Die Vorstellung, dass Zucker ADHS-Symptome verstärken oder sogar auslösen kann, hält sich hartnäckig. Besonders bei Kindern steht Zucker immer wieder im Verdacht, Hyperaktivität zu fördern. Doch zahlreiche wissenschaftliche Studien haben gezeigt: Zucker allein verursacht keine Hyperaktivität, weder bei Kindern noch bei Erwachsenen mit ADHS. Es handelt sich hierbei um einen weitverbreiteten Irrglauben, der sich hartnäckig in der Gesellschaft hält (Ferré, 2016).
Trotzdem ist Zucker bei ADHS nicht völlig unproblematisch. Zwar ist er keine direkte Ursache für die Störung, doch sein Einfluss auf den Körper kann die Symptome indirekt verstärken. Das liegt vor allem an der Wirkung auf den Blutzuckerspiegel: Nach dem Konsum von stark zuckerhaltigen Lebensmitteln oder Getränken schnellt der Blutzucker in die Höhe, nur um kurze Zeit später rapide abzufallen. Dieser sogenannte „Zuckercrash“ kann sich bei ADHS besonders negativ bemerkbar machen (Ferré, 2016).
Denn: Viele ADHS-Betroffene leben mit einem sensiblen Energiehaushalt. Der Körper ist oft nicht in der Lage, Schwankungen gut auszugleichen. Das Resultat sind plötzliche Erschöpfung, Reizbarkeit, innere Unruhe oder ein Gefühl des Kontrollverlusts. Manche berichten auch von einem starken emotionalen Einbruch, vergleichbar mit einem Mini-Burnout mitten am Tag. Besonders gefährlich wird das, wenn Zucker zur Emotionsregulation genutzt wird, etwa in stressigen Momenten, zur Belohnung oder aus Langeweile. Hier entsteht schnell eine ungesunde Spirale (Ferré, 2016).
Zuckerhaltige Getränke wie Softdrinks, Energydrinks oder Fruchtsäfte sind dabei besonders tückisch: Sie enthalten viel Zucker, werden aber schnell konsumiert und sorgen für einen extrem raschen Anstieg des Blutzuckerspiegels. Auch vermeintlich gesunde Produkte wie Fruchtsmoothies oder Müsliriegel können wahre Zuckerfallen sein, vor allem, wenn sie verarbeitet sind oder zusätzlichen Zucker enthalten (Ferré, 2016).
Zucker beeinflusst bei ADHS nicht direkt die neurologischen Ursachen, aber sehr wohl das emotionale Gleichgewicht, die Stimmungslage und die körperliche Belastbarkeit. Und genau in diesen Bereichen sind viele ADHS-Betroffene ohnehin schon sensibel.
Ein weiteres Thema ist die Dopaminwirkung von Zucker. Studien deuten darauf hin, dass der Konsum von Zucker kurzfristig das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert, ähnlich wie andere suchtfördernde Substanzen. Für Menschen mit ADHS, die häufig mit einem Dopaminmangel kämpfen, kann das eine zusätzliche Herausforderung sein: Sie greifen vermehrt zu Süssem, um sich kurzfristig besser zu fühlen. Doch der Effekt hält nicht lange, und führt auf Dauer zu noch grösserer Dysregulation (Ferré, 2016).
Tipp für den Alltag: Wenn du feststellst, dass du nach dem Konsum von Zucker nervöser, gereizter oder schneller erschöpft bist, lohnt sich ein bewusster Umgang mit zuckerhaltigen Lebensmitteln. Statt einem radikalen Verzicht kann es helfen, schrittweise Alternativen zu testen: Vollkornprodukte, komplexe Kohlenhydrate, Proteine und gesunde Fette sorgen für einen stabileren Blutzuckerspiegel, und damit auch für mehr innere Stabilität (Ferré, 2016).
Eine zuckerreduzierte Ernährung ist keine universelle Lösung bei ADHS, aber sie kann ein wichtiger Baustein im Umgang mit Reizbarkeit, Energieschwankungen und impulsivem Essverhalten sein. Wer zusätzlich ein Ernährungstagebuch führt oder sich professionell beraten lässt, kann die Zusammenhänge noch besser erkennen und individuell anpassen (Ferré, 2016).
Koffein bei ADHS, Hilfe oder Hindernis?
Kaffee, Cola, Energy-Drinks, Koffein ist aus dem Alltag vieler Menschen kaum wegzudenken. Bei ADHS jedoch ist seine Wirkung nicht so eindeutig: Koffein kann unterstützen, oder stören. Die Forschung zeigt, dass es ähnliche Mechanismen wie klassische ADHS-Medikamente nutzen kann. Es regt das zentrale Nervensystem an und kann kurzfristig die Verfügbarkeit von Dopamin im Gehirn erhöhen, einem der Botenstoffe, der bei ADHS oft im Ungleichgewicht ist (Ferré, 2016).
Doch was in der Theorie sinnvoll klingt, zeigt in der Praxis sehr unterschiedliche Ergebnisse. Denn die Reaktion auf Koffein ist bei ADHS hoch individuell:
Positive Wirkung bei manchen ADHS-Betroffenen:
- Gesteigerte Aufmerksamkeit: Eine moderate Dosis (z. B. 1 Tasse Kaffee) kann dabei helfen, sich besser zu konzentrieren.
- Innere Ruhe: Manche berichten sogar, dass sie sich durch Koffein entspannter und weniger überreizt fühlen.
- Stimmungsausgleich: Der leichte Dopamin-Boost kann helfen, kurzfristige Antriebstiefs zu überbrücken.
Negative oder paradoxe Effekte bei anderen:
- Unruhe & Reizbarkeit: Zu viel Koffein kann bei sensiblen Personen innere Anspannung, Nervosität oder sogar Angstzustände auslösen.
- Zittern & Herzrasen: Häufig bei höheren Dosen, vor allem in Verbindung mit Energy-Drinks oder Kaffee auf nüchternen Magen.
- Schlafprobleme: Selbst eine geringe Menge am frühen Nachmittag kann den Nachtschlaf stören, was wiederum die ADHS-Symptome am nächsten Tag verstärken kann.
- Paradoxe Wirkung: Einige ADHS-Betroffene werden durch Koffein müde statt wach. Diese atypische Reaktion ist selten, aber dokumentiert, und typisch für neurodivergente Reaktionsmuster.
Zucker und Koffein in Kombination: doppelt riskant?
Zucker und Koffein begegnen uns im Alltag oft im Doppelpack, besonders in Cola, Energy-Drinks, gesüsstem Eistee oder sogenannten «Wachmachern». Für Menschen mit ADHS, insbesondere Kinder und Jugendliche, ist diese Kombination besonders kritisch (Ferré, 2016).
Beide Substanzen wirken auf das zentrale Nervensystem, jedoch auf unterschiedliche Weise, und das kann problematisch werden:
Zucker: Schneller Kick, tiefer Absturz
- Führt zu einem raschen Anstieg des Blutzuckerspiegels, gefolgt von einem schnellen Abfall („Zuckertief“).
- Dieser Abfall kann Symptome wie Reizbarkeit, Konzentrationsschwierigkeiten und Erschöpfung auslösen.
- Besonders bei ADHS kann das zu verstärkter Impulsivität und Stimmungsschwankungen führen (Drake et al., 2013).
Koffein: Künstliche Wachheit
- Blockiert den Botenstoff Adenosin, das führt zu einem gefühlten Energieschub.
- In zu hoher Dosis verursacht es bei ADHS-Betroffenen oft innere Unruhe, Nervosität und Schlafprobleme.
- In Kombination mit Zucker kann es die Überstimulation des Nervensystems noch verstärken (Drake et al., 2013).
Was passiert bei der Kombination?
Wird Zucker zusammen mit Koffein konsumiert, z. B. in Cola oder Energy-Drinks, entstehen gleich mehrere Effekte auf einmal:
- Blutzuckerschwankung + Nervensystem-Stimulation = starkes Auf und Ab im Energielevel.
- Emotionale Reizbarkeit kann sich verstärken, vor allem bei Kindern.
- Es kommt häufiger zu Konzentrationsabbrüchen, aggressivem Verhalten oder einem sogenannten «Crash» nach dem Hoch (Drake et al., 2013).
Besonders problematisch bei Kindern & Jugendlichen
- Ihr Nervensystem ist sensibler als das von Erwachsenen (Clark & Landolt, 2017).
- Selbst kleine Mengen Koffein, z. B. in 200 ml Cola, können deutliche Symptome auslösen (Clark & Landolt, 2017).
- Kinder mit ADHS zeigen nach dem Konsum oft eine Zunahme von Unruhe, Ablenkbarkeit und Impulsverhalten (Wolraich et al., 1995).
Praktische Tipps für den Alltag:
- Beobachte deinen Konsum bewusst: Wann greifst du zu süssen oder koffeinhaltigen Produkten? In Stresssituationen? Aus Langeweile?
- Führe ein Ernährungstagebuch: Notiere, was du isst und trinkst, und wie du dich danach fühlst. So erkennst du wiederkehrende Muster (Avena et al., 2008).
- Dokumentiere Reaktionen klar: Schlafprobleme, innere Unruhe, Gereiztheit oder Konzentrationsabfall, alles kann ein Hinweis sein (Temple et al., 2017).
- Teste schrittweise Alternativen:
- Zuckerfrei: Kräutertee statt Cola, Nüsse statt Schokolade.
- Koffeinfrei: Entkoffeinierter Kaffee oder koffeinfreier Chicorée-Kaffee.
- Natürlich süss: Trockenfrüchte oder dunkle Schokolade mit niedrigem Zuckergehalt.
Warum sich der Aufwand lohnt:
Menschen mit ADHS haben häufig einen instabilen Dopaminhaushalt, was die Reizverarbeitung, Motivation und Impulssteuerung direkt beeinflusst. Zucker und Koffein können genau hier eingreifen, und entweder hilfreich sein oder alles aus dem Gleichgewicht bringen. Deshalb lohnt es sich, den eigenen Umgang mit diesen Substanzen achtsam und individuell anzupassen (Seifert et al., 2011).