Intervallfasten (IF) ist längst mehr als nur ein kurzlebiger Ernährungstrend. Besonders unter Menschen mit ADHS findet dieser Ansatz wachsende Aufmerksamkeit, nicht nur wegen möglicher Vorteile bei der Gewichtskontrolle, sondern auch wegen Berichten über bessere Konzentration, weniger innere Unruhe und stabilere Stimmungslagen (de Cabo & Mattson, 2019). Die Frage ist jedoch: Handelt es sich dabei um Einzelfälle oder steckt mehr dahinter? Und wie unterscheiden sich die Erfahrungen in der Schweiz von internationalen Berichten?
Viele Betroffene berichten über positive Veränderungen im Alltag, etwa ein klareres Kopfgefühl am Vormittag, weniger Heißhungerattacken oder eine strukturiertere Tagesplanung. Gleichzeitig gibt es auch kritische Stimmen, die über Konzentrationseinbrüche oder Energieverlust während der Fastenphase klagen. Diese individuelle Spannweite macht es umso wichtiger, das Thema differenziert zu betrachten (de Cabo & Mattson, 2019).
In diesem Artikel erfährst du:
- Was Intervallfasten genau bedeutet, und welche Methoden verbreitet sind
- Wie Betroffene aus der Schweiz Intervallfasten erleben
- Welche Mechanismen hinter möglichen positiven Effekten stecken
- Worauf du achten solltest, wenn du ADHS hast und Intervallfasten ausprobieren möchtest
So bekommst du einen fundierten Überblick, jenseits von Hype oder Hoffnung, und kannst für dich selbst einschätzen, ob IF ein sinnvoller Bestandteil deines Alltags werden kann (de Cabo & Mattson, 2019).
Was ist Intervallfasten überhaupt?
Intervallfasten (englisch: intermittent fasting) beschreibt eine Ernährungsform, bei der nicht die Auswahl der Lebensmittel im Vordergrund steht, sondern der Zeitpunkt der Nahrungsaufnahme. Das bedeutet: Es wird in einem bestimmten Rhythmus gegessen und gefastet, mit dem Ziel, dem Körper längere Pausen zur Regeneration zu geben (de Cabo & Mattson, 2019).
Die bekanntesten Methoden im Überblick:
- 16:8, 16 Stunden Fasten, 8 Stunden Essensfenster (z. B. von 12 bis 20 Uhr). Diese Methode ist besonders beliebt, weil sie sich gut mit Alltagsroutinen vereinbaren lässt.
- 14:10, eine sanftere Variante für Einsteiger: 14 Stunden Fasten, 10 Stunden Essenszeit.
- 5:2, an fünf Tagen pro Woche wird normal gegessen, an zwei Tagen die Kalorienzufuhr auf etwa 500–600 kcal reduziert.
- Eat-Stop-Eat, 1–2-mal pro Woche wird für 24 Stunden komplett auf feste Nahrung verzichtet.
Warum ist die 16:8-Methode in der Schweiz besonders beliebt?
Gerade im Schweizer Alltag, geprägt von geregelten Arbeitszeiten, Homeoffice und bewusstem Umgang mit Gesundheit, hat sich die 16:8-Methode etabliert. Viele kombinieren sie mit einem späten Frühstück und einem frühen Abendessen (de Cabo & Mattson, 2019). Das hat Vorteile:
- Der natürliche Tagesrhythmus bleibt erhalten
- Das Abendessen fällt nicht allzu spät aus, was den Schlaf verbessert
- Morgens bleibt mehr Zeit für Routinen wie Bewegung, Meditation oder fokussiertes Arbeiten
Tipps für den Einstieg:
- Sanft starten: Wer noch nie gefastet hat, beginnt besser mit 12:12 oder 14:10, und steigert sich langsam
- Klares Ziel definieren: Geht es dir um mehr Fokus, weniger Snacks oder ein besseres Körpergefühl?
- Routinen schaffen: Feste Zeiten helfen dem Körper, sich an den neuen Rhythmus zu gewöhnen
- Geduldig bleiben: Die Vorteile zeigen sich oft erst nach ein paar Tagen oder Wochen
Intervallfasten ist mehr als nur ein Trend, es ist eine flexible Methode, um Körper und Geist besser in Einklang zu bringen. Besonders für Menschen mit ADHS kann die Struktur hilfreich sein, um mehr Klarheit und Ruhe in den Alltag zu bringen (de Cabo & Mattson, 2019).
Warum könnte Intervallfasten bei ADHS helfen?
Menschen mit ADHS haben häufig eine instabile Energiekurve über den Tag hinweg (Mattson et al., 2018). Typische Symptome, die damit einhergehen, sind:
- Heißhungerattacken, oft ausgelöst durch plötzliche Blutzuckerschwankungen
- Impulsives Essen, z. B. in stressigen oder emotional aufgeladenen Situationen
- Vergessen zu essen, durch Hyperfokus oder mangelndes Körperbewusstsein
- Energietiefs nach Mahlzeiten, vor allem nach kohlenhydratreichen Snacks oder unregelmäßigem Essverhalten
- Ein strukturierter Essensrhythmus, wie er beim Intervallfasten praktiziert wird, kann hier auf mehreren Ebenen unterstützend wirken:
- Stabilisierung des Blutzuckerspiegels: Längere Essenspausen verhindern starke Schwankungen und beugen Energieeinbrüchen vor.
- Regulierung der Dopaminausschüttung: Regelmäßige Fastenzeiten können helfen, das empfindliche Gleichgewicht der Neurotransmitter bei ADHS zu beeinflussen.
- Mehr Struktur im Alltag: Für viele Betroffene ist der geregelte Tagesablauf beim Fasten ein willkommenes Element der Selbstregulation.
Mögliche Vorteile laut Erfahrungsberichten:
- Weniger Ablenkbarkeit am Vormittag: Viele berichten von besserem Fokus in der Fastenphase, insbesondere in den Morgenstunden.
- Stabileres Energielevel: Statt Hochs und Tiefs empfinden viele ein gleichmäßigeres Leistungsniveau über den Tag.
- Weniger emotionale Reizbarkeit: Ein konstanter Blutzuckerspiegel kann emotionale Schwankungen dämpfen.
- Verbessertes Körpergefühl: Mehr Bewusstsein für Hunger- und Sättigungssignale, was zu achtsamerem Essen führt.
- Reduzierter Impulsverzehr: Durch das bewusste Timing der Mahlzeiten sinkt die Wahrscheinlichkeit für spontane, ungesunde Snacks.
Achtung:
Nicht jeder erlebt diese Effekte gleichermaßen, der Nutzen hängt stark vom persönlichen Lebensstil, dem ADHS-Typ (z. B. hyperaktiv vs. unaufmerksam) und weiteren Faktoren wie Schlaf, Bewegung oder Medikation ab (Mattson et al., 2018).
Wer Intervallfasten ausprobieren möchte, sollte sich daher langsam herantasten und die Wirkung individuell beobachten, am besten in Absprache mit einer Fachperson (Mattson et al., 2018).
Stimmen aus der Schweiz, Was Betroffene berichten
Viele ADHS-Betroffene aus der Schweiz haben Intervallfasten ausprobiert, mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen. Während einige auf spürbare Verbesserungen bei Fokus, Energielevel oder Essverhalten hinweisen, berichten andere von Schwierigkeiten und unerwünschten Nebeneffekten. Diese persönlichen Rückmeldungen zeigen: Intervallfasten ist kein Allheilmittel, kann aber für manche eine sinnvolle Unterstützung sein (Sutton et al., 2018).
Positives Feedback:
- „Seit ich morgens nichts mehr esse, kann ich viel fokussierter arbeiten. Ich trinke nur Kaffee und starte mittags mit einer proteinreichen Mahlzeit.“Luca, 34, Zürich
- „Das Fasten hat mir geholfen, meine Medikamentendosis zu reduzieren. Ich bin tagsüber ausgeglichener und brauche weniger Snacks.“Julia, 29, Bern
- „Früher habe ich dauernd zwischendurch gegessen, aus Langeweile. Jetzt esse ich bewusster, und auch meine Verdauung hat sich verbessert.“Samuel, 42, St. Gallen
- „Ich hatte oft das Gefühl, am Vormittag zu ‚zerstreut‘ zu sein. Im Fastenzustand bin ich ruhiger, klarer im Kopf, vor allem bei Büroarbeiten.“Eliane, 37, Basel
- „Ich tracke mein Energielevel mit einer App, seit dem Start mit 16:8 sind die Schwankungen viel kleiner geworden.“Noah, 31, Luzern
Einschränkungen und Herausforderungen:
Nicht alle empfinden IF als hilfreich, manche berichten über Konzentrationsprobleme im Fastenfenster oder Schlafstörungen bei spätem Essen. Auch die Umstellung fällt nicht jedem leicht (Sutton et al., 2018).
- „Ich habe nach drei Wochen abgebrochen, das Fasten hat meine Reizbarkeit verschärft.“Anonym, Lausanne
- „Anfangs war ich sehr müde in der Fastenphase, mein Kreislauf kam nicht mit. Vielleicht war es einfach nicht das Richtige für mich.“Reto, 40, Thun
- „Mit Methylphenidat auf nüchternen Magen wurde mir schwindlig. Ich musste meine Einnahmezeit anpassen.“Selina, 28, Winterthur
Fazit der Erfahrungsberichte:
- Viele positive Rückmeldungen zu Klarheit, Fokus und Essverhalten
- Einige Herausforderungen bei Umstellung, Reizbarkeit und Medikamentenwirkung
- Individuelle Anpassung entscheidend, keine One-Size-Fits-All-Lösung
Diese Erfahrungen zeigen: Intervallfasten kann ein hilfreicher Baustein sein, sollte aber immer an die persönliche Situation angepasst werden, idealerweise mit ärztlicher Begleitung (Nigg et al., 2012).
Was sagt die Forschung?
Bisher gibt es kaum systematische Studien, die speziell Intervallfasten bei ADHS untersuchen. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Ansatz wirkungslos wäre, im Gegenteil: Zahlreiche Erkenntnisse aus der allgemeinen Fastenforschung lassen sich durchaus auf ADHS übertragen (McCann et al., 2007). So zeigen aktuelle Studien, dass Intervallfasten:
- die Insulinsensitivität verbessert, was zu einem stabileren Blutzuckerspiegel und damit auch zu einem ausgeglicheneren Energiehaushalt führen kann
- entzündungshemmend wirkt, chronische Entzündungen gelten als möglicher Einflussfaktor bei neuropsychischen Erkrankungen wie ADHS
- den Dopaminhaushalt beeinflusst, Dopamin ist ein zentraler Botenstoff bei ADHS, der für Motivation, Antrieb und Aufmerksamkeit verantwortlich ist
- die Neuroplastizität fördert, also die Fähigkeit des Gehirns, neue Verbindungen zu bilden und sich an veränderte Anforderungen anzupassen
Diese Mechanismen betreffen zentrale Bereiche, die auch bei ADHS eine wichtige Rolle spielen. Daher erscheint ein positiver Effekt von Intervallfasten auf ADHS-Symptome plausibel, auch wenn die genaue Wirkung individuell sehr unterschiedlich sein kann (McCann et al., 2007).
Weitere interessante Hinweise aus der Forschung:
- Tiermodelle zeigen, dass regelmäßige Fastenphasen die Bildung von BDNF (Brain Derived Neurotrophic Factor) fördern können, ein Protein, das bei der neuronalen Entwicklung und Signalübertragung hilft.
- Einige kleinere Humanstudien deuten an, dass Fasten die kognitive Leistungsfähigkeit und die Konzentration verbessern kann, auch bei Menschen ohne ADHS.
- Erste Fallberichte und Erfahrungsstudien liefern Hinweise darauf, dass IF bei emotionaler Dysregulation, Stimmungsschwankungen und impulsivem Essverhalten positive Effekte zeigen kann.
Wichtig bleibt: Es braucht deutlich mehr Forschung, um die konkreten Auswirkungen von Intervallfasten bei ADHS sicher beurteilen zu können. Dennoch sprechen die bisherigen Erkenntnisse dafür, dass IF ein ergänzender Baustein im Umgang mit ADHS sein könnte, besonders, wenn es sinnvoll in den Alltag integriert wirdWorauf du achten solltest, wenn du es ausprobieren willst (Drake et al., 2013).
Intervallfasten ist kein Wundermittel, aber ein möglicher Baustein (Drake et al., 2013). Wichtig ist:
- Langsam starten (z. B. mit 12:12 oder 14:10)
- Nicht auf das Frühstück verzichten, wenn du es brauchst
- Genug trinken (Wasser, ungesüßter Tee, Kaffee ohne Milch)
- Medikamente richtig timen (mit dem Arzt besprechen!)
- Ausreichend essen im Essensfenster, keine Diät im Fastenfenster
Gut zu wissen:
- Fasten ist nicht für alle geeignet, z. B. bei Essstörungen, Diabetes oder chronischen Krankheiten
- Wer bereits Medikamente wie Methylphenidat nimmt, sollte die Einnahme mit dem Fastenfenster abstimmen
Fazit: Intervallfasten & ADHS, eine Option mit Potenzial
Ob Intervallfasten bei ADHS hilft, ist individuell verschieden, aber viele Betroffene aus der Schweiz berichten über positive Effekte auf Konzentration, Stimmung und Alltag (Pelsser et al., 2011).
Es lohnt sich, den Ansatz unter ärztlicher oder therapeutischer Begleitung auszuprobieren, ohne Druck, aber mit realistischen Erwartungen (Pelsser et al., 2011).
Unsere Empfehlung:
- Starte mit einer sanften Fastenform wie 14:10
- Führe ein Tagebuch über Energie, Stimmung & Konzentration
- Sprich mit deiner Therapeutin oder deinem Hausarzt, bevor du langfristig fastest
Intervallfasten ist kein Ersatz für eine Therapie, aber ein wertvoller Hebel für mehr Selbststeuerung im Alltag mit ADHS.