ADHS und Autismus werden oft in einem Atemzug genannt, doch sie sind nicht dasselbe. Beide Störungsbilder gehören zum neurodiversen Spektrum, weisen aber unterschiedliche Ursachen, Symptome und Entwicklungsverläufe auf. Gleichzeitig gibt es viele Menschen, bei denen sich ADHS und Autismus überschneiden, was die Abgrenzung nicht einfacher macht (Hours et al., 2022).
In diesem Artikel erfährst du, worin sich ADHS und Autismus unterscheiden, welche Gemeinsamkeiten es gibt, wie die wissenschaftliche Perspektive aussieht und warum eine genaue Abklärung wichtig ist, insbesondere in der Schweiz, wo es eine wachsende Zahl an spezialisierten Anlaufstellen gibt. Plattformen wie der Autismus Verein Schweiz, Einrichtungen in Winterthur oder spezifische Online-Angebote können dabei unterstützen, den richtigen Weg zu finden. Auch für Eltern, Lehrpersonen oder Fachkräfte kann ein besseres Verständnis helfen, betroffene Kinder und Jugendliche gezielt zu fördern (Hours et al., 2022).
Was ist ADHS?
ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) ist eine neurologisch bedingte Entwicklungsstörung, die in der Kindheit beginnt und oft lebenslang bestehen bleibt. Die Symptome treten in unterschiedlichen Schweregraden auf und betreffen mehrere Lebensbereiche (Leitner, 2014). Zu den Hauptmerkmalen zählen:
- Anhaltende Konzentrationsprobleme
- Ausgeprägte Impulsivität
- Motorische Unruhe oder «innere Rastlosigkeit»
- Schwierigkeiten mit Planung, Organisation und Zeitgefühl
- Emotionale Reizbarkeit, schnelle Stimmungswechsel
ADHS tritt in verschiedenen Subtypen auf, darunter:
- ADHS mit vorwiegend unaufmerksamer Symptomatik
- ADHS mit vorwiegend hyperaktiv-impulsiver Symptomatik
- Kombinierter Typ
In der Schweiz wird ADHS zunehmend auch im Erwachsenenalter diagnostiziert, nicht selten erstmals im Kontext von Burnout, Beziehungsproblemen oder beruflichem Scheitern. Betroffene berichten oft von einem langen Leidensweg, auf dem sie sich unverstanden und falsch eingeschätzt fühlten (Leitner, 2014).
Was ist Autismus?

Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) umfassen eine Gruppe neurologischer Entwicklungsstörungen, die sich durch tiefgreifende Besonderheiten in Kommunikation, Sozialverhalten, Interessen und Wahrnehmung auszeichnen. Autistische Menschen erleben die Welt oft intensiver, strukturierter oder detailfokussierter (Shaw et al., 2014).
Typische Merkmale sind:
- Schwierigkeiten mit sozialer Interaktion und intuitivem Verstehen von zwischenmenschlichen Signalen
- Eingeschränkte oder stereotype Verhaltensmuster
- Sehr spezifische Interessensgebiete mit grossem Detailwissen
- Sensorische Besonderheiten (z. B. Über- oder Unterempfindlichkeit gegenüber Reizen)
- Starkes Bedürfnis nach Routinen und Vorhersehbarkeit
Autismus ist ein Spektrum – von Menschen mit kaum merkbaren Auffälligkeiten bis zu Personen mit stark eingeschränkter Alltagskompetenz. Begriffe wie Asperger-Syndrom oder High-Functioning-Autismus sind heute wissenschaftlich nicht mehr trennscharf, aber weiterhin gebräuchlich. Viele Menschen auf dem Spektrum entwickeln eigene Bewältigungsstrategien, sogenannte «Masking-Techniken», um sich im Alltag anzupassen, was zu innerer Erschöpfung führen kann (Shaw et al., 2014).
ADHS oder Autismus? 5 klare Unterschiede
Trotz Überschneidungen unterscheiden sich ADHS und Autismus in mehreren grundlegenden Punkten:
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Kommunikation & soziale Interaktion
- ADHS-Betroffene sind oft kontaktfreudig, aber impulsiv, neigen dazu, Gespräche zu unterbrechen oder Themen zu wechseln.
- Autistische Personen wirken zurückhaltender, vermeiden Augenkontakt und haben Schwierigkeiten, Ironie, Sarkasmus oder unausgesprochene soziale Regeln zu verstehen.
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Reizverarbeitung
- Bei ADHS ist die Reizfilterung gestört: alles kommt gleichzeitig an, was zu Ablenkbarkeit führt.
- Bei Autismus sind Reize entweder extrem verstärkt oder fast nicht wahrnehmbar. Bestimmte Geräusche oder Texturen können als schmerzhaft empfunden werden.
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Interessen & Routinen
- ADHS-Betroffene wechseln häufig zwischen Hobbys, zeigen aber kurzfristige Begeisterung.
- Autistische Menschen widmen sich ihren Spezialinteressen oft jahrelang mit grosser Tiefe und Beständigkeit.
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Impulsivität & Selbstkontrolle
- Bei ADHS ist Impulsivität zentral: Handeln ohne Nachdenken, ungeduldiges Verhalten.
- Bei Autismus ist das Verhalten oft kontrolliert, aber starr. Routineverstösse können grosse Verunsicherung auslösen.
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Entwicklung und Früherkennung
- ADHS zeigt sich oft durch schulische Schwierigkeiten, Zappeligkeit oder Konflikte.
- Autismus wird häufig schon im Kleinkindalter auffällig, z. B. durch fehlenden Blickkontakt, wenig soziale Reaktion oder verspätete Sprachentwicklung. Viele Eltern berichten rückblickend von einem «anderen Wahrnehmen» ihres Kindes, lange bevor eine Diagnose gestellt wird (Martinez et al., 2024).
Wo liegen die Gemeinsamkeiten?
Obwohl ADHS und Autismus unterschiedliche Diagnosen sind, gibt es eine hohe Komorbidität. Studien zeigen, dass bis zu 30 % der Menschen mit Autismus auch ADHS-Kriterien erfüllen (Phung et al., 2021).
Gemeinsame Merkmale:
- Erhöhte Sensibilität für Umweltreize
- Schwierigkeiten mit sozialem Miteinander
- Emotionale Überforderung in stressigen Situationen
- Neigung zu Routinen oder sich wiederholendem Verhalten
- Hoher Energiebedarf zur Bewältigung des Alltags
Besonders Kinder oder Jugendliche, die sich «anders» fühlen, können in beide Richtungen Symptome zeigen. Eine differenzierte Abklärung durch spezialisierte Fachpersonen ist daher zentral. Auch bei Erwachsenen lohnt sich eine Klärung, insbesondere bei Menschen mit bislang unerklärten beruflichen oder sozialen Herausforderungen (Phung et al., 2021).
Wissenschaftlicher Blick: ADHS und Autismus im Spektrum denken
In der Forschung setzt sich zunehmend die Sichtweise durch, dass ADHS und Autismus nicht zwei strikt getrennte Kategorien, sondern Teil eines grösseren neurodiversen Spektrums sind. Das erklärt, warum bestimmte Symptome wie Reizempfindlichkeit, soziales Unverständnis oder emotionale Regulation bei beiden auftreten können (Suen et al., 2024).
In der Schweiz zeigen Studien z. B., dass insbesondere Jugendliche mit kombinierter Diagnose (ADHS + ASS) ein höheres Risiko für Angststörungen, Depressionen oder Schulabbrüche haben. Eine frühe und klare Abklärung kann helfen, diesen Entwicklungen vorzubeugen. Auch das Verständnis für neurodiverse Kinder an Schulen, in Ausbildungsstätten oder im Berufsleben ist entscheidend, um langfristige soziale Teilhabe zu ermöglichen (Pehlivanidis et al., 2020).
Was tun bei Verdacht auf ADHS oder Autismus?
Wenn du dich oder dein Kind in mehreren der genannten Merkmale wiedererkennst, ist der erste Schritt: Abklärung durch Fachpersonen (Pehlivanidis et al., 2020). In der Schweiz stehen dafür verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung:
- Kinder- und Jugendpsychiatrische Dienste in Zürich, Bern, Basel oder Luzern
- Autismus Verein Schweiz für spezifische Unterstützung und Vernetzung
- Neuropsychologische Abklärung bei Verdacht auf ADHS
- Online-Vorgespräche zur Ersteinschätzung – diskret, schnell und ortsunabhängig
Wichtig ist: Eine fundierte Diagnose bedeutet nicht «Schubladisierung», sondern Zugang zu den richtigen Unterstützungsangeboten. Mit einem differenzierten Bericht können auch IV-Stellen, Schulen oder Arbeitgeber gezielter unterstützen (Pehlivanidis et al., 2020).
Fazit: ADHS und Autismus unterscheiden und individuell betrachten
ADHS und Autismus sind unterschiedliche neurobiologische Störungen mit eigenen Herausforderungen, aber auch mit grossen Stärken. Während ADHS mit Spontaneität, Kreativität und Energie einhergehen kann, bringen viele Autist:innen aussergewöhnliche Detailwahrnehmung, Ausdauer und logisches Denken mit.
Wichtig ist, sich selbst oder betroffene Kinder nicht zu bewerten, sondern verstehen zu wollen. Mit der richtigen Begleitung kann aus dem Gefühl des «Andersseins» eine echte Ressource entstehen. Jeder Mensch verdient eine Diagnose, die ihn stärkt, nicht stigmatisiert.
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