Menschen mit ADHS sind im Alltag häufig einem höheren Maß an innerer und äußerer Anspannung ausgesetzt. Das liegt nicht etwa an mangelnder Belastbarkeit oder fehlender Motivation, sondern an grundlegenden Unterschieden in der Reizverarbeitung und Emotionsregulation. Das Gehirn von ADHS-Betroffenen filtert Reize weniger effizient, alles wird gleichzeitig wahrgenommen, bewertet und verarbeitet. Diese permanente Reizoffenheit führt schnell zu Überstimulation, selbst bei scheinbar alltäglichen Anforderungen (Müller et al., 2022).
Hinzu kommt: Emotionen werden oft intensiver erlebt, Veränderungen sind schwerer auszuhalten und Routinen geraten schneller ins Wanken. Schon kleine Unregelmäßigkeiten oder Mehrfachanforderungen können das ohnehin knappe Energielevel zusätzlich belasten. In der Folge wird Stress nicht nur schneller ausgelöst, sondern oft auch intensiver und länger empfunden (Müller et al., 2022).
Typisch für ADHS in Stresssituationen sind:
- eine niedrigere Schwelle zur Überforderung
- Schwierigkeiten, sich nach einer Belastung rasch zu regenerieren
- das Gefühl, den Anforderungen dauerhaft „hinterherzulaufen“
- ein innerer Druck, alles sofort und perfekt erledigen zu müssen
All das führt dazu, dass sich ADHS-Betroffene in einem permanenten Alarmzustand befinden können, oft, ohne es selbst zu merken. Stress wird zum Dauerbegleiter und verstärkt die Symptome, die ohnehin schon belastend sind. Es entsteht ein Teufelskreis, der sich ohne gezieltes Gegensteuern verselbstständigt (Müller et al., 2022).
Typische Folgen sind:
- verstärkte Konzentrationsprobleme
- erhöhte Reizbarkeit und emotionale Instabilität
- ständige innere Unruhe oder das Gefühl von Getriebenheit
- verminderte Impulskontrolle, was zu impulsivem Verhalten führen kann
- sozialer Rückzug oder Konflikte im privaten und beruflichen Umfeld
Gerade deshalb ist es so entscheidend, dass Menschen mit ADHS frühzeitig lernen, ihre individuellen Stressmuster zu erkennen, und wirksame Gegenstrategien zu entwickeln. Ein gezieltes Stressmanagement hilft nicht nur, den Alltag zu strukturieren, sondern schafft die Grundlage für mehr innere Ruhe, Stabilität und Lebensqualität (Müller et al., 2022).
Ein effektives Stressmanagement kann:
- Symptome wie Unruhe, Impulsivität und Reizbarkeit reduzieren
- die Selbstregulation stärken und emotionale Stabilität fördern
- die Leistungsfähigkeit im Alltag erhalten
- das Risiko für Burnout, Angststörungen oder Depressionen senken
- langfristig zu einem positiveren Selbstbild beitragen
Fazit: Wer mit ADHS lebt, braucht nicht „mehr Disziplin“, sondern die richtigen Werkzeuge. Stressmanagement ist dabei kein Luxus, sondern ein elementarer Teil jeder nachhaltigen ADHS-Bewältigung (Müller et al., 2022).
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Frühwarnzeichen erkennen, Überforderung rechtzeitig wahrnehmen
Bevor konkrete Techniken zur Stressbewältigung greifen können, ist es entscheidend, erste Anzeichen für Überlastung überhaupt zu bemerken. Gerade bei ADHS werden beginnende Erschöpfungssignale oft übersehen oder ignoriert – sei es aus Gewohnheit, aus Perfektionismus oder schlicht deshalb, weil der Alltag ohnehin schon als dauerhaft fordernd erlebt wird. Doch: Wer die frühen Warnzeichen erkennt, kann gegensteuern, bevor sich ein chronischer Erschöpfungszustand entwickelt (Müller et al., 2022).
Typische körperliche Frühwarnzeichen:
- Ein- oder Durchschlafstörungen, frühes Erwachen oder nicht erholsamer Schlaf
- Anhaltende Muskelverspannungen (z. B. im Nacken-, Schulter- oder Kieferbereich)
- Erschöpfung schon am Morgen oder zunehmende Müdigkeit im Tagesverlauf
- Kopfschmerzen, Magen-Darm-Beschwerden oder häufige Infekte ohne klare Ursache
Emotionale Warnsignale:
- Gereiztheit, Ungeduld oder schnelle Wutausbrüche
- Weinerlichkeit oder das Gefühl, ständig „am Wasser gebaut“ zu haben
- Stimmungsschwankungen, plötzliche Antriebslosigkeit

- zunehmende negative Gedanken, Selbstzweifel oder Pessimismus
Kognitive Anzeichen für mentale Überforderung:
- Konzentrationsprobleme, Unfähigkeit, bei einer Sache zu bleiben
- Vergesslichkeit oder häufiges Verlieren von Gegenständen
- Denkblockaden, vermehrtes Grübeln oder Entscheidungsunfähigkeit
- Gefühl von innerem Chaos oder Überwältigung
Soziale und zwischenmenschliche Hinweise:
- Rückzug von Freundeskreis, Familie oder Kolleginnen und Kollegen
- zunehmende Konflikte im beruflichen oder privaten Umfeld
- das Gefühl, keine Zeit oder Kraft mehr für soziale Kontakte zu haben
- Wunsch nach Isolation oder das Bedürfnis, sich allem entziehen zu wollen
Diese Signale treten selten isoliert auf, meist kündigt sich ein inneres Ungleichgewicht auf mehreren Ebenen gleichzeitig an. Gerade bei ADHS kann es hilfreich sein, ein persönliches „Frühwarnsystem“ zu entwickeln. Dabei können einfache Fragen helfen, etwa:
- Wie schlafe ich in letzter Zeit?
- Wie reagiere ich emotional auf kleine Herausforderungen?
- Wie gut funktioniert meine Konzentration?
- Habe ich mich in den letzten Tagen bewusst zurückgezogen?
Wichtig:
Je früher du auf diese Zeichen reagierst, desto besser lassen sich wirksame Gegenmaßnahmen einleiten, etwa durch Pausen, Entlastung, Strukturveränderung oder gezielte Selbstfürsorge. Frühwarnzeichen sind keine Schwäche, sondern eine wertvolle Orientierungshilfe, die dabei hilft, gesund zu bleiben (Müller et al., 2022).
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Struktur und Zeitmanagement: realistisch planen und umsetzen
Zeitmanagement klingt auf den ersten Blick nach einer einfachen Methode, um den Alltag besser zu bewältigen, doch für Menschen mit ADHS ist es oft eine der grössten Herausforderungen. Probleme mit Aufmerksamkeit, Impulskontrolle und der sogenannten „exekutiven Funktion“ führen dazu, dass Prioritäten schwer gesetzt, Aufgaben schlecht eingeschätzt oder Abläufe nicht wie geplant eingehalten werden (Müller et al., 2022).
Umso wichtiger ist es, nicht nach einem starren Schema zu arbeiten, sondern flexible und praxistaugliche Strategien zu entwickeln. Ziel ist kein perfekter Tagesplan, sondern eine hilfreiche Struktur, die Orientierung bietet, ohne zusätzlich zu stressen (Müller et al., 2022).
Wichtige Prinzipien für gelingendes Zeitmanagement bei ADHS:
- Realistische Planung statt Überforderung:
Viele Menschen mit ADHS neigen dazu, sich zu viel vorzunehmen, sei es aus Ehrgeiz, aus Perfektionismus oder weil sie ihre Energie falsch einschätzen. Ein guter Plan berücksichtigt nicht nur Termine und Aufgaben, sondern auch Pausen, Erholung und den tatsächlichen Alltag (Müller et al., 2022). - Regelmässigkeit schafft Sicherheit:
Wiederkehrende Tagesstrukturen, etwa feste Aufstehzeiten, Essenszeiten und Routinen, helfen dem Gehirn, weniger Energie in die Selbststeuerung investieren zu müssen. Das entlastet und schafft Raum für Konzentration auf Wesentliches (Müller et al., 2022). - Pausen und Puffer fest einplanen:
Wer mit ADHS lebt, kennt das Gefühl, von spontanen Ereignissen oder neuen Reizen aus dem Konzept gebracht zu werden. Umso wichtiger sind bewusst eingeplante Pufferzeiten, zwischen Terminen, aber auch zwischen Arbeitsphasen und Erholungsphasen (Müller et al., 2022).
Konkrete Tipps für den Alltag:
- Tages- oder Wochenpläne mit festen Zeitfenstern für Routinen anlegen
- Aufgaben priorisieren: Was ist dringend, was ist wichtig, was kann warten?
- Grosse Aufgaben in kleine, konkret benennbare Schritte unterteilen
- Pufferzeiten von mindestens 20–30 % der Tageszeit einplanen
- Visualisierungshilfen nutzen:
- Whiteboard oder Notizzettel sichtbar platzieren
- Apps mit Erinnerungsfunktion (z. B. Todoist, Time Timer)
- Analoge Tools wie Kalender oder Bullet Journal
- Zeitfenster für wiederkehrende Herausforderungen einbauen: z. B. für Mails, Haushalt, Planung der nächsten Woche
Wichtig:
Struktur ist keine starre Disziplin, sondern ein Rahmen, der sich an deine Bedürfnisse anpassen sollte. Was für andere funktioniert, ist nicht automatisch hilfreich für dich – teste verschiedene Methoden, passe sie an und entwickle deine ganz persönliche Form von Alltagssicherheit (Broström et al., 2023).
Unterstützung kann helfen:
Viele Betroffene profitieren davon, nicht alles alleine organisieren zu müssen. Coaching, Ergotherapie oder auch ein strukturierender Austausch mit einer vertrauten Person (z. B. einmal wöchentlich) können helfen, Pläne nicht nur zu erstellen, sondern auch langfristig umzusetzen (Broström et al., 2023).
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Entspannungstechniken bei innerer Unruhe
Viele klassische Entspannungsmethoden setzen Konzentration, Geduld und eine gewisse Ruhefähigkeit voraus, genau das, was Menschen mit ADHS oft schwerfällt. Die innere Unruhe, der ständige Gedankenstrom oder das Gefühl, „nichts zu tun“, wirken häufig als Blockade. Dennoch lohnt es sich, Entspannungsstrategien individuell anzupassen. Ziel ist nicht Perfektion, sondern ein erreichbarer Zugang zu Ruhe und Regulation (Broström et al., 2023).
Warum Entspannung bei ADHS herausfordernd ist:
- Schwierigkeiten, den Fokus zu halten

- Angst vor Langeweile oder „Stillstand“
- Körperliche Unruhe oder motorischer Drang
- Ungewohnte Reaktionen auf Entspannungszustände (z. B. Nervosität statt Gelassenheit)
Trotzdem gilt: Entspannung ist erlernbar, und bei ADHS besonders wirksam, um Stress abzubauen, Impulse zu regulieren und sich selbst besser zu spüren. Entscheidend ist, eine passende Methode zu finden und klein anzufangen (Broström et al., 2023).
Bewährte Techniken im Überblick:
- Progressive Muskelentspannung (PMR):
Besonders wirksam in der Kurzversion. Dabei werden Muskelgruppen nacheinander angespannt und wieder gelöst.
Vorteile:- Körperlich spürbarer Effekt
- Konzentration auf den Wechsel von Spannung und Entspannung
- Auch für Menschen geeignet, die Schwierigkeiten mit „Stillsein“ haben
- Achtsamkeit und geführte Meditationen:
Kurze, geführte Übungen (z. B. 3 bis 10 Minuten) helfen, den Fokus zu trainieren und die eigene Körper- oder Atemwahrnehmung zu verbessern.
Tipps:- Einstieg über Apps wie «7Mind», «Headspace» oder «Balloon»
- Sprachlich ansprechende und klare Anleitungen auswählen
- Bei zu grosser Unruhe auch Achtsamkeit in Bewegung ausprobieren (z. B. achtsames Gehen)
- Atementspannung:
Der Atem ist ein natürlicher Anker. Atemübungen lassen sich überall durchführen und wirken oft rasch beruhigend.
Beispiele:- «4 Sekunden ein, 6 Sekunden aus» (verlängertes Ausatmen aktiviert das parasympathische Nervensystem)
- Zählen der Atemzüge («Einatmen 1, Ausatmen 2 … bis 10, dann wieder von vorn»)
- Atem in bestimmten Körperregionen spüren (z. B. Bauch oder Brustkorb)
- Bewegte Entspannung:
Für viele ADHS-Betroffene ist Bewegung der bessere Zugang zur Ruhe.
Geeignet sind:- Sanftes Yoga oder Tai-Chi
- Spazieren mit Fokus auf Sinneseindrücke (z. B. Geräusche, Temperatur, Bodenkontakt)
- Dehnübungen mit bewusstem Atmen
- Körperreisen oder Bodyscans im Liegen mit Bewegungselementen
Praxistipp:
Statt mit langen Sessions zu starten, lieber mit kurzen, regelmässigen Einheiten üben, etwa 3 bis 5 Minuten täglich. Die Wirkung entfaltet sich meist über Zeit. Entscheidend ist, dranzubleiben, nicht zu werten und den eigenen Zugang zu finden. Entspannung darf sich auch aktiv, lebendig oder sinnlich anfühlen, sie muss nicht still und regungslos sein (Broström et al., 2023).
Zusatzoptionen für den Alltag:
- Musik gezielt nutzen: ruhige Instrumentalmusik oder Naturklänge
- Entspannende Tätigkeiten als Routine: z. B. Duschen mit Achtsamkeit, Teezeremonie, Journaling
- Mikro-Pausen etablieren: mehrmals täglich 2 Minuten „Raum geben“, ohne Reize (z. B. Fensterblick, bewusstes Sitzen)
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Bewegung als Ventil für Stress
Bewegung ist eine der wirksamsten und zugleich alltagstauglichsten Strategien, um mit Stress umzugehen, gerade für Menschen mit ADHS. Sie hilft nicht nur, überschüssige Energie loszuwerden, sondern wirkt auch direkt auf das Nervensystem, die Stimmung und die Fähigkeit zur Reizverarbeitung. Besonders hilfreich ist Bewegung dann, wenn sie regelmässig und ohne grossen Leistungsdruck erfolgt (Broström et al., 2023).
Warum Bewegung bei ADHS besonders wirksam ist:
- Akuter Stressabbau:
Körperliche Aktivität senkt den Spiegel von Stresshormonen wie Cortisol und sorgt gleichzeitig für die Ausschüttung stimmungsaufhellender Botenstoffe (z. B. Endorphine, Dopamin). Das wirkt beruhigend und stabilisierend. - Langfristige Stressresistenz:
Wer sich regelmässig bewegt, trainiert nicht nur seine Muskulatur, sondern auch das autonome Nervensystem. Der Körper lernt, besser mit Belastungssituationen umzugehen, und gerät weniger schnell aus dem Gleichgewicht. - Förderung von Schlaf und Konzentration:
Besonders bei ADHS, wo Einschlafprobleme und Reizoffenheit häufig sind, wirkt Bewegung wie ein „Reset“ für das System. Körperliche Ermüdung erleichtert das Einschlafen und sorgt tagsüber für mehr Fokus und Struktur. - Selbstwirksamkeit und Stimmung:
Bewegung stärkt das Gefühl, etwas für sich selbst zu tun. Das wiederum verbessert das Selbstwertgefühl, ein zentraler Punkt für viele ADHS-Betroffene.
Alltagstaugliche Tipps für mehr Bewegung:
Es muss kein Sportprogramm sein, auch kleine Bewegungseinheiten im Alltag wirken positiv. Entscheidend ist, dass die Aktivität Freude macht und ohne Druck erfolgt (Broström et al., 2023).
Beispiele:
- Mini-Bewegungspausen in den Tag einbauen:
- 5 Minuten Stretching nach dem Aufstehen
- 3 Stockwerke Treppe statt Lift
- Während des Zähneputzens auf einem Bein balancieren
- Aktive Mittagspause:
- Spaziergang um den Block oder zur nächsten Poststelle
- Leichtes Mobilisationstraining am Arbeitsplatz (z. B. Schulterkreisen)
- Kurze Sporteinheiten nach Feierabend:
- 10 Minuten Hüpfen, Schütteln oder Hampelmänner für Energieabbau
- Dehnübungen mit Musik zur Entspannung
- Yoga- oder Tanzvideos für zuhause
- Soziale Bewegungstermine:
- gemeinsam Badminton oder Tischtennis spielen
- in einer Gruppe klettern, tanzen oder wandern
- einen festen „Bewegungspartner“ suchen für Verbindlichkeit
- Integrierte Bewegung statt zusätzlicher Sport:
- Rad statt Tram oder Auto
- aktive Wege für Besorgungen (Einkäufe zu Fuss oder per Velo)
- Stehphasen oder Bewegungselemente im Homeoffice einbauen
Wichtig:
Die Intensität spielt eine untergeordnete Rolle. Viel entscheidender ist die Regelmässigkeit und das Gefühl, dass Bewegung gut tut. Schon wenige Minuten täglich können viel bewirken, gerade dann, wenn sie bewusst wahrgenommen werden (Broström et al., 2023).
Wer Bewegung nicht als Pflicht, sondern als Möglichkeit zur Entlastung und Selbstfürsorge erlebt, wird langfristig davon profitieren (Broström et al., 2023).
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Kognitives Stressmanagement: Gedankenmuster erkennen
Viele Menschen mit ADHS erleben im Alltag eine regelrechte Gedankenspirale aus Selbstzweifeln, innerem Druck und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Typische Gedanken wie „Ich schaffe das sowieso nicht“, „Alle anderen kriegen das besser hin“ oder „Ich bin einfach zu chaotisch“ wirken wie innere Antreiber, sie erzeugen zusätzlichen Stress und blockieren konstruktives Handeln (Tamm et al., 2020).
Genau hier setzt das kognitive Stressmanagement an, insbesondere durch Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie (CBT). Ziel ist es, belastende Denkweisen zu erkennen, zu hinterfragen und durch hilfreichere Gedanken zu ersetzen (Tamm et al., 2020).
Typische belastende Gedanken bei ADHS und wie man sie erkennt:
- „Ich darf keine Fehler machen.“
→ Perfektionismus erhöht den Druck und verhindert, dass Aufgaben überhaupt begonnen werden. - „Ich habe mich wieder nicht konzentriert ich bin unfähig.“
→ Ein einzelner Ausrutscher wird als Beweis für generelle Unfähigkeit gedeutet. - „Ich muss alles gleichzeitig schaffen.“
→ Multitasking ist gerade bei ADHS kontraproduktiv und führt oft zu Überforderung. - „Ich bin immer zu spät, niemand nimmt mich ernst.“
→ Einzelne Schwierigkeiten werden generalisiert und auf die eigene Identität übertragen.
Strategien zur Veränderung belastender Gedanken:
- Automatische Gedanken identifizieren:
Achte bewusst auf typische Gedanken in stressreichen Situationen. Am besten schriftlich festhalten. - Gedanken hinterfragen:
Stelle dir Fragen wie:- Ist dieser Gedanke wirklich wahr?
- Gibt es Gegenbeispiele?
- Was würde ich einer Freundin in der gleichen Situation sagen?
- Realistischere Alternativen entwickeln:
Statt „Ich mache nie etwas richtig“ – lieber: „Ich habe Schwierigkeiten, aber ich arbeite daran.“ - Innere Antreiber erkennen und entschärfen:
Aussagen wie „Ich muss perfekt sein“ oder „Ich darf keine Hilfe annehmen“ sind oft unbewusst verankert. Sie zu entlarven ist ein wichtiger Schritt zur Entlastung. - Erfolge sichtbar machen:
Kleine Fortschritte und bewältigte Herausforderungen schriftlich festzuhalten stärkt das Selbstwertgefühl. Das kann in einem Erfolgstagebuch, auf Post-its oder digital erfolgen.
Praktische Hilfsmittel für den Alltag:
- Gedankentagebuch:
Notiere regelmässig belastende Situationen, deine Gedanken dazu, und eine alternative Sichtweise. - ABC-Modell aus der Verhaltenstherapie:
- A: Auslöser
- B: Bewertung
- C: Konsequenz (Gefühle, Handlungen)
→ Ziel: Die Bewertungen (B) beeinflussen, um die Reaktionen (C) zu verändern.
- Arbeit mit einem Coach oder Therapeuten:
Gespräche helfen, blinde Flecken zu erkennen und neue Denkmuster systematisch aufzubauen. - Affirmationen und Erinnerungshilfen:
Kurze, positiv formulierte Sätze wie „Ich darf in meinem Tempo arbeiten“ oder „Unordnung ist kein Versagen“ können im Alltag stabilisieren.
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Alltagsstruktur mit Routinen stabilisieren
Für Menschen mit ADHS kann der Alltag schnell überwältigend werden, vor allem dann, wenn jede Handlung neu durchdacht werden muss. Routinen bieten hier eine wirksame Möglichkeit, mehr Struktur und Sicherheit zu schaffen. Sie reduzieren die Zahl der täglichen Entscheidungen, minimieren das Risiko von Ablenkungen und stärken das Gefühl von Kontrolle (Brown et al., 2020).
Gerade bei ADHS, wo Reize oft ungefiltert einströmen, hilft eine stabile Tagesstruktur, sich nicht im Chaos zu verlieren. Dabei geht es nicht um starre Abläufe, sondern um wiederkehrende Muster, die Orientierung geben, wie ein inneres Geländer durch den Tag (Husky et al., 2023).
Warum Routinen bei ADHS besonders wirksam sind:
- Entscheidungsstress wird reduziert:
Wer nicht jeden Morgen überlegen muss, was zuerst zu tun ist, spart wertvolle Energie. - Automatisierte Abläufe schaffen Entlastung:
Je mehr Handlungen zur Gewohnheit werden, desto weniger mentale Ressourcen werden benötigt. - Verlässliche Abläufe geben Sicherheit:
Ein stabiler Rahmen kann helfen, sich auch in stressigen Phasen nicht völlig zu verlieren. - Konzentration wird verbessert:
Wenn Alltagsaufgaben vorhersehbar sind, bleibt mehr Fokus für das, was wirklich Aufmerksamkeit braucht.
Hilfreiche Routinen im Alltag – konkret angewendet:
- Fixe Zeiten einführen für:
- Aufstehen und Zubettgehen (auch am Wochenende möglichst konstant)
- Mahlzeiten und Medikamenteneinnahme
- Arbeitsbeginn und -ende (besonders im Homeoffice)
- Start und Abschluss bewusst gestalten:
- Morgenroutine: Kleidung bereitlegen, Kaffee kochen, fünf Minuten Licht oder Bewegung – schriftlich festhalten hilft.
- Abendroutine: Tagesreflexion, To-dos für morgen notieren, Medienzeit reduzieren, feste Einschlafrituale.
- Tägliche Mini-Reflexionen einbauen:
- z. B. „Was lief heute gut?“ oder „Was hat mich gestresst – was war hilfreich?“
- Diese kurzen Check-ins fördern Selbstwahrnehmung und emotionales Gleichgewicht.
- Fixe Plätze für wichtige Dinge definieren:
- Schlüssel, Portemonnaie, Handy, Brille oder Medikamente immer am selben Ort
- Bei Bedarf farblich markiert oder durch Boxen / Ablagen strukturiert
- Wochenplan visuell sichtbar machen:
- Kalender, Whiteboard oder App – Hauptsache übersichtlich und regelmässig gepflegt
- Termine, Aufgaben, Freizeit und Erholung sollten klar erkennbar sein
Tipps für eine erfolgreiche Umsetzung:
- Klein anfangen:
Eine neue Routine pro Woche reicht. Lieber konsequent integrieren als zu viel auf einmal. - Flexibilität einplanen:
Routinen dürfen angepasst werden, wenn sie nicht mehr passen. Wichtig ist die Regelmässigkeit, nicht die Starrheit. - Schriftlich fixieren:
Ob in einem Notizbuch, auf Post-its oder in einer App – ein schriftlicher Plan wirkt stabilisierend und motivierend. - Routinen sichtbar machen:
To-do-Listen, Checklisten oder Symbole können helfen, Routinen im Alltag zu verankern. - Belohnungen einbauen:
Wer eine neue Routine erfolgreich etabliert hat, darf sich etwas Gutes tun – das motiviert zur Wiederholung.
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Soziale Unterstützung nutzen
Stressbewältigung muss kein Alleingang sein. Besonders Menschen mit ADHS profitieren stark davon, sich nicht nur auf eigene Strategien zu verlassen, sondern gezielt Hilfe und Rückhalt in ihrem Umfeld zu suchen. Soziale Unterstützung kann entlasten, emotional stärken und helfen, den Fokus zu bewahren – sei es im privaten oder beruflichen Kontext (Husky et al., 2023).
Ein unterstützendes Umfeld bietet nicht nur praktische Hilfe, sondern wirkt oft auch regulierend auf Emotionen, was gerade in stressreichen Phasen ein wertvoller Anker sein kann (Petrovic & Krueger, 2025).
Formen sozialer Unterstützung:
- Privates Umfeld stärken:
- Offener Austausch mit Familie, Partner:in oder engen Freund:innen über alltägliche Herausforderungen
- Klare Absprachen, wer in welchen Situationen konkret unterstützen kann (z. B. bei Organisation oder emotionalem Stress)
- Verbindliche gemeinsame Aktivitäten, die stabilisieren und positive Erlebnisse fördern
- Berufliches Umfeld einbeziehen:
- Transparente Kommunikation mit Vorgesetzten oder Kolleg:innen über individuelle Arbeitsweisen und mögliche Herausforderungen
- Gezielte Anpassungen im Arbeitsalltag (z. B. Ruhezeiten, flexible Pausen, Priorisierungshilfen)
- Nutzung betrieblicher Unterstützungsangebote wie Coachings oder psychologischer Beratung
- Professionelle Hilfe in Anspruch nehmen:
- Regelmässige Termine bei einer Psychotherapeutin oder einem Coach mit ADHS-Erfahrung
- Unterstützung durch Ergotherapie oder Sozialberatung, insbesondere bei beruflicher oder organisatorischer Überforderung
- Austausch in Gruppen:
- Selbsthilfegruppen vor Ort oder online bieten einen geschützten Raum für Erfahrungsaustausch, Tipps und emotionale Entlastung
- Online-Communities (z. B. Foren oder Gruppen in sozialen Netzwerken) ermöglichen ortsunabhängige Begleitung
Wichtig zu wissen:
Unterstützung anzunehmen fällt vielen ADHS-Betroffenen anfangs schwer – etwa aus Scham, Perfektionismus oder dem Wunsch, alles alleine zu schaffen. Doch Hilfe anzunehmen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern Ausdruck von Selbstfürsorge. Der Schritt zur Öffnung lohnt sich: Ein stabiles soziales Netz kann Belastungen abfedern, Rückfälle verhindern und langfristig zur besseren Selbstregulation beitragen (Petrovic & Krueger, 2025).
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Techniken kombinieren und individuell anpassen
Es gibt nicht die eine richtige Methode zur Stressbewältigung bei ADHS. Was für die eine Person hilfreich ist, kann für die andere nicht funktionieren. Umso wichtiger ist es, verschiedene Ansätze auszuprobieren und herauszufinden, welche Kombination am besten zum eigenen Alltag, zur Persönlichkeit und zu den individuellen Bedürfnissen passt (Danziger & Pollak, 2025).
Dabei gilt: Die Mischung macht’s, und sie darf sich auch im Laufe der Zeit verändern (Danziger & Pollak, 2025).
Bausteine eines wirksamen Stressmanagements:
- Verhaltenstherapeutische Strategien:
- Gedankenmuster erkennen und hinterfragen (z. B. in kognitiver Verhaltenstherapie)
- Ungesunde Glaubenssätze auflösen, neue Verhaltensalternativen trainieren
- Konkrete Problemlösestrategien für typische ADHS-Stresssituationen
- Körperliche Bewegung und Aktivität:
- Sportarten wie Joggen, Schwimmen oder Yoga helfen, Stresshormone abzubauen und das emotionale Gleichgewicht zu stabilisieren
- Auch kurze Bewegungseinheiten im Alltag (z. B. Spaziergänge, Dehnübungen) können schon Wirkung zeigen
- Strukturhilfen und Tools:
- Digitale Kalender, Erinnerungs-Apps oder visuelle To-do-Boards helfen, den Überblick zu behalten
- Routinen und feste Tagespläne verringern Entscheidungsmüdigkeit und fördern Selbstwirksamkeit
- Soziale Strategien:
- Unterstützung durch andere Menschen bewusst einplanen
- Verantwortung teilen, Hilfe einfordern, klare Kommunikation üben
- Selbstfürsorge aktiv leben:
- Regelmässige Erholungszeiten einplanen, ohne schlechtes Gewissen
- Auf Warnsignale des Körpers hören (z. B. Verspannungen, Schlafstörungen) und rechtzeitig gegensteuern
- Entspannungstechniken wie Achtsamkeit, Atemübungen oder progressive Muskelentspannung nutzen
Praxistipp:
Führe ein kleines Tagebuch oder eine digitale Notiz darüber, welche Methoden dir wann geholfen haben, und in welchen Situationen du dich besonders gestresst gefühlt hast. So kannst du mit der Zeit deine persönliche Toolbox entwickeln und gezielter einsetzen.
Fazit: Mit dem richtigen Stressmanagement zu mehr Lebensqualität
ADHS und Stressmanagement – das ist eine lebenslange Aufgabe. Aber mit den passenden Strategien lässt sich der Alltag deutlich erleichtern. Wer lernt, seine Stressreaktionen früh zu erkennen und wirksam gegenzusteuern, gewinnt nicht nur Ruhe, sondern auch mehr Selbstwirksamkeit und Lebensqualität.
Und: Stressresilienz ist trainierbar. Auch mit ADHS.