Stressverarbeitung bei ADHS: Wege zur Resilienz

Veröffentlicht am: 01. Oktober 2025
Zuletzt ärztlich geprüft am: 08. Oktober 2025

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Porträt von Dr. med. Jens Westphal, Praktischer Arzt FMH und medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch. Er begleitet Patientinnen und Patienten in der Schweiz bei der Abklärung und Behandlung von ADHS. Das Bild zeigt ihn vor einem klaro-Hintergrund als Teil des ärztlichen Teams für ADHS Schweiz.

Dr. med. Jens Westphal

ADHS-Spezialist und Praktischer Arzt (FMH)
Dr. med. Jens Westphal ist Praktischer Arzt (FMH) mit langjähriger Erfahrung in der hausärztlichen Versorgung und Psychiatrie. Er ist medizinischer Reviewer bei klaro-adhs.ch und prüft alle Inhalte rund um ADHS, Diagnostik und Therapie auf wissenschaftliche Genauigkeit und praktische Umsetzbarkeit in der Schweizer Grundversorgung.

Inhaltsverzeichnis

Menschen mit ADHS verarbeiten Reize und Emotionen anders, ihr Nervensystem reagiert schneller, intensiver und weniger gefiltert auf das, was im Außen (und Innen) passiert. Schon alltägliche Situationen können zur Belastung werden, wenn sie gleichzeitig viele Anforderungen stellen oder plötzlich Veränderungen mit sich bringen (Moreira & Garcia, 2021).

Was bei anderen vielleicht nur als „hektischer Tag“ durchgeht, kann bei ADHS-Betroffenen zu einer regelrechten Reizüberflutung führen, mit Folgen wie innerer Unruhe, emotionalen Ausbrüchen oder einem völligen Abschalten („Shutdown“) (Moreira & Garcia, 2021).

Warum fällt es Menschen mit ADHS besonders schwer, mit Stress umzugehen? Hier einige zentrale Gründe:

  • Reizfilter ist schwächer ausgeprägt: Geräusche, Licht, Stimmen, Bewegungen, all das wird oft gleich stark wahrgenommen. Das Gehirn kann Wichtiges und Unwichtiges schwerer trennen.
  • Emotionale Reaktionen sind stärker: Gefühle wie Wut, Traurigkeit oder Frustration kommen schneller, sind intensiver, und dauern manchmal länger an.
  • Exekutive Funktionen sind beeinträchtigt: Planen, Priorisieren und Organisieren sind schwieriger, gerade unter Druck. Das führt oft zu Chaos oder dem Gefühl, die Kontrolle zu verlieren.
  • Zeitgefühl ist verzerrt: Viele ADHS-Betroffene unterschätzen oder überschätzen die zur Verfügung stehende Zeit, das erhöht das Stresslevel zusätzlich („Time Blindness“).
  • Negative Erfahrungen aus der Vergangenheit: Wiederholte Kritik, Schulversagen oder Konflikte im Beruf führen oft zu einem geschwächten Selbstbild, und zu einer niedrigeren Stressresistenz.
  • Ständige Selbstzweifel: Gedanken wie „Ich bin einfach zu unorganisiert“ oder „Ich krieg das nie hin“ wirken zusätzlich belastend, und verhindern konstruktive Lösungsstrategien.

All das führt dazu, dass Stress nicht nur schneller entsteht, sondern sich auch länger und intensiver auswirkt. Die Folge: Schon kleine Herausforderungen können als überwältigend erlebt werden – insbesondere, wenn mehrere Stressfaktoren gleichzeitig auftreten (Moreira & Garcia, 2021).

Was bedeutet Resilienz?

Resilienz bezeichnet die Fähigkeit, mit Belastungen, Krisen und Stresssituationen so umzugehen, dass man langfristig psychisch stabil und handlungsfähig bleibt. Es geht nicht darum, jedeEin Mann ist vollständig mit Notizzetteln bedeckt, viele davon tragen Botschaften wie „Take a break“ oder „Stop“. Bei ADHS Schweiz wird häufig über Reizüberflutung und das Gefühl der Überforderung gesprochen – dieses Bild bringt das Chaos im Kopf bildlich zum Ausdruck. Struktur und Priorisierung können helfen, wieder Klarheit zu gewinnen. Herausforderung mühelos zu meistern oder keine Probleme zu haben, sondern darum, trotz Schwierigkeiten wieder ins Gleichgewicht zu finden (Moreira & Garcia, 2021).

Menschen mit hoher Resilienz können:

  • schneller auf Veränderungen reagieren
  • neue Wege finden, wenn alte nicht mehr funktionieren
  • innere Ruhe bewahren, auch wenn es im Außen turbulent wird
  • aus Rückschlägen lernen, statt daran zu zerbrechen

Resilienz ist keine angeborene Eigenschaft, sondern etwas, das man entwickeln und trainieren kann – Schritt für Schritt. Dabei spielen persönliche Erfahrungen, soziale Unterstützung und auch der eigene Umgang mit Gedanken und Gefühlen eine Rolle (Moreira & Garcia, 2021).

Gerade bei ADHS ist Resilienz ein entscheidender Schutzfaktor. Denn Menschen mit ADHS erleben im Alltag häufiger:

  • Überforderung durch Reizflut oder Zeitdruck
  • Emotionale Schwankungen, die schwer zu regulieren sind
  • Ablehnung oder Missverständnisse in sozialen Situationen
  • Selbstzweifel, ausgelöst durch negative Erfahrungen oder Kritik

Ohne eine gute Stressverarbeitung kann das langfristig zu emotionaler Erschöpfung, Burnout oder Depression führen. Deshalb ist Resilienz besonders wichtig – sie hilft, emotionale Überforderung zu vermeiden, schwierige Phasen zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen (Moreira & Garcia, 2021).

Kurz gesagt:
Resilienz ist die psychische „Widerstandskraft“, die uns hilft, trotz ADHS, Stress und Herausforderungen handlungsfähig und gesund zu bleiben – im Alltag, im Beruf und im Umgang mit uns selbst.

  1. Akzeptanz statt Selbstvorwürfe

Viele Menschen mit ADHS sind übermäßig streng mit sich selbst. Gedanken wie
„Ich müsste doch endlich …“,
„Warum klappt das bei allen – nur bei mir nicht?“ oder
„Ich bin einfach zu faul / undiszipliniert“

führen zu einem inneren Klima der ständigen Selbstkritik. Das erzeugt Stress, schwächt das Selbstwertgefühl – und macht konstruktive Veränderung oft noch schwerer.

Doch genau hier setzt ein zentraler Baustein von Resilienz an: die Selbstakzeptanz (Moreira & Garcia, 2021).

Was bedeutet Selbstakzeptanz?

Selbstakzeptanz heißt nicht, die eigenen Probleme zu ignorieren oder sich mit allem zufriedenzugeben (Moreira & Garcia, 2021). Es bedeutet:

  • die eigene Realität ehrlich anzuerkennen, ohne sich selbst kleinzumachen
  • Fehler und Schwächen als Teil des Menschseins zu akzeptieren
  • die Aufmerksamkeit von Vorwürfen auf Lösungen zu lenken

Gerade bei ADHS ist das wichtig, weil viele Schwierigkeiten nicht aus mangelndem Willen entstehen, sondern aus der neurobiologischen Funktionsweise des Gehirns (Moreira & Garcia, 2021).

Warum ist Selbstakzeptanz so wichtig?

Wer sich selbst ständig Vorwürfe macht, erzeugt:

  • inneren Druck und Stress
  • Schuldgefühle und Scham
  • eine negative innere Haltung („Ich bin nicht gut genug“)

Selbstakzeptanz schafft dagegen die Grundlage für:

  • emotionale Entlastung
  • realistische Zielsetzung
  • nachhaltige Veränderungen

Sie ist also kein „Verwöhnen“ – sondern ein stabilisierender Faktor, der Resilienz überhaupt erst möglich macht.

So gelingt der Perspektivwechsel

Beobachte deine Gedanken bewusst, z. B. in schwierigen Momenten:
Welche inneren Stimmen meldet sich? Wie sprichst du mit dir selbst?

Ersetze harte Selbstkritik durch verständnisvolle Formulierungen, etwa:

  • „Ich arbeite daran, meine Strukturen zu verbessern – und das ist ein Prozess.“
  • „Es fällt mir heute schwer, aber das heißt nicht, dass ich versage.“
  • „Ich darf Pausen machen, ohne mich dafür rechtfertigen zu müssen.“

Erkenne kleine Fortschritte an – auch wenn sie dir nicht „genug“ erscheinen.
Resilienz wächst durch Wertschätzung, nicht durch Druck.

Merksatz:
Nicht die ständige Kritik macht dich besser – sondern der liebevolle Blick auf dich selbst, selbst (und gerade) dann, wenn etwas nicht klappt (Speyer et al., 2023).

  1. Strukturen schaffen – aber flexibel bleiben

Eine Frau stützt den Kopf auf die Hand und blickt erschöpft auf ihren Laptop. Erschöpfung und Überforderung sind häufige Begleiter bei Menschen mit ADHS Schweiz, besonders im Arbeitsalltag. Die Szene zeigt eindrücklich, wie mentale Belastung den Alltag beeinflussen kann.Menschen mit ADHS profitieren enorm von klaren Tagesstrukturen. Sie geben Orientierung, helfen dabei, Prioritäten zu setzen und verhindern, dass man sich im Chaos verliert. Gleichzeitig brauchen viele Betroffene ausreichend Spielraum, um sich nicht eingeengt zu fühlen. Zu starre Abläufe oder durchgetaktete Pläne führen schnell zu Frust, Widerstand oder dem Gefühl, zu scheitern, wenn etwas nicht klappt (Speyer et al., 2023).

Die Lösung liegt im Dazwischen:
Ein flexibler Rahmen – mit stabilen Fixpunkten und genug Raum für spontane Entscheidungen.

Warum Struktur bei ADHS so wichtig ist

Ohne äußere Struktur geraten viele Menschen mit ADHS in typische Fallen:

  • sie verlieren sich in Reizüberflutung oder Nebensächlichkeiten
  • sie schieben wichtige Aufgaben endlos vor sich her (Prokrastination)
  • sie fühlen sich ständig gehetzt und überfordert

Eine gute Tagesstruktur wirkt dem entgegen:

  • sie entlastet das Gehirn von ständiger Selbststeuerung
  • sie reduziert Entscheidungsmüdigkeit
  • sie sorgt für mehr innere Ruhe und Vorhersehbarkeit

Wie sieht eine flexible Struktur konkret aus?

Statt jeden Tag minutiös zu planen, reichen oft wenige, aber feste Ankerpunkte, etwa:

Aufstehzeit: möglichst zur gleichen Zeit – auch am Wochenende leicht angepasst
Essenspausen: bewusst einplanen, um Unterzucker & Reizbarkeit zu vermeiden
Fokus-Slots: z. B. 10–11 Uhr für eine wichtige Aufgabe
Bewegungspausen: z. B. 12 Uhr ein Spaziergang oder Dehnübungen
Erholungszeit: z. B. 15 Uhr bewusste Pause ohne Bildschirm
Abendritual: feste Struktur zum Runterkommen und Schlafvorbereitung

Diese „Anker“ helfen, dem Tag eine Form zu geben – ohne ihn zu überfrachten (Speyer et al., 2023).

Praktische Tipps für mehr Struktur – ohne Druck

  • Tagesübersicht statt To-Do-Liste: Plane nicht nur Aufgaben, sondern auch Pausen, Essen, Bewegung – wie ein Stundenplan.
  • Baustein-Prinzip: Nutze wiederkehrende „Module“ wie Fokuszeit, Kreativzeit, Erholung – je nach Energielevel.
  • Timer & Reminder: Unterstützen den Einstieg (z. B. Pomodoro-Technik) und helfen beim Dranbleiben.
  • Puffer einbauen: Plane Übergänge und „chaotische Phasen“ mit ein – sie passieren sowieso.
  • Flexibel bleiben: Wenn etwas nicht klappt, umplanen statt aufgeben – jeder Tag ist anders.

Beispiel für eine flexible Tagesstruktur:

Uhrzeit Aktivität Kommentar
08:00 Aufstehen & Kaffee fester Startpunkt, ohne Druck
09:00–10:00 Freie Phase / E-Mails leichter Einstieg in den Tag
10:00–11:00 Fokusarbeit (z. B. Projekt) wichtigster Slot, möglichst störungsfrei
12:00 Bewegung / Spaziergang Reset für Körper & Kopf
13:00–14:00 Essen + kurze Pause bewusste Regeneration
15:00–15:30 Pause / Power Nap Energietank auffüllen
16:00–17:00 Leichtere Aufgaben z. B. Telefonate, Mails
  1. Bewegung als Stressventil

Bewegung ist ein wirksames Mittel gegen Stress – und gerade bei ADHS besonders hilfreich. Studien zeigen: Schon kurze körperliche Aktivität kann Anspannung reduzieren, die Konzentration verbessern und Stimmungsschwankungen ausgleichen. Gleichzeitig ist Bewegung ein natürlicher Weg, überschüssige Energie loszuwerden – ohne sich selbst zu überfordern (Cortes et al., 2022).

Das Beste daran? Du brauchst kein Fitnessstudio oder stundenlange Workouts – es reicht, wenn du regelmässig in Bewegung kommst (Cortes et al., 2022).

Warum Bewegung bei ADHS so gut wirkt

  • Aktiviert das Gehirn: Körperliche Aktivität erhöht den Dopamin- und Noradrenalinspiegel – also genau jene Botenstoffe, die bei ADHS oft zu niedrig sind.
  • Senkt die Stresshormone: Bewegung hilft, Cortisol abzubauen und ein Gefühl von innerer Ruhe zu fördern.
  • Verbessert die Selbstwahrnehmung: Sport macht es leichter, den eigenen Körper zu spüren und Signale wie Überforderung früher zu erkennen.
  • Kanalisiert Energie: Wer oft „unter Strom“ steht, kann durch Bewegung überschüssige Spannung abbauen – bevor sie sich in Reizbarkeit, Unruhe oder Impulsivität entlädt.

Welche Bewegungsformen helfen besonders gut?

Es muss nicht die eine perfekte Sportart sein – wichtig ist, dass sie zu dir passt und sich leicht in den Alltag integrieren lässt:

  • Spaziergänge (besonders in der Natur): beruhigend & ohne Schwelle
  • Joggen oder Radfahren: ideal für den „Kopf frei kriegen“
  • Tanzen: aktiviert Körper & Emotionen, bringt Freude
  • Trampolin, Seilspringen oder Yoga: abwechslungsreich & aktivierend
  • Klettern, Bouldern oder Schwimmen: für intensivere Bewegungseinheiten

Auch scheinbar „banale“ Dinge helfen – z. B.:

  • die Treppe statt den Lift nehmen
  • beim Telefonieren auf- und abgehen
  • Musik anmachen und einfach 3 Minuten lostanzen

Mini-Workouts für zwischendurch – so geht’s

Kleine Bewegungseinheiten sind besonders alltagstauglich und effektiv – z. B.:

  • 10 Minuten locker joggen oder schnelles Gehen, bevor du mit der Arbeit beginnst
  • 5 Minuten Dehnen oder Mobilisieren nach einem stressigen Zoom-Call
  • 30 Sekunden Hampelmänner oder auf der Stelle laufen, um Reizüberflutung loszuwerden
  • Stehen & Strecken nach jeder vollen Stunde

Tipp: Setze dir kleine Reminder – am Handy, in der To-Do-App oder mit einem visuellen Hinweis auf dem Schreibtisch (Cortes et al., 2022).

Bewegung + ADHS = Dopamin-Booster

Regelmässige Bewegung wirkt wie ein natürlicher Stimmungsaufheller und hilft dabei, dein ADHS-Gehirn besser auszubalancieren (Cortes et al., 2022). Besonders hilfreich ist Bewegung in diesen Momenten:

  • Morgens: zum Aktivieren & Klarwerden
  • Nach schwierigen Gesprächen oder Meetings: als mentaler Reset
  • Abends: in ruhigerer Form (Spaziergang, Dehnen), um den Tag ausklingen zu lassen
  1. Reizfilter stärken: Reizüberflutung erkennen & vermeidenEin älterer Mann sitzt nachdenklich mit geneigtem Kopf, die Hand an die Stirn gelegt, schwarz-weiss aufgenommen. Viele Erwachsene mit ADHS Schweiz erleben erst spät eine Diagnose – oft nach Jahren innerer Anspannung. Das Bild symbolisiert Grübeln, Selbstzweifel und das Bedürfnis nach Ruhe.

Viele Menschen mit ADHS erleben die Welt intensiver – Geräusche, Lichter, Gespräche, Gerüche oder visuelle Eindrücke kommen oft ungefiltert im Gehirn an. Das kann im Alltag schnell zur Überforderung führen. Denn wenn das Gehirn permanent damit beschäftigt ist, Reize zu sortieren oder abzuwehren, bleibt wenig Energie für Konzentration, emotionale Stabilität oder sinnvolle Entscheidungen (Silver Linings, 2023).

Reizüberflutung ist ein typischer Auslöser für inneren Stress, Gereiztheit oder Rückzugsverhalten. Umso wichtiger ist es, den eigenen „inneren Reizfilter“ gezielt zu stärken – und die Umgebung so zu gestalten, dass sie möglichst reizarm bleibt (Silver Linings, 2023).

Anzeichen für Reizüberflutung frühzeitig erkennen

Wer die typischen Frühwarnzeichen kennt, kann gezielt gegensteuern, bevor es zur Eskalation kommt. Häufige Anzeichen sind:

  • zunehmende Gereiztheit oder Ungeduld
  • Schwierigkeiten, Gesprächen zu folgen
  • plötzliche Erschöpfung oder Rückzugswunsch
  • körperliche Symptome wie Druck im Kopf, Unruhe oder Herzklopfen
  • der Drang, sich zurückzuziehen oder „alles abzustellen“

Je früher du diese Signale wahrnimmst, desto einfacher ist es, sich selbst wieder zu regulieren (Silver Linings, 2023).

Strategien für ein besseres Reizmanagement

Reizschutz beginnt im Alltag – mit klaren Entscheidungen für mehr Ruhe und weniger Ablenkung. Diese Strategien helfen, den Reizpegel aktiv zu senken:

  • Noise-Cancelling-Kopfhörer verwenden
    Ideal für konzentriertes Arbeiten in lauten Umgebungen oder zum Abschalten unterwegs. Auch beruhigende Musik oder Naturgeräusche können helfen.
  • Handy gezielt stumm schalten oder in den Flugmodus versetzen
    Besonders in Fokusphasen oder beim Arbeiten hilft es, Push-Benachrichtigungen und ständige Erreichbarkeit zu unterbrechen.
  • Visuelle Reize minimieren
    Ein aufgeräumter Arbeitsplatz, schlichte Farben und wenig visuelles Chaos helfen, die Konzentration zu bündeln. Auch der Verzicht auf blinkende Anzeigen oder grelle Beleuchtung macht oft einen grossen Unterschied.
  • Orte zum Rückzug schaffen
    Ob ein fester Arbeitsplatz mit klaren Grenzen, ein abgedunkelter Pausenraum oder ein Kopfhörer als „soziales Signal“ – Rückzugsräume sind essenziell.
  • Pausen bewusst nutzen
    Nicht jede Pause muss gefüllt sein. Gerade bei Reizüberflutung hilft es, in die Stille zu gehen – ohne Handy, ohne Gespräche, einfach nur atmen oder aus dem Fenster schauen.
  • Klare Routinen im Alltag einbauen
    Struktur senkt den Reizpegel, weil das Gehirn weniger Entscheidungen treffen muss. Feste Abläufe morgens, mittags und abends bieten Stabilität.

Reizschutz ist Selbstfürsorge

Sich vor Reizen zu schützen, ist kein Rückzug aus dem Leben, sondern ein aktiver Schritt in Richtung Selbstregulation. Wer lernt, eigene Grenzen frühzeitig zu erkennen und sich Reizpausen zu gönnen, kann deutlich besser mit Stress umgehen – besonders bei ADHS (Silver Linings, 2023).

Tipp: Beobachte im Alltag bewusst, welche Reize dich am schnellsten stressen – und wo du gegensteuern kannst. Manchmal hilft schon ein kleiner Impuls, um wieder Ruhe in Kopf und Körper zu bringen (Silver Linings, 2023).

  1. Achtsamkeit & Atemtechniken für akute Stressphasen

Menschen mit ADHS fällt es oft schwer, im Moment zu bleiben. Gedanken springen, Reize lenken ab, der Körper ist innerlich unruhig. Gerade in stressigen oder emotional überfordernden Situationen fehlt oft der Zugang zu Ruhe und Klarheit. Doch genau hier setzen Achtsamkeit und gezielte Atemübungen an – als einfache, aber effektive Strategien zur Selbstregulation (Silver Linings, 2023).

Warum Atemtechniken so wirksam sind

In akuten Stressphasen gerät das autonome Nervensystem aus dem Gleichgewicht. Der Sympathikus, also das aktivierende Stresssystem, ist überaktiv. Durch langsames, bewusstes Atmen kann der Parasympathikus – der beruhigende Anteil – aktiviert werden. Das hilft, den Herzschlag zu senken, die Muskeln zu entspannen und den Fokus wieder nach innen zu lenken (Silver Linings, 2023).

Atemübungen wirken:

  • direkt auf das Nervensystem regulierend
  • ohne Hilfsmittel, jederzeit verfügbar
  • auch in öffentlichen oder hektischen Situationen
  • als Brücke zurück in den gegenwärtigen Moment

Praktische Atemübung: 4-4-6-Atmung

Eine einfache Technik, die sich besonders gut für akute Stressmomente eignet:

  1. Atme tief durch die Nase ein und zähle dabei innerlich bis vier.
  2. Halte den Atem für vier Sekunden an.
  3. Atme langsam durch den Mund aus und zähle dabei bis sechs.
  4. Wiederhole diesen Zyklus drei- bis viermal.

Diese Übung dauert weniger als zwei Minuten und hat oft spürbare Wirkung: Der Puls sinkt, die Gedanken beruhigen sich, die Körperspannung lässt nach (Silver Linings, 2023).

Weitere Strategien für mehr Achtsamkeit im Alltag

Detailaufnahme einer Frau im Lotussitz mit Mudra-Handhaltung, umgeben von Kerzen und Räucherwerk. Die Szene vermittelt eine tiefe Verbindung zur inneren Stille. Rituale wie diese stärken die Achtsamkeit bei ADHS – auch in der Schweiz.Auch wenn klassische Meditation oder Achtsamkeitsübungen bei ADHS anfangs überfordernd wirken können, lohnt sich ein individueller Zugang. Wichtig ist, niedrigschwellig einzusteigen – und Methoden zu finden, die nicht frustrieren, sondern stärken (Silver Linings, 2023).

Hilfreiche Achtsamkeitstechniken:

  • 5-4-3-2-1-Methode: Nenne gedanklich fünf Dinge, die du sehen kannst, vier Dinge, die du spürst, drei Dinge, die du hörst, zwei Dinge, die du riechst und eine Sache, die du schmeckst. Das bringt dich sofort ins Hier und Jetzt.
  • Körper-Scan im Sitzen oder Liegen: Spüre nacheinander alle Körperteile – ohne Bewertung, einfach wahrnehmen.
  • Atemanker nutzen: Richte die Aufmerksamkeit für 60 Sekunden nur auf die Ein- und Ausatmung. Sobald Gedanken abschweifen, sanft zurück zum Atem führen.
  • Bewusste Mini-Pausen: Statt „durchzuziehen“ lieber kurze Unterbrechungen einbauen – 60 Sekunden still sitzen, Schultern lockern, drei tiefe Atemzüge.

Achtsamkeit ist kein Zustand – sondern eine Praxis

Es geht nicht darum, ständig ruhig oder ausgeglichen zu sein. Achtsamkeit bedeutet, den Moment wahrzunehmen – mit allem, was gerade ist, ohne zu urteilen. Für Menschen mit ADHS kann das eine neue Art von Kontrolle bedeuten: Nicht über das Aussen, sondern über die eigene innere Reaktion.

Gerade wenn alles zu viel wird, ist der eigene Atem das verlässlichste Werkzeug – immer dabei, jederzeit einsetzbar.

Tipp: Baue Atemübungen nicht nur im Stress ein, sondern auch präventiv – zum Beispiel morgens nach dem Aufstehen oder vor dem Einschlafen. Das stärkt deine Selbstregulation langfristig.

  1. Soziale Unterstützung nutzen – ohne schlechtes Gewissen

Menschen mit ADHS erleben Stress oft sehr intensiv – emotional, gedanklich und körperlich. In solchen Momenten ziehen sich viele Betroffene zurück. Nicht selten aus Scham, dem Gefühl eine Belastung zu sein, oder weil sie denken, dass „andere das ohnehin nicht verstehen würden“. Doch genau das kann langfristig die Stressbelastung erhöhen und zur sozialen Isolation führen (Lange et al., 2024).

Dabei gilt: Soziale Unterstützung gehört zu den stärksten Schutzfaktoren für psychische Gesundheit. Wer in belastenden Situationen mit anderen Menschen in Verbindung bleibt, kann Emotionen besser regulieren, erlebt mehr Verständnis und fühlt sich weniger allein. Studien zeigen, dass soziale Bindungen die Resilienz messbar stärken – auch und gerade bei ADHS (Lange et al., 2024).

Warum soziale Unterstützung so wichtig ist

Soziale Kontakte wirken wie ein emotionales Puffer-System: Sie helfen, schwierige Gedanken zu relativieren, spenden Trost und ermöglichen oft neue Perspektiven. Gerade für Menschen mit ADHS, die sich häufig missverstanden oder abgelehnt fühlen, ist der Zugang zu wohlwollenden Beziehungen besonders wichtig (Lange et al., 2024).

Soziale Unterstützung hilft:

  • emotionale Spannungen zu regulieren
  • negative Gedankenspiralen zu unterbrechen
  • sich selbst weniger hart zu bewerten
  • realistische Rückmeldungen von außen zu erhalten
  • neue Kraftquellen zu aktivieren – durch Empathie, Humor oder gemeinsames Tun

Unterstützung suchen – ohne sich schlecht zu fühlenEine herzliche Umarmung zwischen zwei Menschen am See vermittelt Lebensfreude und Nähe. Diese emotionale Stabilität kann helfen, die beruflichen Herausforderungen mit ADHS in der Schweiz besser zu meistern.

Der Gedanke, anderen zur Last zu fallen, hält viele davon ab, sich Hilfe zu holen. Doch: Sich jemandem anzuvertrauen ist kein Zeichen von Schwäche, sondern von Selbstfürsorge. Viele Menschen helfen gerne, wenn sie wissen, wie – und fühlen sich sogar gestärkt, wenn sie gebraucht werden (Lange et al., 2024).

Folgende Formen der Unterstützung können hilfreich sein:

  • Vertraute Freunde oder Familie: Menschen, die dich gut kennen und dir zuhören, ohne sofort Ratschläge zu geben.
  • Therapeutische Begleitung: Psychotherapeutinnen oder Coaches mit ADHS-Erfahrung helfen dir, wieder Klarheit und Orientierung zu gewinnen.
  • ADHS-Selbsthilfegruppen: Der Austausch mit anderen Betroffenen bringt Verständnis, Entlastung und oft auch konkrete Alltagstipps.
  • Online-Communities: In moderierten Foren oder sozialen Netzwerken kannst du anonym Erfahrungen teilen – auch das wirkt verbindend.

So gelingt der erste Schritt

Gerade in einer akuten Überforderung kann es schwerfallen, Kontakt aufzunehmen. Manchmal hilft es, sich vorab zu überlegen, was man braucht – etwa ein Gespräch, eine Umarmung oder einfach nur jemanden, der da ist (Lange et al., 2024).

Konkrete Tipps für mehr Verbundenheit:

  • Warte nicht, bis „es schlimm genug ist“ – nimm frühzeitig Kontakt auf.
  • Sprich klar aus, was du brauchst („Ich brauche nur kurz ein offenes Ohr“).
  • Erinnere dich daran: Du bist nicht die Einzige oder der Einzige mit diesen Herausforderungen.
  • Wenn es leichter fällt: Schreibe eine Nachricht statt anzurufen.
  • Pflege deine Kontakte auch in guten Phasen – das stärkt das Netz für schwierige Zeiten.

Merke: Du musst nicht alles allein schaffen. Sich Hilfe zu holen ist kein Zeichen von Schwäche – sondern eine gesunde Entscheidung.

Wenn du möchtest, kann ich diesen Abschnitt auch in eine druckfreundliche Checkliste umwandeln oder ergänzendes Infomaterial entwerfen. Sag einfach Bescheid (Lange et al., 2024).

Fazit: Resilienz bei ADHS ist erlernbar

Stress gehört zum Leben – gerade bei ADHS. Aber: Du kannst lernen, besser damit umzugehen. Mit realistischen Erwartungen, passenden Strukturen und konkreten Techniken baust du Schritt für Schritt deine Widerstandskraft auf. Resilienz bedeutet nicht, unverwundbar zu sein – sondern sich immer wieder aufzurichten, wenn es schwierig wird.

Hast du das Gefühl, dass Stress dich dauerhaft überfordert?
Eine Online-Psychotherapie kann helfen, deine Stressverarbeitung gezielt zu stärken – professionell, alltagstauglich und auf ADHS abgestimmt.

Rezensentenblock

Porträt von Dr. Almedina Berisha, Ärztin im Team von klaro-adhs.ch. Sie unterstützt Patientinnen und Patienten bei der Diagnostik und Therapie von ADHS in der Schweiz. Das Bild zeigt sie im weissen Arztkittel mit Stethoskop vor einem klaro-Hintergrund.

Almedina Berisha

Ärztin Innere Medizin
Almedina Berisha ist Ärztin für Innere Medizin in der Schweiz mit besonderem Interesse an psychosomatischen Zusammenhängen und neurobiologischen Faktoren von ADHS. Sie prüft medizinische Inhalte auf klaro-adhs.ch auf wissenschaftliche Genauigkeit, klinische Relevanz und patientenverständliche Darstellung. Ihr Fokus liegt auf einer praxisnahen Vermittlung komplexer Themen der Erwachsenenmedizin und psychischen Gesundheit.

Häufig gestellte Fragen (FAQ)

  • Menschen mit ADHS reagieren auf Stress oft intensiver als andere, weil ihr Nervensystem Reize und Emotionen weniger stark filtert. Schon kleine Auslöser können Überforderung, Reizbarkeit oder emotionale Ausbrüche verursachen. Der Körper schaltet dabei schneller in den Alarmmodus – Herzklopfen, Unruhe oder Gedankenkreisen sind häufige Folgen. Bei längerem Stress kann es zu Erschöpfung, Konzentrationsproblemen und sozialem Rückzug kommen. Entscheidend ist: Diese Reaktionen sind keine „Schwäche“, sondern Ausdruck einer veränderten Stressverarbeitung im ADHS-Gehirn.

Quellenverzeichnis

  1. Moreira, A. L., & Garcia, R. H. M. (2021). The role of stress coping strategies for life impairments in ADHD. Frontiers in Psychology. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC8295144/
  2. Speyer, L. G., Brown, R. H., Ribeaud, D., et al. (2023). The role of moment-to-moment dynamics of perceived stress and negative affect in co-occurring ADHD and internalising symptoms. Journal of Autism and Developmental Disorders, 53, 1213–1223. https://doi.org/10.1007/s10803-022-05624-w
  3. Cortes, M. F., et al. (2022). Attention-deficit/hyperactivity disorder symptoms, perceived stress, and psychological health in adults: A mediational model. Frontiers in Psychiatry. https://www.frontiersin.org/articles/10.3389/fpsyt.2022.1008290/full
  4. Silver linings of ADHD: a thematic analysis of adults’ positive experiences. (2023). Frontiers in Psychiatry. https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC10551976/
  5. Lange, T., et al. (2024). Adolescents with ADHD showed lower resilience levels compared to siblings and controls, even when controlling for anxiety and depression levels. Trends in Psychiatry & Psychotherapy. https://www.scielo.br/j/trends/a/3bRC3XhMVFrR49zXD5QZ6Hb/

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