Impulsivität bei ADHS: Was sie mit dir macht & wie du sie steuerst

Veröffentlicht am: 01. Oktober 2025
Zuletzt ärztlich geprüft am: 07. Oktober 2025

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Porträt von Dr. med. Jens Westphal, Praktischer Arzt FMH und medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch. Er begleitet Patientinnen und Patienten in der Schweiz bei der Abklärung und Behandlung von ADHS. Das Bild zeigt ihn vor einem klaro-Hintergrund als Teil des ärztlichen Teams für ADHS Schweiz.

Dr. med. Jens Westphal

ADHS-Spezialist und Praktischer Arzt (FMH)
Dr. med. Jens Westphal ist Praktischer Arzt (FMH) mit langjähriger Erfahrung in der hausärztlichen Versorgung und Psychiatrie. Er ist medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch und prüft alle Inhalte rund um ADHS, Diagnostik und Therapie auf wissenschaftliche Genauigkeit und praktische Umsetzbarkeit in der Schweizer Grundversorgung.

Inhaltsverzeichnis

Viele Menschen denken bei ADHS zuerst an Konzentrationsprobleme, Hyperaktivität oder eine innere Unruhe. Doch ein zentrales Symptom gerät dabei oft in den Hintergrund: die Impulsivität. Sie wird unterschätzt, und doch ist sie für viele Betroffene eines der belastendsten Merkmale im Alltag. Impulsivität bedeutet, zu handeln, bevor man denkt. Worte werden herausgeplatzt, Entscheidungen vorschnell getroffen, Konflikte eskalieren, bevor man die Lage überhaupt reflektieren konnte. Der berühmte „Filter“ fehlt, alles, was gedacht oder gefühlt wird, wird sofort in Aktion übersetzt (Willcutt et al., 2005).

Die Ursache liegt nicht im «schlechten Benehmen» oder einem Mangel an Disziplin, sondern in der Funktionsweise des Gehirns. Insbesondere der präfrontale Kortex, verantwortlich für Planung, Selbstkontrolle und Bewertung von Konsequenzen, sowie die Basalganglien, die an der Steuerung von Bewegungen und emotionalen Reaktionen beteiligt sind, arbeiten bei ADHS weniger effizient zusammen. Das Resultat: Der Moment zwischen Impuls und Handlung ist deutlich verkürzt. Das Denken hinkt dem Handeln oft hinterher (Willcutt et al., 2005).

Impulsivität kann in unterschiedlichsten Lebensbereichen auftreten, mal sichtbar, mal subtil:Eine Person springt mutig von einer Klippe ins offene Meer. Der Moment ist voller Energie, Freiheit und Risikobereitschaft – Eigenschaften, die auch mit impulsivem Verhalten bei ADHS in der Schweiz verbunden sein können. Das Bild steht symbolisch für spontane Entscheidungen ohne lange Abwägung.

  • Im sozialen Miteinander: z. B. durch ständiges Unterbrechen, heftige emotionale Ausbrüche oder das «Herausplatzen» unangemessener Kommentare
  • Im Konsumverhalten: etwa in Form von Spontankäufen, riskantem Fahrverhalten oder impulsivem Online-Shopping
  • In Beziehungen und Lebensentscheidungen: z. B. plötzliche Jobwechsel, Umzüge, Beziehungsabbrüche oder unüberlegte Verpflichtungen

Besonders kritisch wird es, wenn diese Impulsivität von anderen, oder auch von den Betroffenen selbst, falsch gedeutet wird. Schnell fällt das Urteil «unreif», «rücksichtslos» oder «nicht belastbar». Doch Impulsivität ist keine Charakterschwäche. Sie ist ein neurobiologisches Symptom, das verstanden und ernst genommen werden sollte. Wer weiss, warum er oder sie impulsiv reagiert, kann lernen, damit umzugehen, und genau dort setzt eine erfolgreiche Therapie an (Barkley, 1997).

5 Strategien, um deine Impulsivität besser zu steuern

  1. Reiz-Reaktions-Zeit verlängern

    Trainiere bewusst, einen Moment zu warten, bevor du handelst oder sprichst. Atme tief durch, zähle innerlich bis drei oder schreibe dir auf, was du sagen wolltest. Du kannst auch bewusst den Blick abwenden oder einen kleinen Gegenstand (z. B. einen Stein in der Tasche) berühren, als Signal, innezuhalten. Diese Techniken helfen, die automatische Reaktion zu unterbrechen und Raum für Reflexion zu schaffen. Wichtig ist: Übung macht den Unterschied. Anfangs fühlt es sich vielleicht künstlich an, doch mit der Zeit entsteht eine neue Gewohnheit (Arnsten et al., 2011).

  2. Impulsventile schaffen

    Wenn du merkst, dass dich Überforderung, Stress oder innere Unruhe zu impulsiven Handlungen treiben, schaffe bewusste Entlastungsrituale. Das kann Sport, Musik, Schreiben, Zeichnen oder auch ein kurzes Alleinsein sein. Auch einfache Tätigkeiten wie ein Spaziergang, das Umsortieren einer Schublade oder bewusstes Atmen wirken oft regulierend. Wichtig ist: Der Impuls bekommt einen Ausdruck, aber nicht destruktiv. Indem du deine Energie kanalisierst, bleibst du handlungsfähig, ohne dich im Affekt zu verlieren (Shaw et al., 2014).

  3. Struktur gibt Halt

    Viele Menschen mit ADHS profitieren enorm von festen Abläufen und klaren Routinen. Wenn du weisst, was als Nächstes kommt, brauchst du weniger spontane Entscheidungen zu treffen. Das reduziert nicht nur die Reizüberflutung, sondern entlastet auch deine Exekutivfunktionen. Tagespläne, Kalender oder To-do-Listen helfen dir, dich zu orientieren. Baue bewusst Pausen und Flexibilität ein, um nicht in starre Muster zu verfallen, so bleibt deine Struktur alltagstauglich und motivierend (Shaw et al., 2014).

  4. Reue-Check einbauenEin Fallschirmspringer fliegt durch die Luft unter einem Schirm mit der Aufschrift „IMPOSSIBLE“, wobei das Wort durch die Position des Körpers als „POSSIBLE“ gelesen werden kann. Dieses Motiv unterstreicht die Überwindung von inneren Grenzen, ein Thema, das in der Therapie bei ADHS Schweiz oft eine Rolle spielt.

    Stell dir vor einer Entscheidung die Frage: «Werde ich das morgen bereuen?» Oder: «Wie würde ich das meinem besten Freund erklären?» Auch hilfreich: der sogenannte «Regel-der-10»-Gedanke, wird diese Entscheidung in 10 Minuten, 10 Stunden oder 10 Tagen noch wichtig sein? Diese Mini-Perspektivwechsel helfen, Abstand zum momentanen Impuls zu gewinnen. Du kannst solche Fragen auch als Reminder auf deinem Handy speichern, so hast du sie immer griffbereit, wenn’s brenzlig wird (Beheshti et al., 2020).

  5. Professionelle Hilfe nutzen

    Impulsivität ist ein zentrales Merkmal von ADHS, und kein Zeichen von persönlichem Versagen. Durch Verhaltenstherapie, ADHS-Coaching oder passende Medikation lässt sich die Impulskontrolle verbessern. In der Schweiz gibt es spezialisierte Angebote, auch im Online-Format. Hilfreiche Suchbegriffe für die Recherche sind zum Beispiel ADHS Luzern, ADHS Coach ICP oder ADHS IV Schweiz. Auch Themen wie adhs impulskontrolle oder welches adhs medikament bei impulsivität liefern oft gute Anlaufstellen. Der erste Schritt: die Bereitschaft, dir Unterstützung zu holen, damit du langfristig selbstbestimmter handeln kannst (Saylor & Amann, 2016).

Fazit: Impulsivität verstehen und gezielt nutzen

Impulsivität bei ADHS ist kein Makel, sondern ein Hinweis darauf, dass dein Gehirn anders funktioniert. Es arbeitet schneller, spontaner und ist oft direkter, manchmal jedoch auch anfälliger für Kurzschlussreaktionen. Wer diese Dynamik erkennt, gewinnt die Möglichkeit, mit der eigenen Impulsivität bewusst umzugehen (Pringsheim et al., 2015).

Statt gegen die Impulsivität zu kämpfen, lohnt es sich, sie besser kennenzulernen. Denn in ihr steckt auch Potenzial: Kreativität, Entschlossenheit, Innovationsfreude. Viele Menschen mit ADHS denken quer, entdecken neue Lösungswege und handeln, wenn andere noch zögern. Diese Energie gezielt zu lenken, zum Beispiel durch strukturgebende Routinen, mentale Tools zur Reizverzögerung oder therapeutische Unterstützung, kann den Alltag enorm erleichtern.

Mit den richtigen Strategien wird impulsives Verhalten nicht zum Hindernis, sondern zur Ressource. Es geht darum, Selbststeuerung zu erlernen – ohne dabei die eigene Lebendigkeit zu verlieren. Denn genau diese Kombination macht viele Menschen mit ADHS einzigartig und wertvoll in einer Welt, die kreative, spontane Impulse dringend braucht.

Rezensentenblock

Porträt von Dr. Almedina Berisha, Ärztin im Team von klaro-adhs.ch. Sie unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Diagnostik und Therapie von ADHS in der Schweiz. Das Bild zeigt sie im weissen Arztkittel mit Stethoskop vor einem klaro-Hintergrund.

Almedina Berisha

Ärztin Innere Medizin
Almedina Berisha ist Ärztin für Innere Medizin in der Schweiz mit besonderem Interesse an psychosomatischen Zusammenhängen und neurobiologischen Faktoren von ADHS. Sie prüft medizinische Inhalte auf klaro-adhs.ch auf wissenschaftliche Genauigkeit, klinische Relevanz und patientenverständliche Darstellung. Ihr Fokus liegt auf einer praxisnahen Vermittlung komplexer Themen der Erwachsenenmedizin und psychischen Gesundheit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

  • Bei ADHS arbeiten Präfrontalcortex und Belohnungssystem anders zusammen. Das erschwert Selbstkontrolle, Planung und Konsequenzbewertung – Impulse werden schneller in Handlung übersetzt. Reizueberflutung, Stress und Schlafmangel verkuerzen die „Pause-Taste“ zusaetzlich. Wichtig: Impulsivitaet ist neurobiologisch, kein Mangel an Disziplin.

Quellenverzeichnis

  1. Willcutt, E. G., Doyle, A. E., Nigg, J. T., Faraone, S. V., & Pennington, B. F. (2005). Validity of the executive function theory of attention-deficit/hyperactivity disorder: A meta-analytic review. Biological Psychiatry, 57(11), 1336–1346. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/15950006/
  2. Barkley, R. A. (1997). Behavioral inhibition, sustained attention, and executive functions: Constructing a unifying theory of ADHD. Psychological Bulletin, 121(1), 65–94. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/9000892/
  3. Arnsten, A. F. T., Wang, M., & Paspalas, C. D. (2011). Catecholamine influences on dorsolateral prefrontal cortical networks. Biological Psychiatry, 69(12), e89–e99. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC3145207/
  4. Shaw, P., Stringaris, A., Nigg, J., & Leibenluft, E. (2014). Emotion dysregulation in attention-deficit/hyperactivity disorder. American Journal of Psychiatry, 171(3), 276–293. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/24480998/
  5. Beheshti, A., Chavanon, M.-L., & Christiansen, H. (2020). Emotion dysregulation in adults with attention deficit hyperactivity disorder: A meta-analysis. BMC Psychiatry, 20, 120. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC7069054/
  6. Saylor, K. E., & Amann, B. H. (2016). Impulsive aggression as a comorbidity of attention-deficit/hyperactivity disorder in children and adolescents. Journal of Child and Adolescent Psychopharmacology, 26(1), 19–25. https://pmc.ncbi.nlm.nih.gov/articles/PMC4779282/
  7. Pringsheim, T., Hirsch, L., Gardner, D., & Gorman, D. A. (2015). The pharmacological management of oppositional behaviour, conduct problems, and aggression in children and adolescents with ADHD: A systematic review and meta-analysis. Part 1: Psychostimulants, alpha-2 agonists, and atomoxetine. The Canadian Journal of Psychiatry, 60(2), 42–51. https://journals.sagepub.com/doi/10.1177/070674371506000202

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