADHS Schweiz unterstützend eingesetzt werden.Auch bei natürlichen Substanzen gilt: Die Dosis macht das Gift (Effatpanah et al., 2019). Eine willkürliche oder überdosierte Einnahme kann Nebenwirkungen verursachen:

  • Überschüsse an Vitamin D, Eisen oder Zink können schädlich sein.
  • Bestimmte Aminosäuren können den Transport anderer Wirkstoffe im Gehirn blockieren.
  • Einige Präparate beeinflussen die Wirkung von ADHS-Medikamenten.

Unser Tipp: Nahrungsergänzungsmittel nur gezielt nach einer individuellen Diagnostik einsetzen – idealerweise in Rücksprache mit einer Ärztin oder einem Therapeuten (Effatpanah et al., 2019).

Was die Forschung (noch) nicht beantworten kann

Viele Studien zu Nahrungsergänzungsmitteln bei ADHS stammen von Herstellern selbst – entsprechend kritisch sollten diese Ergebnisse betrachtet werden (Khoshbakht et al., 2018). Aussagekräftiger sind Studien:

  • mit unabhängiger Finanzierung
  • mit großen Probandenzahlen
  • mit Wiederholungen durch verschiedene Forscherteams

Derzeit ist klar: Nahrungsergänzung kann unterstützend wirken, aber nicht ersetzen:

  • Keine Alternative zur Medikation, wenn diese medizinisch notwendig ist.
  • Keine Wunderlösung bei komplexen Symptombildern (Khoshbakht et al., 2018).

Welche Nahrungsergänzungsmittel sind bei ADHS verbreitet?

Hier eine Übersicht über die am häufigsten eingesetzten Substanzen:

Nährstoff Mögliche Wirkung Hinweise zur Einnahme
Omega-3-Fettsäuren Konzentration, Stimmung, Impulskontrolle Hochdosiert (EPA-reich), mind. 12 Wochen
Magnesium Beruhigend, Schlafunterstützend Bei Mangelzustand prüfen
Zink Dopaminregulation, Konzentration Spiegel im Blut messen lassen
Vitamin D Stimmung, Immunfunktion Besonders im Winter ergänzen
Eisen Energie, kognitive Leistungsfähigkeit Ferritin-Wert beachten
B-Vitamine (B6, B12) Nervensystem, Energie Kombi-Präparate sinnvoll

Fazit: Nahrungsergänzung bei ADHS: ja oder nein?

Kurz gesagt: Nahrungsergänzung kann sinnvoll sein, wenn ein Mangel vorliegt. Ohne Diagnostik ist die Einnahme jedoch nicht empfehlenswert. Wer auf Nahrungsergänzung setzt, sollte auf qualitativ hochwertige Präparate achten, Dosierungen einhalten und Geduld mitbringen, viele Wirkungen zeigen sich erst nach mehreren Wochen (Rucklidge et al., 2018).

Unsere Empfehlung:

  • Lass regelmäßig deinen Nährstoffstatus überprüfen (z. B. bei Hausarzt oder Therapeut).
  • Verzichte auf «Wundermittel» ohne wissenschaftlichen Nachweis.
  • Kombiniere eine ausgewogene Ernährung mit Bewegung, Struktur und professioneller Begleitung.

Nahrungsergänzung ist kein Ersatz, aber eine mögliche Unterstützung auf dem Weg zu mehr Alltagssicherheit mit ADHS (Rucklidge et al., 2018).

Rezensentenblock

Porträt von Dr. Almedina Berisha, Ärztin im Team von klaro-adhs.ch. Sie unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Diagnostik und Therapie von ADHS in der Schweiz. Das Bild zeigt sie im weissen Arztkittel mit Stethoskop vor einem klaro-Hintergrund.

Almedina Berisha

Ärztin Innere Medizin
Almedina Berisha ist Ärztin für Innere Medizin in der Schweiz mit besonderem Interesse an psychosomatischen Zusammenhängen und neurobiologischen Faktoren von ADHS. Sie prüft medizinische Inhalte auf klaro-adhs.ch auf wissenschaftliche Genauigkeit, klinische Relevanz und patientenverständliche Darstellung. Ihr Fokus liegt auf einer praxisnahen Vermittlung komplexer Themen der Erwachsenenmedizin und psychischen Gesundheit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

  • Das wirksamste Nahrungsergänzungsmittel bei ADHS hängt vom individuellen Nährstoffstatus ab. Studien zeigen besonders gute Ergebnisse für Omega-3-Fettsäuren (vor allem EPA), Magnesium, Zink und Vitamin D, wenn ein Mangel vorliegt. Omega-3 kann die Konzentration und Impulskontrolle verbessern, während Magnesium und Zink beruhigend auf das Nervensystem wirken. Entscheidend ist jedoch: Nur gezielte Ergänzung nach Blutuntersuchung – nicht „auf Verdacht“.

Quellenverzeichnis

  1. Bloch, M. H., & Qawasmi, A. (2011). Omega-3 fatty acid supplementation for the treatment of children with attention-deficit/hyperactivity disorder symptomatology: Systematic review and meta-analysis. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 50(10), 991–1000. https://doi.org/10.1016/j.jaac.2011.06.008
  2. Chang, J. P.-C., Su, K.-P., Mondelli, V., Pariante, C. M., et al. (2018). Omega-3 polyunsaturated fatty acids in youths with attention deficit hyperactivity disorder: A systematic review and meta-analysis of clinical trials and biological studies. Neuropsychopharmacology, 43, 534–545. https://www.nature.com/articles/npp2017160
  3. Händel, M. N., Rohde, J. F., Rimestad, M. L., Bandak, E., Birkefoss, K., Tendal, B., Lemcke, S., & Callesen, H. E. (2021). Efficacy and safety of polyunsaturated fatty acids supplementation in the treatment of ADHD in children and adolescents: A systematic review and meta-analysis of clinical trials. Nutrients, 13(4), 1226. https://doi.org/10.3390/nu13041226
  4. Wang, Y., Huang, L., Zhang, L., Qu, Y., & Mu, D. (2017). Iron status in attention-deficit/hyperactivity disorder: A systematic review and meta-analysis. PLOS ONE, 12(1), e0169145. https://journals.plos.org/plosone/article?id=10.1371/journal.pone.0169145
  5. Effatpanah, M., Rezaei, M., Effatpanah, H., Effatpanah, Z., Kord-Varkaneh, H., Mousavi, S. M., Fatahi, S., Rinaldi, G., & Hashemi, R. (2019). Magnesium status and attention deficit hyperactivity disorder (ADHD): A meta-analysis. Psychiatry Research, 274, 228–234. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30807974/
  6. Khoshbakht, Y., Bidaki, R., & Salehi-Abargouei, A. (2018). Vitamin D status and attention deficit hyperactivity disorder: A systematic review and meta-analysis of observational studies. Advances in Nutrition, 9(1), 9–20. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/29438455/
  7. Rucklidge, J. J., Eggleston, M. J. F., Johnstone, J. M., Darling, K., & Frampton, C. M. (2018). Vitamin-mineral treatment improves aggression and emotional regulation in children with ADHD: A fully blinded, randomized, placebo-controlled trial. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 59(3), 232–246. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/28967099/

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